Die EU-Kommission setzt in ihrer Gleichstellungsstrategie auf die Beseitigung von Diskriminierung in der Arbeitswelt, insbesondere auf Equal Pay mittels Lohntransparenz. Eine schon länger vom Europäischen Gewerkschaftsbund geforderte, eigenständige und verbindliche Pay Transparency Directive befindet sich aktuell in Vorbereitung. Die Kenntnis über geschlechtsspezifische Diskriminierung in Einstufungs- und Entgeltsystemen allein reicht jedoch nicht aus. Notwendig wären verbindliche Pläne und Maßnahmen für den Abbau des Gender-Pay-Gaps bei transparent gewordenen Entgeltdiskriminierungen. Aus den Erfahrungen mit dem Instrument der Einkommensberichte in Österreich lassen sich einige Schlüsse für europaweite Maßnahmen zur Einkommensgerechtigkeit ziehen.
Die Ausgangssituation: ungleicher Lohn für gleich(wertig)e Arbeit
In Österreich verdienen Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit nach wie vor um einiges weniger als Männer. Trotz aller objektivierbaren, mittelbar diskriminierenden Erklärungsfaktoren verdienen Frauen in derselben Position für dieselbe Arbeit 2020 noch immer 14 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Der Grund: Sie sind eben Frauen. Das ist der Inbegriff unmittelbarer, direkter Diskriminierung.
Die Gründe dafür sind vielfältig und durchaus komplex. Nicht alle lassen sich statistisch eindeutig erklären. Oft sind es strukturelle, indirekt diskriminierende Erklärungsfaktoren (Ausmaß der Arbeitszeit, Branche, Beruf und Bildung), oft aber spielen auch Geschlechterstereotype und subtil sexistische Annahmen über Kompetenzen, Leistungsbereitschaft sowie die Ungleichwertigkeit bei Vergütungen eine durchaus entscheidende Rolle.
Nicht zuletzt lässt sich dies daran beobachten, dass Frauen, die im Homeoffice tätig sind, aufgrund der ihnen ideell oder auch ganz faktisch zugewiesenen Kinderbetreuungspflichten (krisenunabhängig) weniger als Männern zugetraut wird und ihnen so gute Projekte und Gelegenheiten für Aufstiege oder Bonuszahlungen entgehen.
Transparenz im Kampf gegen den Gender-Pay-Gap
Entgeltdifferenzen zu bekämpfen ist aber nicht leicht. In individueller rechtlicher Hinsicht ist die erste Hürde, darzulegen, dass die betroffene Person ein niedrigeres Entgelt als eine Vergleichsperson erhält. Hier ergeben sich in der Praxis bereits Probleme aufgrund mangelnder Transparenz. Eine weitere Hürde ist, zu beweisen, dass sie die gleiche oder gleichwertige Tätigkeit wie die von ihr herangezogene Vergleichsperson ausführt. Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) liegt „gleiche“ Arbeit jedenfalls dann vor, wenn Inhalt der Tätigkeit derselbe ist oder die Tätigkeiten einander so ähnlich sind, dass die Beschäftigten einander ersetzen könnten. „Gleichwertige“ Arbeit kann bei unterschiedlichen Tätigkeiten vorliegen, wenn diese gesamt betrachtet denselben Arbeitswert haben. Die Beurteilung der Gleichwertigkeit ist in der Praxis ebenfalls nicht einfach.
Mangelnde Transparenz ist somit eines der größten Hindernisse für Lohngleichheit. Um die Einkommensschere zu schließen und den Gender-Pay-Gap zu bekämpfen, müssen die Unterschiede überhaupt erst einmal festgestellt werden können. Viele Frauen wissen überhaupt nicht, wie viel der Kollege mit ähnlichen oder gleichen Aufgaben verdient. Wer wie viel verdient, ist in der Praxis oft ein bestens gehütetes Geheimnis. Deswegen werden Unterschiede beim Entgelt manchmal nur durch Zufall sichtbar, oft auch gar nicht.
Im Gesetz fehlt eine Definition für gleichwertige Arbeit
Das Gleichbehandlungsgesetz legt schon seit 1979 den zentralen Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit fest. Er gilt für die betriebliche Einstufung und auch für die Regelung von Entlohnungskriterien. Nach wie vor fehlt jedoch eine Definition zu gleichwertiger Arbeit im Gleichbehandlungsgesetz. Nur der Arbeitgeber verfügt über die nötigen Informationen, um dem Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu entsprechen. Macht über betriebliche Informationen dieser Art ist also auch Definitionsmacht über die Gleichwertigkeit von Arbeit, die jedoch im prinzipiellen Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot beim Entgelt steht. Hier kann mit Entgelttransparenz Abhilfe geschaffen werden.
Rechtlich gesehen dürfte es keinen Einkommensunterschied bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit geben. Das österreichische Gleichbehandlungsrecht verbietet es nämlich unter anderem, Unterschiede beim Entgelt nur aufgrund des Geschlechts zu machen. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Weil auf die Fairness der Arbeitgeber eben nicht immer gezählt werden kann, braucht es gute rechtliche Rahmenbedingungen und durchsetzbare Maßnahmen im Kampf gegen Entgeltdiskriminierung.
Nur große Unternehmen müssen Einkommensberichte erstellen
Entgeltdiskriminierung kann nur aufgedeckt werden, wenn Löhne und Gehälter sowie Einstufungssysteme transparent, aber auch nachvollziehbar sind. Seit 2011 wurden in Österreich strukturelle Maßnahmen gesetzt, mit dem Versuch, die erforderliche Transparenz herzustellen. Um zu überprüfen, ob der Grundsatz „Gleiches Geld für gleich(wertig)e Arbeit“ eingehalten wird, setzt Österreich auf Einkommensberichte. Grundlage ist das Gleichbehandlungsgesetz. Betriebe sollen sich dadurch aktiv mit dem Thema Lohngleichheit befassen.
Unternehmen mit mehr als 150 ArbeitnehmerInnen sind demnach verpflichtet, alle zwei Jahre nach Geschlecht (grob) aufgeschlüsselte Einkommensberichte zu erstellen. Die Berichte müssen das durchschnittliche gesamte Entgelt der Frauen dem der Männer gegenüberstellen, und zwar für die jeweiligen kollektivvertraglichen oder betrieblichen Verwendungsgruppen und -jahre.
Für die Außenwelt veröffentlicht werden diese Berichte freilich nicht. Sie sind für die innerbetriebliche Verwendung bestimmt. Einsicht in den betrieblichen Einkommensbericht erhalten ArbeitnehmerInnen über den Betriebsrat. Sollte es keinen Betriebsrat im Unternehmen geben, muss der Bericht an einem für alle ArbeitnehmerInnen zugänglichen Ort aufbewahrt werden. Das Recht auf Einsichtnahme ist inhaltlich nicht beschränkt, auch nicht für einzelne ArbeitnehmerInnen. Der Betriebsrat hat außerdem ein Beratungsrecht und kann einzelne ArbeitnehmerInnen bei der Durchsetzung unterstützen. So weit der rechtliche Status quo.
Taugen Einkommensberichte im Kampf gegen die Entgeltdiskriminierung?
In der Vergangenheit wurde schon des Öfteren auf die Vor- und Nachteile der Einkommensberichte hingewiesen, siehe etwa „Einkommensberichte: ein nützliches Instrument?“ und „Einkommenstransparenz durch den Einkommensbericht?“.
Es hat sich in den Jahren gezeigt, dass Theorie und Praxis relativ weit auseinanderliegen. Eine Entgeltdiskriminierung ergibt sich nicht augenscheinlich aus dem Einkommensbericht selbst. An den bestehenden Einkommensberichten ist jedenfalls zu kritisieren, dass lediglich das Durchschnittsentgelt anzugeben ist. Die Vergleichbarkeit der Entgeltsituation zwischen Männern und Frauen ist daher schwer herzustellen. Ohne verpflichtende Aufschlüsselung der einzelnen Entgeltbestandteile (Lohn/Gehalt, Mehr- und Überstunden, Zulagen etc.) bleiben konkrete Entgeltunterschiede oft unsichtbar – und sind allein deshalb schwer geltend zu machen.
Da Einkommensberichte in anonymisierter Form zu erstellen sind, lassen sich außerdem keinerlei konkrete Rückschlüsse auf bestehende Entgeltunterschiede zu einer Vergleichsperson ziehen. Auch in prozessualer Hinsicht ist der Einkommensbericht nur beschränkt hilfreich. Dieser bringt zwar eine gewisse Erleichterung, ist jedoch nicht per se dazu geeignet, eine vermutete Entgeltdiskriminierung vor Gericht oder vor der Gleichbehandlungskommission glaubhaft zu machen. Dies einerseits aufgrund der Anonymisierung, andererseits auch, weil in der Praxis häufig eine transparente Gestaltung des innerbetrieblichen Einstufungssystems fehlt. Der EuGH verlangt eine durchschaubare, erklärbare und transparente Gehaltsfestsetzung. Liegt diese nicht vor, kann dies jedoch im Verfahren als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung gewertet werden.
Effektiver wäre es, als Einzelperson durch den Einkommensbericht Zugang zu den konkreten Gehaltsdaten der (männlichen) Vergleichspersonen zu erlangen, um diese in den Verfahren vorlegen zu können. Dies insbesondere in Betrieben ohne Betriebsrat. Der Gesetzgeber hat sich jedoch aus Datenschutzgründen dagegen und für eine Anonymisierung der Einkommensberichte entschieden.
Datenschutzbedenken dürfen kein Vorwand sein, um Lohngerechtigkeit zu verhindern
Zunächst hat der Betriebsrat ohnehin nach dem Arbeitsverfassungsgesetz das Recht, die Gehaltsdaten einzelner ArbeitnehmerInnen einzusehen, ohne dass es dazu deren Zustimmung bedarf. Auch weitere Datenschutzbedenken können jedenfalls entkräftet werden: Wie Elias Felten in einem von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zum Verhältnis von Einkommenstransparenz und Datenschutz zeigt, ist es auch zulässig, dass BetriebsrätInnen im Anlassfall Gehaltsdaten konkreter Personen an eine potenziell diskriminierte Arbeitnehmerin bzw. einen Arbeitnehmer weitergeben, weil das Rechtsschutzinteresse dieser Person über dem Geheimhaltungsinteresse der Vergleichsperson steht.
Stillschweigeklauseln können rechtswidrig sein
„Über Geld wird nicht gesprochen.“ Dieser Grundsatz ist nicht selten in Arbeitsverträgen verankert und soll ArbeitnehmerInnen dazu verpflichten, Stillschweigen über ihr Einkommen zu bewahren. Diese sogenannten Verschwiegenheitsklauseln erschweren den Austausch innerhalb der Belegschaft und führen dazu, dass die Geltendmachung von Entgeltdiskriminierung weiter erschwert wird – vor allem wenn keine Pflicht zur Erstellung eines Einkommensberichtes besteht. Solche Klauseln sind allerdings dann rechtswidrig, wenn sie dazu führen, dass Entgeltdiskriminierung nicht mehr ohne einen Vertragsbruch geltend gemacht werden kann, so auch Felten.
Einwände gegen verbindliche Lohntransparenz
Die Wirtschaftskammer Österreich spricht sich gegen das geplante Vorhaben der Kommission aus: Viele Frauen würden sich selbst für Teilzeitarbeit entscheiden, weil Lohnarbeit zu hoch besteuert und daher unattraktiv sei. Dieses Argument überzeugt nicht, weil Männer durch vermeintlich hohe Besteuerung in der Regel auch nicht von einer Vollzeitbeschäftigung abgehalten werden. Außerdem wird dabei vernachlässigt, dass aufgrund mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ungleicher Verteilung von Pflege-, Erziehungs- und Reproduktionsarbeit häufig gar keine Vollzeitbeschäftigung für Frauen möglich ist.
Als Alternative zu Einkommensberichten wird vonseiten der Wirtschaftskammer eine verpflichtende Gehaltsangabe in Stelleninseraten vorgeschlagen. Dies ist in Österreich längst verpflichtend und konnte bisher kaum zur Besserung der Situation beitragen. Vor allem kann dann ohne Einkommensbericht nicht überprüft werden, welche KollegInnen eine Überzahlung über dem in der Stellenanzeige angegebenen Gehalt erhalten. Was würde dagegensprechen, die rechtlichen Vorgaben für Stelleninserate zu reformieren und Transparenz verbindlich zu verankern?
Equal Pay: vom Prinzip zur Praxis
Zur effektiven Bekämpfung von Entgeltdiskriminierung sind vor allem verpflichtend vorzunehmende Maßnahmen notwendig, um in einem Unternehmen festgestellte ungleiche Bezahlung zwischen Frauen und Männern zu beseitigen. Die Arbeiterkammer fordert hierzu insbesondere, dass ein Aktions- bzw. Maßnahmenplan mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben zum Abbau von transparent gewordenen Entgeltdiskriminierungen – unter Einbindung von BetriebsrätInnen bzw. Interessenvertretungen – zu erstellen ist. So wäre ein strukturelles Problem auf struktureller Ebene gelöst.
Außerdem können im Zusammenhang mit Einkommenstransparenz folgende Maßnahmen dazu beitragen, Entgeltdiskriminierung im Einzelfall betrieblich und gesellschaftlich zu beseitigen:
- deutliche Senkung der Schwelle für die Berichtspflicht, derzeit bei über 150 Beschäftigten
- niederschwelliger Anspruch von ArbeitnehmerInnen auf Auskunft über Lohn- und Gehaltsniveaus – digital und dezentralisiert
- Aufschlüsselung über die konkrete Zusammensetzung des Entgelts bzw. der einzelnen Entgeltbestandteile
- die Präzisierung des Begriffs der gleichwertigen Arbeit
Eine rechtliche Lohntransparenzvorgabe in Form einer eigenen europäischen Richtlinie ist höchst an der Zeit. Es würde die Geltung der Gleichbehandlungsgebote der Antidiskriminierungsrichtlinien abrunden, effektivieren und das Equal-Pay-Prinzip in die Praxis überführen. Eine solche Vorgabe schafft Bewusstsein im Betrieb und in der Gesellschaft und erzeugt Rechtfertigungsdruck für geschlechtsspezifische Entgeltdifferenzen. Denn wo diese bekannt sind, müssen sie sehr gut erklärbar, leistungsbezogen und sachlich sein, sind sie schlicht ganz oder zumindest teilweise mit dem Geschlecht verbunden, sind sie mit Diskriminierung behaftet und somit rechtswidrig.