Das Gleichbehandlungsrecht soll Menschen vor Diskriminierung in bestimmten Lebensbereichen, insbesondere der Arbeitswelt, schützen. In einer bisher kaum beachteten Entscheidung hält der EuGH fest, dass es für Betroffene einer Diskriminierung aber keinen ausreichenden Rechtsschutz darstellt, wenn sie lediglich Schadenersatz erhalten. Vielmehr müssen sich Gerichte auch inhaltlich mit ihrem Fall auseinandersetzen und eine Entscheidung über die erlebte Diskriminierung treffen. Dieser Beitrag geht der Frage nach, warum das für Betroffene von Diskriminierung wichtig ist, was das Urteil für die österreichische Rechtslage bedeutet und welches Potenzial es für die Antidiskriminierungs-Arbeit bietet.
Der Ausgangsfall: Ethnic Profiling bei einer Fluglinie
Im schwedischen Anlassfall ging es um einen Fluggast, der sich von einer Fluglinie diskriminiert erachtete. Er sah sich durch so genanntes Ethnic Profiling benachteiligt, also dem vorurteilsbasierten verstärkten Kontrollieren von Menschen mit (zugeschriebener) fremder Herkunft durch Sicherheitsorgane. Die beklagte Fluglinie bestritt ausdrücklich jede Diskriminierung, erkannte aber den eingeklagten Schadenersatzbetrag von umgerechnet rund 1.000 Euro an und befriedigte damit die Forderung des Klägers in voller Höhe.
Dabei handelt es sich um ein durchaus nachvollziehbares Kalkül: Aufgrund der geringen Schadenersatzbeträge im Antidiskriminierungsrecht ist es naheliegend, lange Gerichtsverfahren durch das Zahlen einer Entschädigung kostengünstig abzukürzen – insbesondere für die finanziell meist weit überlegenen beklagten Unternehmen. Praktischerweise wird damit in der Regel gleichzeitig auch verhindert, was Institutionen oder Unternehmen, die der Diskriminierung beschuldigt werden, mitunter besonders fürchten: Es wird ein Urteil gefällt, in dem die Diskriminierung vom Gericht festgestellt wird, oder eventuell sogar ein „Präzedenzfall“ geschaffen.
Die Entscheidung des EuGH: Schadenersatz allein ist kein Diskriminierungsschutz
Nach dem schwedischen Recht ist es dem Gericht verwehrt, in solchen Fällen noch eine inhaltliche Entscheidung zu treffen, da der vom Gesetz vorgesehene Anspruch auf Schadenersatz für Opfer einer Diskriminierung ja erfüllt wurde. Auch eine Klage auf Feststellung der Diskriminierung ist dann mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zulässig. Diese Probleme bestehen im Wesentlichen auch in der österreichischen Rechtslage, worauf unten noch näher eingegangen wird.
Im Anlassfall ist es dem schwedischen „Diskriminineringsombudman“ aber gelungen, begründet in Zweifel zu ziehen, dass diese Verfahrensbestimmungen mit dem EU-Recht in Einklang stehen. Der EuGH musste sich daher in einer Vorabentscheidung damit auseinandersetzen, ob es mit der hier einschlägigen Antirassismus-Richtlinie und den Vorgaben der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar ist, dass sich Unternehmen, denen Diskriminierung vorgeworfen wird, so billig eine gerichtliche Entscheidung sparen können und damit Betroffene letztlich einfach „ruhiggestellt“ werden.
In seinem Urteil hält der EuGH fest, dass die unionsrechtliche Verpflichtung, Diskriminierungsopfern einen effektiven Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen (Art. 7 Antirassismus-RL und Art. 47 GRC), umfasst, dass auch die gerichtliche Überprüfung des Sachverhalts auf Vorliegen einer Diskriminierung möglich sein muss. Auch die Vorgabe der Richtlinie, wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot festzulegen (Art. 15 Antirassismus-RL), verlangt laut EuGH eine solche inhaltliche Überprüfungsmöglichkeit.
Durch die reine (kostengünstigere) Zahlung eines Schadenersatzbetrags – bei gleichzeitigem Bestreiten des Diskriminierungsvorwurfs – sei die gewünschte abschreckende und wiedergutmachende Wirkung nicht zu erzielen. Dieses Urteil ist auf alle Gleichstellungsrichtlinien übertragbar und betrifft somit beispielsweise auch Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.
Warum Schadenersatz für Diskriminierungsbetroffene oft nicht ausreicht
Die Beratungserfahrung des Klagsverbands zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern zeigt, dass Menschen, die Diskriminierung erlebt haben, neben einer angemessenen Entschädigung insbesondere eine (staatliche) Aufarbeitung und letztlich Anerkennung der Diskriminierungserfahrung brauchen. Zu den Beweggründen hinter diesem Bedürfnis gehört es, Bewusstsein zu schaffen und anderen Betroffenen mit einem (Gerichts-)Verfahren ein Beispiel zu geben. Aber auch das Machtungleichgewicht, das einer Diskriminierung oft zugrunde liegt, mit einer objektivierten Feststellung in gewisser Weise ein wenig auszugleichen, kann dazu gehören. Diesen Umstand hat auch der EuGH in seiner Entscheidung berücksichtigt, indem er festhält, dass es für Diskriminierungsopfer wesentlich ist, das diskriminierende Verhalten prüfen und feststellen zu lassen.
Bedeutung für eine effektive Antidiskriminierungsarbeit
Aber auch Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die neben der Einzelfallunterstützung rechtspolitische Arbeit leisten, sind auf die (veröffentlichten) Entscheidungen von Gerichten angewiesen. Besondere Bedeutung hat das, wenn mit Musterklagen und strategischer Prozessführung wesentliche Rechtsfragen geklärt werden und das Recht weiterentwickelt werden sollen, wie es auch der Klagsverband macht. Im Behindertengleichstellungsrecht ist dieser Umstand zumindest insofern berücksichtigt, als es seit einigen Jahren die Möglichkeit gibt, mit einer Verbandsklage, losgelöst vom Einzelfall, wesentliche und dauerhafte behinderungsbezogene Diskriminierungen, z. B. wegen fehlender Barrierefreiheit, gerichtlich feststellen zu lassen.
Auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft und die in den Gleichbehandlungskommissionen vertretenen Institutionen können in ganz bestimmten Fällen eine Feststellungsklage auf Verletzung des Gleichbehandlungsgebots erheben. Für individuelle Betroffene kommt es aber immer wieder zu der Situation, dass zwar der Schadenersatzanspruch abgegolten, damit aber im Ergebnis eine Feststellung der Diskriminierung verhindert wird. Dabei wurde schon mit der Stammfassung des Gleichbehandlungsgesetzes 1979 die Wichtigkeit von Feststellungsurteilen für die Informations- und Sensibilisierungsarbeit anerkannt.
Umsetzung des EuGH-Urteils in Österreich – gesetzliche Anpassung nötig?
Wird der eingeklagte Anspruch durch die beklagte Partei anerkannt, führt das auch im österreichischen Zivil- und Arbeitsrechtsprozess dazu, dass das Gericht keine inhaltliche Entscheidung mehr trifft. Der/die Kläger:in hat nur die Möglichkeit, die Ausstellung eines Anerkenntnisurteils zu beantragen, in welchem in aller Regel ohne nähere inhaltliche Ausführungen zum Verfahrensgegenstand lediglich die zugesprochene Geldsumme angeführt wird. Wird kein Anerkenntnisurteil verlangt, tritt nach herrschender Ansicht Ruhen des Verfahrens ein. Einen Anspruch auf explizite Feststellung der Diskriminierung sehen die Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsgesetze derzeit nicht vor.
Sind die Schadenersatzansprüche schon durch Anerkennung „erledigt“, ist davon auszugehen, dass eine allenfalls mögliche Feststellungsklage zumindest am geforderten „rechtlichen Interesse“ scheitern könnte (siehe z. B. diese OGH-Entscheidung) – außer dieses wird in Zukunft anhand dieses neuen EuGH-Urteils entsprechend ausgelegt.
Fazit
Die Entscheidung des EuGH hat sowohl für Diskriminierungsbetroffene als auch für Antidiskriminierungsorganisationen eine wichtige Klarstellung gebracht. Inwieweit dieses „Recht, gehört zu werden“, wirksam mit den bestehenden prozessualen Möglichkeiten umgesetzt werden kann, müsste erst erprobt werden. Im Sinne der Rechtssicherheit – und eines umfassenden Diskriminierungsschutzes – ist aber auch eine gesetzliche Verankerung zu fordern. Dafür könnte z. B. in den Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsgesetzen bei den Bestimmungen über Rechtsfolgen und Rechtsdurchsetzung ausdrücklich ein zusätzlicher Anspruch auf Feststellung der Diskriminierung vorgesehen werden.