Jemanden im Bereich der Arbeitswelt aufgrund der Religion zu benachteiligen ist aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes verboten. Aber gilt das auch für Kirchen oder andere religiöse Einrichtungen? Der Fall einer Wiener Sozialberaterin, die bei der Bewerbung aufgrund ihrer Religion abgelehnt wurde, wirft Fragen auf, inwieweit konfessionelle Arbeitgeber sich die Religion ihrer Mitarbeiter*innen aussuchen dürfen – oder eben nicht.
Falscher Glaube – Bewerbung abgelehnt
Als ihr Handy an diesem Nachmittag im Oktober läutet und sich jemand von einer Hilfsorganisation meldet, ist die Freude bei Inas A. groß: Erst vor wenigen Tagen hat sie sich dort als Arbeitsmarktberaterin für alleinerziehende Frauen* beworben, und jetzt kommt schon ein Anruf. Die gute Stimmung hält aber nur kurz. In dem Telefongespräch meint die Leiterin, man sei an der Bewerbung von Frau A. sehr interessiert, wolle aber wissen, welchem Glauben sie angehöre? Inas A. antwortet wahrheitsgemäß, dass sie Muslimin ist, und damit ist der Bewerbungsprozess für sie auch schon beendet: Die Leiterin teilt ihr mit, dass man sie leider nicht einstellen könne, da die Hilfsorganisation zu einer kirchlichen Organisation gehöre.
Inas A. ist schockiert, dass ihre Religion bei der Bewerbung wichtiger ist als ihre Qualifikationen. Auf dem Foto im Bewerbungsschreiben war sie mit Hijab abgebildet, ihre Religionszugehörigkeit war klar sichtbar. Sie lässt sich bei ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit beraten und entscheidet dann, mit Unterstützung des Klagsverbands vor Gericht zu gehen.
Wie weit reicht die Ausnahme vom Diskriminierungsverbot für Tendenzbetriebe?
Der Klagsverband hat sich von dem Verfahren eine Antwort der österreichischen Gerichte auf die Frage erwartet, wie weit die Ausnahme von sogenannten Tendenzbetrieben beim Diskriminierungsverbot gehen darf. Diese Ausnahme betrifft konfessionelle Arbeitgeber, wenn eine bestimmte Religionszugehörigkeit eine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung für eine bestimmte Tätigkeit darstellt. Der Klagsverband vertritt die Ansicht, dass die Ausnahme hier eng auszulegen ist. Religion ist Privatsache und kann nur in ganz bestimmten Fällen, gleichsam als Teil der Qualifikation, eine Rolle spielen.
Das Musterverfahren im Fall von Frau A. wirft einige sehr interessante Fragen auf, für die es in Österreich noch keine Rechtsprechung von Höchstgerichten gibt. Allerdings liefert der Europäische Gerichtshof (EuGH) in zwei Fällen aus dem Jahr 2018 einige Anhaltspunkte (EuGH Egenberger C-414/16 und EuGH IR gegen IQ C-68/17): Der EuGH betont dabei, dass eine religiöse Organisation nicht selbst festlegen kann, für welche Tätigkeiten eine Religionszugehörigkeit eine wesentliche Anforderung ist. Maßstab sei zwar das Ethos der betreffenden Organisation, eine wirksame Kontrolle der Gerichte müsse aber möglich sein.
Inas A. hätte als Arbeitsmarktberaterin in der Hilfsorganisation keine Glaubensinhalte verbreiten müssen. Sie wäre Beraterin im Sozialbereich, und dafür hatte sie die notwendigen Qualifikationen mitgebracht.
Konfessionelle Arbeitgeber mit gesellschaftspolitischer Verantwortung
Der Fall von Inas A. hat aber auch eine wesentliche gesellschaftspolitische Dimension: Konfessionelle Arbeitgeber sind in Österreich im Sozialbereich sehr stark vertreten. Meistens bekommen sie auch öffentliche Gelder und haben somit auch eine entsprechende Verantwortung. Sie dürfen die Ausnahme vom Diskriminierungsverbot nicht dazu verwenden, Bewerber*innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu diskriminieren.
Religionszugehörigkeit keine sachliche Anforderung
Der Klagsverband hat bei Gericht einen immateriellen Schadenersatz in Höhe von 500 Euro eingeklagt und argumentiert, dass die christliche Religionszugehörigkeit der Bewerber*innen nicht als sachliche Anforderung gelten kann. Auf der Internetseite wird die Hilfsorganisation als offen für alle Klient*innen, unabhängig von ihrem Religionsbekenntnis, beworben.
Leider wurde die Frage der Religionsdiskriminierung in Tendenzbetrieben nicht beantwortet. Frau A.s Ansprüche wurden bereits finanziell abgegolten, bevor es überhaupt zu einer Verhandlung gekommen ist. Frau A. war enttäuscht, sie hatte keine Möglichkeit, ihren Standpunkt vor Gericht darzustellen.
Antimuslimischer Rassismus
Die Geschichte von Inas A. ist aber nicht nur eine Geschichte über die Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot für Tendenzbetriebe. „Als Muslima können Sie nicht neutral beraten“, das wurde ihr am Telefon gesagt. Es ist auch eine Geschichte über antimuslimischen Rassismus.
Dabei wird angenommen, dass ihre Religion hinderlich ist, um ihren Beruf professionell auszuüben. Die Tatsache, dass in der Hilfsorganisation Frauen mit den verschiedensten Muttersprachen betreut werden und die Mehrsprachigkeit von Inas A. eine Zusatzkompetenz gewesen wäre, wird von Vorurteilen und klischeehaften Denkmustern überdeckt. Der Gedanke ließe sich auch umdrehen: Könnte der katholische Glauben hinderlich sein bei der Beratung von Klient*innen mit vielfältigen ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten?
Inas A. hätte sich gewünscht, dass es zu einem Verfahren kommt, damit ein Gericht feststellt, ob diese Form der Diskriminierung rechtens ist oder nicht. „Meine Religion war wichtiger als meine Qualifikation. Das hat mich zutiefst enttäuscht. Ich habe mich entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil ich will, dass anderen nicht dasselbe passiert wie mir“, erklärt sie.
Persönliche Merkmale wichtiger als Qualifikation
ZARA und der Klagsverband bedauern, dass es zu keiner juristischen Klärung dieser wichtigen Frage gekommen ist. Schließlich handelt es sich hier um keinen Einzelfall: Viele muslimische Frauen sind im Bewerbungsverfahren mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert – wenn etwa das Abnehmen des Kopftuchs zur Bedingung für die Einladung zum Bewerbungsgespräch wird. Somit steht die Geschichte von Inas A. auch stellvertretend für rassistische Diskriminierung am Arbeitsmarkt.
Ausgrenzung schadet nicht nur den Ausgegrenzten, sondern der gesamten Gesellschaft, hat die Wissenschafterin Judith Kohlenberger erst vor Kurzem bei einer Klagsverbands-Diskussion zur Gleichstellung gesagt. Denn die Geschichte von Inas A. ist auch eine Geschichte über Diversität: Als Bewerberin bringt sie eine Fülle von Qualifikationen und Kompetenzen mit. Aus Sicht des Arbeitgebers zählt aber nur ihre Religion, ein höchstpersönliches Merkmal.
Mit so einer vorurteilsbehafteten Einstellung verkleinern Arbeitgeber ihren Pool an infrage kommenden Kandidat*innen. Arbeitgeber im religiösen Kontext wären nicht nur aus rechtlicher Sicht gut beraten, ihre Einstellungspolitik zu ändern.
Der Klagsverband kennt ähnliche Fälle: Ein konfessionelles Spital in Wien hat eine Bewerberin abgelehnt, weil sie kein Religionsbekenntnis hatte. Es ging um eine Stelle in der Verwaltung. Auch in diesem Fall konnte mit der Klage kein Urteil erwirkt werden, weil die Klägerin zu einem Vergleich bereit war.
Für Inas A. ist die Geschichte zwar anders, aber doch noch gut ausgegangen: Sie arbeitet jetzt in einer Quarantäne-Station, wo Hygiene besonders wichtig ist. Statt ihres Kopftuchs kann sie dort eine waschbare Haube tragen, und ihr Arbeitgeber war von Anfang an respektvoll und bemüht, eine gute Lösung zu finden.