Vorausschauende Arbeitsmarkt­politik – wichtige Aufgabe der neuen Bundes­regierung

14. Oktober 2024

Demografischer Wandel, Digitalisierung und der notwendige soziale und ökologische Umbau: Die Herausforderungen am österreichischen Arbeitsmarkt sind vielfältig und werden die künftige Bundesregierung beschäftigen. Die aktuelle Bundesregierung hat im Bereich der Arbeitsmarktpolitik viele Baustellen hinterlassen: Das Ziel der Vollbeschäftigung rückte in weite Ferne, dem AMS wurden nicht die Mittel gewährt, die es für die Erfüllung seiner umfassenden Aufgaben braucht und so nehmen Ungleichheiten am Arbeitsmarkt ungebremst zu. Reformen sind daher dringend geboten, um den österreichischen Arbeitsmarkt inklusiver und zukunftsfit zu gestalten.

Negative Bilanz der Bundesregierung

Durch die Herausforderungen der Covid-19-Krise wurde die Resilienz der österreichischen Arbeitsmarktpolitik unter Beweis gestellt. Der umfassende und rasche Einsatz von Kurzarbeit unter entscheidender Mitwirkung der Sozialpartner federte noch schlimmere Entwicklungen ab. In der Krise wurde auch das AMS außerordentlich gefordert und erwies besondere Leistungsfähigkeit. Zwar hat sich der österreichische Arbeitsmarkt überraschend schnell erholt, jedoch hat sich das Blatt mittlerweile gewendet: Seit Monaten ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Insgesamt entfernt sich Österreich immer weiter von Vollbeschäftigung. Gleichzeitig besteht − neben einem von Unternehmen vielfach selbst verschuldeten Mangel aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen, zu hoher Erwartungen im Recruiting und eines zunehmenden Rückzugs aus betrieblicher Weiterbildung − in vielen Bereichen ein echter Bedarf nach Arbeitskräften. Auf diese strukturellen Probleme hat die aktuelle Bundesregierung zu wenig reagiert und sie so verschärft.

Was eine neue Regierung angehen muss

Eine der gesetzlichen Aufgaben des AMS besteht darin, die Vollbeschäftigungspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Die letzte Bundesregierung hat dem Ziel der Vollbeschäftigung jedoch kaum Bedeutung beigemessen.
Der demografische Wandel, die Digitalisierung sowie der notwendige soziale und ökologische Umbau sind zwar große Herausforderungen, sie eröffnen aber auch Möglichkeiten, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Klar ist dabei, dass aktive Arbeitsmarktpolitik allein keine Vollbeschäftigung schaffen, sondern dieses Ziel – wie im Gesetz festgeschrieben – nur unterstützen kann. Es braucht daher das Bekenntnis einer neuen Bundesregierung zu einer Wirtschaftspolitik, die das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgt.

Qualifizierung als Antwort auf den Arbeits- und Fachkräftebedarf

Der österreichische Arbeitsmarkt ist weiterhin von einem Mismatch geprägt: Die auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Arbeitnehmer:innen haben in vielen Fällen nicht die von den Unternehmen nachgefragten beruflichen Qualifikationen. Dies wird noch verstärkt durch sich immer rascher ändernde Anforderungen bedingt durch Digitalisierung und die notwendige soziale und ökologische Wende.
Auch der demografische Wandel stellt den österreichischen Arbeitsmarkt vor zunehmende Herausforderungen. Aufgrund der Pensionswelle der Babyboomer-Generation wird der sogenannte Ersatzbedarf in vielen Bereichen dramatisch steigen.

Gerade weil die Herausforderungen so vielschichtig sind, bedarf es einer umfassenden Strategie der künftigen Bundesregierung zur Deckung des Bedarfs an Fach- und Arbeitskräften. Eine solche muss einen Bedarf bestmöglich feststellen, einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Ursachen eines Arbeitskräftebedarfs werfen und konkrete Lösungsmaßnahmen zur Deckung des Bedarfs bieten.

Ein zentraler Teil der Lösung ist jedenfalls eine umfassende Qualifizierungsoffensive sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitssuchende.

Bereits jetzt bestehen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik Förderinstrumente, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitnehmer:innen zu decken. Sie müssen jedenfalls ausgebaut werden. Es braucht eine gute finanzielle Absicherung für die Teilnehmer:innen, einen Rechtsanspruch für die Gewährung einer Förderung sowie den Fokus auf Qualifizierungsangebote, die zu zertifizierten, am Arbeitsmarkt tatsächlich verwertbaren Ausbildungsabschlüssen führen.

Doch selbst die besten arbeitsmarktpolitischen Förderungen nützen wenig ohne grundlegende Änderungen in der Arbeitsmarktpolitik. Aktuell gilt der Vorrang Vermittlung vor Qualifizierung. Qualifiziert wird zumeist nur, wenn die Vermittlung nicht gelingt. Das führt häufig zum sogenannten Drehtüreffekt, der wiederholten Beschäftigung niedrig qualifizierter Arbeitnehmer:innen in schlecht entlohnten und prekären Jobs, gepaart mit regelmäßigen Perioden von Arbeitslosigkeit. Daher muss endlich die Gleichrangigkeit von Qualifizierung und Vermittlung gesetzlich verankert werden.
Darüber hinaus bedarf es einer tatsächlichen Existenzsicherung während einer Qualifizierung, denn mit den bestehenden Förderhöhen ist es kaum möglich, den Lebensunterhalt zu bestreiten und längere Ausbildungen abzuschließen.

Auch im Bereich der Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte braucht es dringend Reformen: ein Qualifizierungsgeld, das allen Personen über 25 Jahren, die beruflichen Neuorientierungs- oder grundlegenden Weiterbildungsbedarf haben, eine Weiterbildung existenziell ermöglicht.

Steigende Arbeitslosigkeit bekämpfen und Chancen eröffnen

Seit Monaten steigt die Arbeitslosigkeit, besonders betroffen sind Jugendliche. Sie finden oft keinen geeigneten Ausbildungsplatz und jungen Erwachsenen gelingt der Einstieg in den Arbeitsmarkt nur schwer. Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen ist eine Investition in die Zukunft. Gute Erstausbildung erhöht die Chancen, sich auf dem Arbeitsmarkt gut zurechtzufinden, deutlich und ist notwendig, um den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.

Daher müssen im Rahmen der Ausbildung bis 18 und der Ausbildungsgarantie bis 25 ausreichende und qualitative Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, die es Jugendlichen und jungen Erwachsenen ermöglichen, einen Ausbildungsabschluss zu erwerben. Für zugewanderte Jugendliche müssen gezielte Deutschförderung und Maßnahmen zur Basisqualifikation sichergestellt werden.

Nicht nur für die Jungen gilt: Die Herausforderungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt werden nicht bewältigt werden, wenn es nicht gelingt, Menschen mit Migrationsbiografie gut zu integrieren. Eine Wiederdotierung des Integrationsjahrs, Erleichterung bei der Anerkennung von Qualifikationen und ausreichende Deutschförderung sind dringend geboten.

Auch die Chancen jener, die schon länger arbeitslos sind, werden aufgrund der derzeit schlechten Wirtschaftslage immer prekärer. Es braucht innovative Maßnahmen wie eine Jobgarantie und Projekte, die diesen Menschen eine Chance auf dauerhafte Beschäftigung geben.

Es braucht eine neue Arbeitslosenversicherung, die Arbeitslose gut unterstützt

Die scheidende Bundesregierung hat monatelang erfolglos um eine Reform der Arbeitslosenversicherung (AlV) gerungen. Die zentralen Herausforderungen wurden dabei jedoch nicht adressiert.

Eine adäquate Arbeitslosenversicherung muss vor einem finanziellen Abstieg schützen sowie einen Wiedereinstieg ermöglichen, bei dem Menschen besser ihren Kompetenzen und ihrem bisherigen Einkommen entsprechend in den Arbeitsmarkt zurückfinden können. Das bedeutet Verbesserungen bei Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe. Notwendig ist auch eine Reform der Zumutbarkeitsbestimmungen, die festlegen, wann eine Beschäftigung auch angenommen werden muss, da sonst eine Leistungssperre droht. Hier braucht es einen verbesserten Entgelt- und Berufsschutz.

Fazit

Die neue Bundesregierung muss viele schwierige Aufgaben bewältigen. Eine besondere Herausforderung wird sein, Lösungen zu finden, die den Menschen ein gutes Leben ermöglichen und im Sinne eines guten Interessenausgleichs gleichzeitig die Wirtschaft stärken. Die Arbeitsmarktpolitik ist ein wichtiger Teil der Antworten. Kernelemente sind mehr und besser abgesicherte Qualifizierung, ein ausgebautes Integrationsjahr, mehr Unterstützung für Junge beim Berufseinstieg und eine Arbeitslosenversicherung, die einen guten Wiedereinstieg besser unterstützt. Klar ist aber, es braucht dafür mehr Budget für die Arbeitsmarktpolitik und vor allem mehr Personal, um Arbeitsuchende in allen Regionen gut vermitteln, beraten und unterstützen zu können.

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