Gleichbehandlung ist im österreichischen Recht verankert. Das Gleichbehandlungsgesetz stellt klar, dass im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis niemand aufgrund des Geschlechts bei der Festsetzung des Entgelts diskriminiert werden darf. Dennoch verdienen Frauen bei gleicher Arbeit weiterhin beharrlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine Ursache dafür sind strenge Verschwiegenheitsklauseln, die kaum möglich machen, solche Nachteile auch nachzuweisen. Ein neues Rechtsgutachten zeigt jedoch auf, welche Spielräume trotzdem bestehen und wie der Einkommensbericht für mehr Transparenz genutzt werden kann.
Der Grundsatz „Gleiches Entgelt für gleich(wertig)e Arbeit“ hat seine Wurzeln im Unionsrecht. Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (kurz AEUV), der die „Spielregeln“ innerhalb der EU festlegt, hat jeder Mitgliedstaat die Anwendung dieses Grundsatzes sicherzustellen. Dieser tragende Grundsatz der Europäischen Union war bereits in den Gründungsverträgen verankert. Man kann in Anbetracht der Wertigkeit von einem „Grundrecht auf gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit“ sprechen.
Gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit: nur auf dem Papier
Die Realität in Österreich sieht freilich anders aus. Noch immer verdienen Frauen für die gleiche Arbeit weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein zentraler Faktor für die Lohnschere zwischen Männern und Frauen ist, dass Frauen überwiegend in Teilzeit arbeiten. Selbst wenn man solche „erklärbaren“ Ursachen herausrechnet, bleibt dennoch im Schnitt ein „unerklärbarer“ Unterschied von Euro 187 brutto jedes Monat. Es liegt nahe, dass dieser Unterschied einzig und allein auf das Geschlecht zurückzuführen ist. Oder anders ausgedrückt: Dieser „unerklärliche Rest“ ist ein Indiz dafür, dass Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen systematisch diskriminiert werden.
Hält man sich vor Augen, dass sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach dem österreichischen Gleichbehandlungsgesetz die Diskriminierung von Frauen bei der Festsetzung des Entgelts verboten ist, so stellt sich die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass Frauen noch immer weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.
Warum verdienen Frauen noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen?
Die Antwort ist einfach: Der beste Rechtsschutz nützt nichts, wenn er faktisch nicht in Anspruch genommen wird. Hat eine Frau den Verdacht, dass sie gegenüber ihren männlichen Kollegen bei der Festsetzung des Entgelts diskriminiert wird, so muss sie dies – sollte der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin nicht von sich aus einlenken – klagsweise geltend machen. Im aufrechten Arbeitsverhältnis trauen sich das, aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, nur die wenigsten.
Dazu kommt, dass viele keinen Zugang zum Recht haben. Hier schafft die Rechtsberatung und der Rechtsschutz der Arbeiterkammern und Gewerkschaften Abhilfe. Darüber hinaus wurden mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft und der Gleichbehandlungskommission eigene Institutionen geschaffen, die Personen, die sich diskriminiert fühlen, unterstützen bzw. Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgesetz feststellen. Mangelnde Hilfestellung bei der Durchsetzung von Entgeltdiskriminierungen scheint also auch nicht der Grund für die Lohnschere zwischen Männern und Frauen zu sein.
Der Kern des Problems ist der Nachweis der Entgeltdiskriminierung. Zwar sieht das Gleichbehandlungsrecht auch hier eine Erleichterung vor: Die diskriminierte Person muss nicht beweisen, dass sie diskriminiert wird, sondern lediglich „glaubhaft“ machen, dass sie aufgrund des Geschlechts eine nachteilige Behandlung bei der Festsetzung erfahren hat. Selbst in diesem Fall ist aber Grundvoraussetzung, dass es im fraglichen Betrieb einen Mann gibt, der für die gleiche Arbeit mehr verdient. Davon muss die diskriminierte Person freilich erst Kenntnis erlangen. Genau das gestaltet sich in der Praxis als kaum überwindbare Hürde.
Verpflichtung zur Verschwiegenheit über das eigene Gehalt
Denn wer in einem Betrieb wieviel verdient, gehört in Österreich zu den am besten gehüteten Geheimnissen. Damit das so bleibt, werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in vielen Betrieben arbeitsvertraglich dazu verpflichtet, (auch untereinander) über die Höhe ihres Gehalts Verschwiegenheit zu wahren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen geht es um den Schutz der Position des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im geschäftlichen Wettbewerb gegenüber Konkurrenten, da die Lohnkosten einen zentralen Produktionsfaktor darstellen. Zum anderen geht es aber schlicht darum, Neiddebatten unter den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu vermeiden.
Dass der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin tatsächlich ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung der innerbetrieblichen Gehaltsstrukturen hat, um Unruhe und Unzufriedenheit der Belegschaft zu verhindern und die Arbeitsmotivation der Arbeitnehmerinnen nicht zu beeinträchtigen, hat sogar der OGH in einer älteren Entscheidung aus dem Jahr 2001 anerkannt. Wird dieses berechtigte Interesse verletzt, indem z. B. die Gehaltsdaten ganzer Abteilungen an einen einzelnen Arbeitnehmer weitergegeben werden – sei es auch bloß zu dem Zweck, damit dieser Lohnverhandlungen mit dem Arbeitgeber führen können – so soll dies nach der Ansicht des OGH sogar die Entlassung eines Betriebsratsmitglieds rechtfertigen können.
Vor diesem Hintergrund erklärt es sich, weshalb Frauen trotz institutioneller Hilfestellungen noch immer weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Denn eine Entgeltdiskriminierung lässt sich weder beweisen noch glaubhaft machen, wenn man nicht weiß, wie die Gehälter im Betrieb strukturiert sind. De facto ist die einzige Möglichkeit, Kenntnis von einer vermeintlichen Diskriminierung zu erhalten, sich mit Kollegen über das Gehalt auszutauschen. Genau dieser Weg wird aber in der Praxis oftmals durch die Vereinbarung vertraglicher Verschwiegenheitspflichten abgeschnitten. Damit wird das Verbot der Entgeltdiskriminierung zum zahnlosen Tiger.
Der Einkommensbericht nach dem Gleichbehandlungsgesetz
Das hat auch der Gesetzgeber erkannt. Deshalb hat er im Jahr 2011 eine konkrete Maßnahme gesetzt, die es Frauen erleichtern soll, zu erkennen, dass sie bei der Festsetzung des Entgelts gegenüber ihren männlichen Kollegen diskriminiert werden: der sogenannte „Einkommensbericht“ . Betriebe mit mehr als 150 Beschäftigten sind nunmehr verpflichtet, alle zwei Jahre einen Bericht zur Entgeltanalyse zu erstellen.
Darin sind die Anzahl der Männer und Frauen sowie die Durchschnitts- oder Medianentgelte der Männer und Frauen im Kalenderjahr für die jeweilige kollektivvertragliche Verwendungsgruppe auszuweisen. Auf diese Weise sollen die innerbetrieblichen Gehaltsstrukturen transparent gemacht und geschlechtsbezogene Ungleichbehandlungen bei der Festsetzung des Entgelts offengelegt werden. Damit will der Gesetzgeber die Grundlage dafür schaffen, dass Frauen eine vermeintliche Entgeltdiskriminierung am Rechtsweg überprüfen lassen.
Ein „zahnloser Tiger“?
Eine ausführliche rechtliche Analyse des Einkommensberichts im Auftrag der AK Wien zeigt allerdings, dass der Gesetzgeber dieses Ziel nur halbherzig umgesetzt hat. Denn zu einem klaren Bekenntnis, dass Gehaltsdaten kein Geschäftsgeheimnis darstellen, konnte sich der Gesetzgeber nicht durchringen. Ganz im Gegenteil.
Nicht nur, dass der Einkommensbericht in anonymisierter Form zu erstellen ist. Das heißt, er darf keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen zulassen. Vielmehr sind die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über den Inhalt des Einkommensberichts auch noch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Verschwiegenheitspflicht droht eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 360 Euro.
Darüber hinaus wurde nicht einmal sichergestellt, dass wirklich alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Kenntnis vom Inhalt des Einkommensberichts erhalten. In Betrieben, in denen eine Arbeitnehmervertretung errichtet wurde, hat ausschließlich der Zentralbetriebsrat bzw. der Betriebsrat Anspruch auf den Einkommensbericht. Dieser kann einzelnen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen lediglich auf Anfrage, Auskunft über den Inhalt und zwar nur über die für sie relevanten Informationen geben. Ansonsten soll der Betriebsrat – so zumindest die Materialien zum Gleichbehandlungsgesetz – bezüglich der Inhalte des Einkommensberichts ebenfalls einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen.
Hält man sich diese Vielzahl an Restriktionen vor Augen, so verwundert es nicht, dass der Einkommensbericht in der Praxis kaum zur besseren Durchsetzbarkeit vermuteter Entgeltdiskriminierungen beigetragen hat. Die Unsicherheit bei den Beteiligten – sowohl bei den einzelnen ArbeitnehmerInnen als auch beim Betriebsrat – ist zu groß.
Potenziale des Einkommensberichts
Um innerhalb dieser Regelungen Spielräume aufzuzeigen hat die AK Wien das bereits angesprochene Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Damit sollte ausgelotet werden, welche rechtlichen Möglichkeiten der Einkommensbericht trotzdem bietet, um Einkommenstransparenz und diskriminierungsfreie Entlohnung effektiv durchzusetzen.
Die rechtliche Analyse hat dabei ergeben, dass der Einkommensbericht nach seiner gesetzlichen Konzeption für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Betriebes bzw. Unternehmens gedacht ist. Sie sind die eigentlichen Adressaten des Berichts. Innerhalb des Betriebes bzw. Unternehmens stellen die Inhalte des Einkommensberichts damit kein Geschäftsgeheimnis dar. Daraus folgt, dass die Weitergabe von Information über den Inhalt des Einkommensberichts sowie der Austausch von Informationen über dessen Inhalt zwischen Mitgliedern des Betriebsrates, zwischen den Mitgliedern und einzelnen ArbeitnehmerInnen sowie unter den ArbeitnehmerInnen selbst keinen unzulässigen Geheimnisverrat darstellen.
Darüber hinaus dürfen Inhalte des Einkommensberichts an die AK, den ÖGB und sonstige zur Beseitigung einer Entgeltdiskriminierung zuständige Stellen, wie z. B. Arbeits- und Sozialgerichte sowie Gleichbehandlungsanwaltschaft und Gleichbehandlungskommission, weitergegeben werden. Das gilt nicht nur für den einzelnen Arbeitnehmer und die einzelne Arbeitnehmerin, sondern auch für den Betriebsrat, da es zu dessen gesetzlichen Aufgaben gehört, einzelne Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Herstellung der gebotenen Entgeltgleichbehandlung zu unterstützen. Die eingangs zitierte Rechtsprechung des OGH aus dem Jahr 2001 kann somit im Ergebnis als überholt angesehen werden.
Unzulässig ist es hingegen, wenn einzelne Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder Mitglieder des Betriebsrats Inhalte aus dem Einkommensbericht im Internet oder auf Social-Media-Seiten veröffentlichen oder Medienvertreterinnen zuspielen würden, um durch die geschaffene Öffentlichkeit Druck auf den Betriebsinhaber/die Betriebsinhaberin auszuüben. Eine weitere wesentliche Erkenntnis des Gutachtens ist, dass es dem gesetzgeberischen Zweck des Gleichbehandlungsgesetzes widersprechen würde, ließe man es zu, dass sich Arbeitgeber/Arbeitgeberin und Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin auf eine umfassende Verpflichtung zur Verschwiegenheit über die Inhalte des Einkommensberichts vertraglich verständigen könnten. Man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen können: Vertragsklauseln, die den einzelnen Arbeitnehmer/die einzelne Arbeitnehmerin zur Verschwiegenheit über die eigenen Gehaltsdaten verpflichten, sind rechtswidrig, wenn sie zur Konsequenz haben, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin keine Entgeltdiskriminierung mehr geltend machen kann, ohne vertragsbrüchig zu werden.
Schafft der Einkommensbericht mehr Entgelttransparenz?
Zusammengefasst lässt sich damit festhalten, dass der Einkommensbericht mehr Spielräume für eine effektive Durchsetzung von Entgeltdiskriminierungen bietet, als der Wortlaut des Gleichbehandlungsgesetzes auf den ersten Blick vermuten ließe. Ein wesentliches Manko bleibt freilich. Der Einkommensbericht ist anonym. Eine konkrete Vergleichsperson, die notwendig wäre, um eine Entgeltdiskriminierung beweisen zu können, lässt sich diesem nicht entnehmen. Zwar kann hier der Betriebsrat unterstützend wirkend, da ihm das Recht zukommt, in die Gehaltsdaten einzelner ArbeitnehmerInnen Einsicht zu nehmen. Dieses Recht kann er insbesondere auch dafür nutzen, um eine vermutete Entgeltdiskriminierung zu verifizieren und rechtliche Schritte dagegen in die Wege zu leiten. Dem steht auch das Datenschutzrecht nicht entgegen. Allerdings bewegt sich der Betriebsrat dabei auf rechtlich unsicherem Terrain. Es wäre sinnvoll, wenn der Gesetzgeber hier mehr Rechtsicherheit schaffen würde. Dazu ist er aufgrund des Unionsrechts sogar verpflichtet. Ein möglicher Ansatz wäre: mehr Einkommenstransparenz im Betrieb.