Viele Menschen werden bei der Suche nach Arbeit oder in der Arbeit selbst benachteiligt. Häufig aufgrund mehrerer Merkmale, also beispielsweise als Frau und als Migrantin oder Frau mit Behinderung. Mehrfach- und intersektionale Diskriminierung stellt in Österreich ein ernstes und vernachlässigtes Problem dar. Dabei betrifft es unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen und viele Lebensbereiche, so auch die Arbeitswelt. Doch es fehlt an gesellschaftlichem Bewusstsein und effektiven Maßnahmen.
„Erst wenn diejenigen, die unter Mehrfachdiskriminierungen leiden, nicht mehr übersehen werden, wird es möglich, darauf mit einschlägigen Rechtsvorschriften und einer geeigneten Sozialpolitik zu reagieren.“ (Sandra Fredman).
Rechtsfälle aus der Praxis: Diskriminierung im Alltag
Die folgenden Beispiele zeigen, auf wie vielfältige Weise Benachteiligungen in der Arbeitswelt stattfinden:
Eine im Rahmen eines Ausbildungsverbundes beschäftigte türkischstämmige Arbeitnehmerin wird aufgefordert, ihr Kopftuch abzulegen und ihre schwarzen Haare zu färben. Sie wird vor der Kundschaft nicht mit ihrem eigenen Namen, sondern mit „Kathi“ angesprochen (GBK II/79/09).
Einer Arbeitnehmerin wird beim Beendigungsgespräch vom Redaktionsleiter des Verlages mitgeteilt, sie sei „jetzt auch keine 20 mehr“ und wolle wahrscheinlich irgendwann eine Familie planen. Je früher sie einen Weg einschlage, der sie glücklicher mache und ihr persönlich mehr bringe, desto besser sei es (GBK I/714/16-M).
Im Arbeitsvertrag einer Bordstewardess wurde eine Klausel aufgenommen, durch die die Beendigung des Vertrages vorgesehen wird, wenn die Arbeitnehmerin das Alter von 40 Jahren erreicht. Im Arbeitsvertrag der männlichen Purser (Senior Cabin Crew Member), die die gleiche Arbeit zu leisten haben, ist keine derartige Beendigung vorgesehen (EuGH 15.6.1978, C-149/77, Defrenne).
All diese Arbeitnehmerinnen wurden aufgrund von Vorurteilen diskriminiert. Die Betroffenen werden durch Benachteiligungen aufgrund persönlicher Merkmale wie Geschlecht oder ethnische Herkunft herabgesetzt und in eine ausweglose Situation gebracht, weil sie diese Merkmale aufweisen. Gleichbehandlungsrecht hat zum Ziel, diese Benachteiligungen und Diskriminierungen zu verhindern und einen Ausgleich für erlittene Diskriminierungen zu schaffen. Menschen sollen in ihrem „So-Sein“ geschützt werden.
Diskriminierungssituationen betreffen aber, wie die Beispiele zeigen, teilweise nicht eindeutig ein bestimmtes geschütztes Diskriminierungsmerkmal, sondern eine Person kann verschiedene Merkmale in sich tragen, an die in Kombination durch die diskriminierende Handlung angeknüpft wird. Die Betrachtung der Diskriminierung nur aus der Perspektive eines einzigen Grundes wird vielen Erscheinungsformen der Ungleichbehandlung somit nicht gerecht.
Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität – Was bedeutet das?
Im österreichischen Recht gibt es keine allgemeingültige Definition von Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität, nur vereinzelte Anknüpfungspunkte an den Begriff der Mehrfachdiskriminierung, wie beispielsweise hinsichtlich der Berücksichtigung bei der Bemessung von immateriellem Schadenersatz (siehe bspw. § 12 Abs 13 Gleichbehandlungsgesetz). Auf europarechtlicher Ebene definieren erstmals die EU-Richtlinien über Standards für Gleichbehandlungsstellen 2024/1500 sowie 2024/1499 den Begriff der „intersektionalen Diskriminierung“ als Diskriminierung „aufgrund einer Kombination von Diskriminierungsgründen“.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich differenzierende Definitionen von Mehrfachdiskriminierung. Wenn eine Person wiederholt wegen mehrerer Gründe benachteiligt wird, handelt es sich um eine „additive“ Diskriminierung. Eine „kumulative“ Diskriminierung ist eine (einzige) Benachteiligung wegen mehrerer Gründe. Und eine „intersektionelle“ Diskriminierung liegt vor, wenn sich eine Benachteiligung wegen mehrerer Gründe erst aus der Kombination dieser Gründe ergibt.
In der Soziologie ist intersektionale Diskriminierung ein zentraler Begriff, der beschreibt, wie verschiedene soziale Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität, soziale Schicht, sexuelle Orientierung, Behinderung oder Alter sich überschneiden und in ihrer Interaktion komplexe Formen der Benachteiligung erzeugen. Diese Herangehensweise untersucht, wie Identitätsmerkmale nicht isoliert voneinander wirken, sondern sich wechselseitig verstärken oder abschwächen können und spezifische Diskriminierungserfahrungen entstehen.
Ursprung des Begriffs Intersektionalität: Kimberlé Crenshaw
Die Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw führte den Begriff der Intersektionalität Ende der 1980er Jahre in den Diskurs ein. Sie kritisierte die US-amerikanische Antidiskriminierungsgesetzgebung, da diese schwarzen Frauen keinen ausreichenden Schutz bot. Ein Beispiel ist die sogenannte „Last hired, first fired“-Politik eines Unternehmens. Diese führte dazu, dass schwarze Frauen besonders häufig entlassen wurden, da sie durch frühere Einstellungspraktiken ohnehin schon benachteiligt waren: Schwarze Männer und weiße Frauen waren eingestellt worden, schwarze Frauen jedoch nicht. In Fällen wie diesen wirkten die Antidiskriminierungsgesetze entweder zugunsten von weißen Frauen oder schwarzen Männern – schwarze Frauen blieben jedoch ungeschützt.
Crenshaw beschreibt Intersektionalität als eine Perspektive, die untersucht, wie verschiedene Formen von Ungleichheit zusammenwirken und eine kumulative, verstärkende Wirkung entfalten. Menschen, die gleichzeitig mehreren Diskriminierungsfaktoren ausgesetzt sind, erleben spezifische Formen der Ausgrenzung, die sich stark von denen unterscheiden, die „nur“ eine einzelne Form der Diskriminierung erfahren.
Beispiele für Spielarten und Erweiterungen des Konzepts der Intersektionalität
Birgit Rommelspacher, eine deutsche Sozialwissenschaftlerin und Psychologin, erweiterte das Konzept der Intersektionalität. In ihrem Buch „Dominanzkultur: Texte zu Fremdheit und Macht“ (1995) untersucht sie, wie Machtverhältnisse und Diskriminierungsformen ineinandergreifen und einander verstärken können. Sie betont, dass Diskriminierungen – etwa auf Basis von „Rasse“, Geschlecht oder Klasse – nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Stattdessen plädiert sie für eine Analyse, die die komplexen Wechselwirkungen dieser Formen der Ungleichbehandlung berücksichtigt.
Auch Pierre Bourdieu, obwohl er den Begriff „Intersektionalität“ nicht verwendet hatte, gilt durch seine Analysen sozialer Machtverhältnisse, Klassenunterschiede und der Reproduktion sozialer Ungleichheiten als bedeutender Wegbereiter für das Verständnis intersektionaler Diskriminierung. Mit seinem Konzept des „Habitus“ verdeutlichte er, wie soziale Positionen und Lebensbedingungen das Verhalten und die Wahrnehmung von Individuen prägen. Seine Theorien zu Kapitalformen (ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital) erklären, wie ungleiche Machtverhältnisse auf verschiedenen Dimensionen entstehen und ineinanderwirken. Diese Ansätze liefern die Grundlage, um das Zusammenspiel von Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus und Klassismus zu verstehen und werden in intersektionalen Analysen häufig herangezogen.
Empirische Befunde: Diskriminierungserfahrungen in Österreich und darüber hinaus
Ein umfassendes Bild von Mehrfachdiskriminierungen in Österreich zeigt die Studie „Diskriminierungserfahrungen in Österreich 2019“. Sie analysiert Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen in Bezug auf Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Religion und soziale Herkunft. Fast die Hälfte der Befragten gab an, in den letzten drei Jahren Diskriminierungen in zumindest einem der Bereiche Arbeit, Wohnen, Gesundheit oder Bildung erfahren zu haben. Diese Erfahrungen sind jedoch nicht gleichmäßig über alle Bevölkerungsgruppen verteilt. Besonders häufig berichten Migrant:innen, Menschen muslimischen Glaubens, Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Homosexuelle und sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen von Benachteiligungen.
Besonders ausgeprägt ist die Belastung durch Diskriminierung in der Arbeitswelt: Rund ein Drittel der Befragten gab an, dass die erlebte Diskriminierung ihre Fähigkeit, ihre Arbeit gut zu verrichten, erheblich beeinträchtigt. Etwa 13 Prozent berichteten, dass sie aufgrund der Diskriminierung krank geworden seien. Diese Ergebnisse verdeutlichen die weitreichenden Folgen von Diskriminierung – sowohl für die Betroffenen, die unter psychischen Problemen wie Stress, Angst und Depressionen und in weiterer Folge oft auch körperlichen Erkrankungen leiden, als auch für die Unternehmen, die Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität ihrer Mitarbeiter:innen verlieren. Diskriminierung führt außerdem häufig zu einem Gefühl der sozialen Ausgrenzung und einem Verlust des Vertrauens in öffentliche Institutionen.
Die Studienergebnisse zeigen, dass Personen, die von mehrdimensionaler Diskriminierung betroffen sind, im Vergleich zu denen, die „nur“ eine Form der Diskriminierung erfahren, stärkere und vielfältigere Benachteiligungen erleben. Internationale Studien zeigen beispielsweise für Großbritannien, dass schwarze Frauen im Vergleich zu ihren weißen männlichen Kollegen signifikant geringere Chancen auf beruflichen Aufstieg haben und häufiger Diskriminierung am Arbeitsplatz erleben. Eine deutsche Studie belegt, dass Migrantinnen besonders stark von intersektionaler Diskriminierung betroffen sind, insbesondere am Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen.
Die Studie „Arbeitssituation von LSBTI-Personen in Österreich“ weist auf, dass trans* und intersexuelle Menschen mit Migrationshintergrund besonders häufig Diskriminierungen in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit, bei Gehalt, Aufstieg oder Urlaubsregelungen erfahren. Insbesondere die Verknüpfung der Diskriminierungsmerkmale (weibliches) Geschlecht und Elternschaft bzw. (weibliches) Geschlecht und Drittstaatsangehörigkeit führt zu verminderten Chancen beim Zugang zu Erwerbsarbeit, wie eine Studie des WIFO und der AK Niederösterreich zeigt.
All diese Analysen legen nahe, dass traditionelle Ansätze zur Bekämpfung von Diskriminierung oft unzureichend sind, da sie die Komplexität intersektionaler Diskriminierung nicht vollständig erfassen. Eine systematische Erhebung und Auswertung von Daten, um das Ausmaß und die Folgen intersektionaler Diskriminierung besser zu verstehen und gezielte Gegenstrategien zu entwickeln, wäre somit wichtig.
Fazit: Klare Maßnahmen gegen Mehrfachdiskriminierung notwendig
Die Realität zeigt klar: Mehrfach- und intersektionale Diskriminierung stellt eine schwerwiegende Herausforderung in Österreich dar – auch in der Arbeitswelt – und es besteht Handlungsbedarf. Verbindliche Antidiskriminierungsmaßnahmen und Frauenfördermaßnahmen in Form von erzwingbaren Betriebsvereinbarungen sowie Präventionskonzepte gegen Belästigung in Betrieben müssen gesetzlich verankert werden. Die diversere Ausgestaltung von betrieblichen Mitbestimmungsgremien verbessert nicht nur die Vertretung von Diskriminierungsbetroffenen, sondern von allen Beschäftigten. Um Betroffene wirksam zu schützen, braucht es unter anderem höhere Schadenersatzansprüche, die Diskriminierung für Arbeitgeber:innen unwirtschaftlich macht, sowie gezielte Schulungen beispielsweise für Führungskräfte. Zudem braucht es die Einführung eines Verbandsklagerechts für Arbeiterkammern, ÖGB und Gewerkschaften, um strukturelle Diskriminierung effizienter bekämpfen zu können und die Betroffenen zu entlasten.
Nur durch einen umfassenden Ansatz, der auch Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität stärker in rechtliche und politische Maßnahmen integriert, kann dieser Form von struktureller Ungleichheit effektiv begegnet werden.