Mit der wirtschaftlichen Erholung im Sommer 2021 erholt sich auch der Arbeitsmarkt. Dabei wird häufig von Unternehmer*innen berichtet, die über offene Stellen klagen, die sie nicht besetzen können. Wie Bewerbungsprozesse wirklich ablaufen, wird jedoch selten thematisiert. So berichten AK-Mitglieder von verschiedenen Diskriminierungserfahrungen und arbeitsrechtlichen Verstößen im Bewerbungsprozess – selbst in Zeiten, in denen häufig von einem Arbeitskräftemangel die Rede ist.
Diskriminierung am Arbeitsmarkt
Dass Menschen im Bewerbungsprozess diskriminiert werden, ist in verschiedensten Studien wissenschaftlich belegt. Häufig findet Diskriminierung entlang von Geschlecht, Herkunft, Alter, auf Basis der Erwerbskarriere oder der Arbeitslosigkeitsdauer bzw. einer Kombination dieser Merkmale statt.
In Österreich werden beispielsweise Arbeitssuchende mit „nicht typisch österreichischem“ Namen und Aussehen benachteiligt, wenn sie sich schriftlich um eine Stelle in Österreich bewerben. Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als Frauen, die kein Kopftuch tragen. Eine „nicht österreichische“ Herkunft hat eine negative Auswirkung auf die Einstellungschancen in österreichischen Unternehmen. Diskriminierung von Frauen zieht sich durch alle Lebensbereiche – von der Schule über den Bewerbungsprozess bis hin zu Lohndiskriminierung.
In einer von der AK durchgeführten Befragung erzählen AK-Mitglieder über Diskriminierungserfahrungen bei Bewerbungen aufgrund von Geschlecht, Alter und Herkunft, über grobes Fehlverhalten seitens der Arbeitgeber in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen und über prekäre Arbeitsverhältnisse und falsch ausgeschriebene Arbeitsbedingungen. Bemerkenswert ist, dass diese Befragung Ende Sommer 2021 durchgeführt wurde, als sich Berichte über Unternehmen, die händeringend nach Arbeitskräften suchten, häuften.
Mit oder ohne Kinder: Frauen berichten von ihren Diskriminierungserfahrungen
Frauen können es vielen Arbeitgebern nicht recht machen: Entweder sie seien zu jung – und hätten die Familienplanung und eine damit einhergehende Elternkarenz noch vor sich. Oder sie haben bereits Kinder und könnten aufgrund der daraus resultierenden Betreuungspflichten keine zuverlässigen und engagierten Mitarbeiterinnen sein. Oder sie seien schlichtweg zu alt und deshalb nicht mehr motiviert genug. Mit diesen Vorurteilen müssen sich Frauen bei der Arbeitssuche herumschlagen. Das geht so weit, dass Bewerberinnen nach einer momentanen Schwangerschaft und ihren Absichten, Kinder zu bekommen, gefragt werden oder gesagt bekommen, im „gebärfähigen Alter“ könne man sie nicht einstellen. Frauen über 30 werden darauf hingewiesen, dass „ihre biologische Uhr tickt“.
Eine gut ausgebildete 31-jährige Frau auf Arbeitssuche erzählt: „Bei einem Arbeitgeber hat man mich offen mehrfach nach meinen Kinderplänen gefragt. Es wurde auch mehrfach darüber diskutiert, denn ich sei ja in einem kritischen Alter! Gleichzeitig wurde ich von dem Chef mehrfach als ‚junges Mädel‘ betitelt, ebenso wurde auch das Gehalt eines ‚jungen Mädels‘ festgelegt.“ Eine andere Bewerberin war mit der folgenden Situation konfrontiert: „Dass man als Frau mit Anfang 30 nach Kindern gefragt wird, ist ja keine Seltenheit. Aber bei mir ging der Personalchef so weit, dass er meinte: Na ja, mit 31 tickt ja die Uhr schon, da sollte ich schon mal über Kinder nachdenken. Auf was ich denn warten möchte?“
Nicht nur das Kinderthema bringt die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt mit sich –Bewerberinnen wird auch direkt mitgeteilt, dass sie als Frau nicht passend für eine Stelle sind und die Arbeitgeber lieber einen Mann einstellen wollen. Eine Frau auf Arbeitssuche schilderte: „Ich, weiblich, bewarb mich als EDV-Technikerin. Der Chef meinte zu mir: ‚Eine Frau kann niemals etwas mit EDV machen, da Frauen eine Gehirnwindung zu wenig haben.‘“ Nicht selten wurde auch berichtet, dass auch heute noch männlichen Bewerbern bessere Konditionen angeboten werden – und sie trotz fehlender Qualifikationen bei der Stellenbesetzung bevorzugt werden.
Was sich Arbeitgeber erlauben
Abgesehen davon, dass Pünktlichkeit sowie ein Mindestmaß an respektvollen Umgangsformen auch seitens der Arbeitgeber keine Selbstverständlichkeiten sind, berichten arbeitssuchende Menschen über Fehlverhalten von Arbeitgebern, das teilweise bis zur verwaltungsstrafrechtlichen Relevanz geht. Manche Bewerber*innen nehmen lange Anreisen zum Vorstellungsgespräch auf sich, nur um dann keine für das Bewerbungsgespräch zuständige Person anzutreffen. Wenn sie dann wieder gehen, folgt eine Beschwerde durch das Unternehmen beim AMS und eine Sperre des Arbeitslosengeldes. Anderen wird auch auf mehrmaliges Ansuchen keine Auskunft über das Gehalt gegeben. Mehrfaches und wochenlanges Probearbeiten an verschiedenen Positionen wird nicht bezahlt. Ein Mann auf Arbeitssuche berichtet, dass er aufgefordert wurde, eine Test-Website zu entwickeln, um seine Kompetenzen zu beweisen. Als die Website zufriedenstellend war, forderte der Arbeitgeber ihn auf, noch eine für einen Kunden des Unternehmens zu entwickeln – unbezahlt. Einem Bewerber in der Gastronomie wurde sein geringes Gehalt – trotz Stelle als Chef de Rang – damit erklärt, dass im Service ja sowieso genug Trinkgeld gemacht werden könne.
Ein Vater dreier Kinder, der sich als Tellerwäscher in einem Gastronomiebetrieb beworben hat, erzählt von folgenden Arbeitsbedingungen: „Bei meinem letzten Bewerbungsgespräch hat man mir gesagt, dass ich von 8 Uhr bis 23 Uhr arbeiten muss und dass ich zwischenzeitlich, wenn nicht viel zu tun ist, nach Hause geschickt werde. Wenn viel los sei, können Dienste sogar bis nach Mitternacht gehen. Als ich den Job abgelehnt habe, wurde mir vom AMS mein Arbeitslosengeld gesperrt.“ Eine weitere arbeitssuchende Person schildert: „Bei einem Bewerbungsgespräch wurde mir gesagt, dass ich kein 13. und 14. Gehalt bekommen würde und auch keine Zuschläge für Arbeit am Wochenende und an Feiertagen. Außerdem wird erwartet, dass ich auch außerhalb meiner regulären Arbeitszeit diverse Botentätigkeiten erledige.“ Eine junge Arbeitnehmerin erzählt: „Meine skurrilste Erfahrung war, als meine Aufnahme als unbezahlte Psychologie-Praktikantin daran geknüpft war, dass ich die private Weichselernte des Psychologen gewinnbringend verkaufen sollte!“ Kein Blatt vor den Mund nahm sich ein Arzt, bei dem sich eine Frau als Ordinationshilfe vorstellte: „Ich zahl Ihnen 100 Euro mehr im Monat, aber es gibt keinen Krankenstand – außer Sie kriechen schon auf allen Vieren – und auch keinen Pflegeurlaub, da müssen Sie schauen, was Sie mit Ihren Kindern machen.“
Dass diese Menschen Jobs unter solchen Arbeitsbedingungen und bei diesen Arbeitgebern nicht angenommen haben, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Trotzdem führt das Ablehnen dieser Arbeitsplätze zu Sanktionen seitens des AMS, wie einer Sperre des Arbeitslosengeldes. Darüber hinaus bestimmen Wirtschaft und Arbeitgeber den Diskurs, die Arbeitslosen seien nicht arbeitswillig genug. Druck auf Arbeitslose soll dazu führen, dass Arbeitslose jeden Job – unabhängig von den Bedingungen – annehmen müssen und somit genug billige Arbeitskräfte für Arbeitgeber zur Verfügung stehen.
Mehr können, aber weniger bekommen
„Gesucht wurde eine Vertriebsmitarbeiterin für 10 Wochenstunden (Versand von Naturkosmetik)“, berichtet eine Frau auf Arbeitssuche. „Es stellte sich heraus, dass man auch für das gesamte Bestellwesen und die Abwicklung von Kundenbestellungen via Telefon – das man auch mit nach Hause nehmen hätte sollen, um Bestellungen entgegenzunehmen – verantwortlich gewesen wäre. Darüber hinaus für die Bestellung der Grundstoffe für die Produktion und des Verpackungsmaterials. Dazu wären Assistenztätigkeiten bei der Produktion gekommen, d. h. die fachgerechte Vorbereitung der Zutaten, danach sterilisieren und desinfizieren. Weiters sollte mensch noch Grafiker*in und Texter*in sein, um den Newsletter und die Homepage aktuell zu halten. Rechnungswesen, Buchhaltungsvorbereitung und Akquise natürlich auch noch, zusätzlich zum ‚Grundjob‘ des Verpackens und Versendens der Kundenbestellungen. Also mehrere Jobs in einem bei 10 Wochenstunden und 850 Euro brutto. Und ich weiß nicht mal, ob man ordnungsgemäß angemeldet gewesen wäre.“
Dass Arbeitgeber nicht bereit sind, Arbeitnehmer*innen mit entsprechenden Kompetenzen angemessen zu entlohnen, kommt immer wieder vor.
Eine andere Arbeitnehmerin, die sich um eine Stelle im Verkauf beworben hat, berichtet, dass ihr während des Vorstellungsgesprächs versichert wurde, keine eigene Filiale leiten zu müssen. Bereits nach einer Woche – und ohne richtige Einschulung – wurde sie dann aber bei gleichem Gehalt dazu gedrängt, die Filialleitung zu übernehmen. Eine Grafikerin schilderte ihre Erfahrungen im Bewerbungsprozess:
„Gesucht war ein klassischer Grafiker, mit der Bereitschaft zur Überbezahlung. Der Arbeitgeber war aber – weil es ja nur ‚Druck-Basis-Arbeiten‘ seien – nur bereit, das Mindestgrundgehalt der Verwendungsgruppe (VG) 3 als Einstiegsgehalt zu zahlen, obwohl Grafiker in die VG 4 fallen und ich sechs Jahre Berufserfahrung hatte. Ich meinte, dass ich dann aber keine Illustration, Animation, Videoschnitt oder Web-Sachen mache, weil ich ja nicht dafür bezahlt werde. Der Arbeitgeber meinte daraufhin: ‚Nein, also, doch. Das würden wir schon wollen, wir würden Sie ja gerade deshalb gerne einstellen, weil Sie so breit gefächert sind und so lange Erfahrung damit haben!‘ – Aber zahlen wollen sie dafür nicht.“
Was ist zu tun?
Selbstverständlich muss sein, dass Unternehmen faire Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung gewährleisten. Im Falle von Diskriminierung und arbeitsrechtlichen Verstößen durch Unternehmen müssen Arbeitnehmer*innen und arbeitssuchende Menschen Rechtsberatung und Rechtsvertretung erhalten. Darüber hinaus gibt es politische Möglichkeiten, Diskriminierung zu reduzieren: