In der arbeitsrechtlichen Beratung zeigt sich regelmäßig eine systematische Unterentlohnung von Arbeitnehmer:innen. Der Schaden geht aber weit über die Vorenthaltung des Entgelts hinaus. Allein über Scheinfirmen fließen laut dem Amt für Betrugsbekämpfung jährlich bis zu 800 Millionen Euro an Schwarzgeldern, die u. a. zu einer Verkürzung von Sozialversicherungsbeiträgen und der Lohnsteuer führen. Mit gesetzwidrigem Verhalten und gesellschaftsrechtlichen Manövern werden die Kosten damit auf die Allgemeinheit und insbesondere auch auf redliche Unternehmen abgewälzt. Und das mit System.
Muster und Strukturen statt Einzelfälle
Unterentlohnung passiert mittlerweile in den unterschiedlichsten Branchen. Es stechen aber besonders Baugewerbe, Gastronomie, Kleintransportgewerbe und die Arbeitskräfteüberlassung heraus. Wie die Erfahrung aus der arbeitsrechtlichen Beratung und Vertretung der AK Mitglieder zeigt, ist Unterentlohnung keinesfalls ein Randphänomen, das einzelne ausländische Unternehmen betrifft. Es sind vielfach Arbeitnehmer:innen österreichischer Arbeitgeber, die von Unterentlohnung betroffen sind. Die Unterentlohnung geht dabei meist mit anderen Verstößen gegen arbeits- und sozialrechtliche Vorgaben Hand in Hand.
Sub-Unternehmer-Ketten zur Gewinnmaximierung
Die Vergabe von Unteraufträgen in immer länger werdenden Sub-Unternehmer-Ketten hat sich als Spielwiese für dubiose Geschäftsmodelle und Rechtsmissbrauch in manchen Branchen etabliert. Jene Unternehmen, die in der Kette oben angesiedelt sind, machen Gewinne. Die Verantwortung wird aber immer weiter an Sub- und Sub-Sub-Unternehmen abgegeben. Den Schaden tragen letztens Endes oft die in den Sub-Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer:innen und die Allgemeinheit. Denn die meisten der sich im unteren Bereich der Sub-Unternehmerkette befindlichen Firmen landen in der Insolvenz. Die Einnahmen des Insolvenzfonds, der einspringt, um die Ansprüche der Arbeitnehmer:innen auszugleichen, speisen sich aus Beiträgen der redlichen Arbeitgeber.
Systematischer Missbrauch trifft auf systematische Bekämpfung
Mit der Häufung von Beratungsfällen in der AK Wien erhöhte sich in den vergangenen Jahren der Handlungsbedarf, um systematische Verstöße gegen arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen aufzudecken und diesen effektiv entgegenzutreten. Wie schon bisher werden die vorhandenen rechtlichen Instrumente genutzt, Anzeigen und Wahrnehmungen werden eingebracht und Haftungstatbestände aufgegriffen. Eine eigens eingerichtete Stabsstelle für Betrugsbekämpfung in der AK Wien wertet die Beratungsdaten zudem systematisch aus und nimmt gezielt problematische Branchen und Unternehmen unter die Lupe. So können die unredlichen Unternehmen gemeinsam mit Gewerkschaften, Betriebsräten und Betroffenen zur Verantwortung gezogen werden.
Regelmäßig findet ein Austausch mit jenen Institutionen statt, die im Bereich der Bekämpfung von Lohndumping und Sozialbetrug agieren. Dazu gehören die ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) mit dem Kompetenzzentrum LSDB (Lohn- und Sozialdumping), die Gewerbebehörden, die IEF Service GmbH (Verwaltung des Insolvenz-Entgelt-Fonds), das Amt für Betrugsbekämpfung und die BUAK (Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse).
Mit dieser Zusammenarbeit kann gewährleistet werden, dass dem gemeinsamen Interesse an der Bekämpfung von Lohndumping und Sozialbetrug effizient entsprochen werden kann. Wesentlich ist allerdings, dass gemeinsam auch neue Instrumente zur Bekämpfung von Lohndumping und Sozialbetrug erarbeitet werden. Die Stabsstelle Betrugsbekämpfung in der AK Wien setzt genau hier an, nicht nur Einzelfälle zu betreuen, sondern eine systematische Bekämpfung voranzutreiben.
Notwendige Maßnahmen für eine wirkungsvolle Bekämpfung
Regulierung der Subunternehmensstruktur:
Haftung des Erstauftraggebers für die Löhne
Nicht nur in der Baubranche ist es üblich, Aufträge an Subunternehmen und von diesen teilweise weiter an Sub-Subunternehmen zu vergeben. Dadurch entledigen sich die Erstauftraggeber ihrer Verantwortung und es entstehen Subunternehmerketten, die den Druck auf die Arbeitsbedingungen erhöhen und einen idealen Nährboden für Sozialbetrug, undokumentierte Arbeit (Schwarzarbeit) und Lohndumping bilden. Die Haftung des Erstauftraggebers für die Löhne wäre eine wirksame Maßnahme, um die Subvergaben weniger attraktiv zu machen und die Verantwortung für die korrekte Entlohnung dort anzusiedeln, wo die Hautprofiteure dieses Systems sind.
Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge
Im Baubereich gibt es schon seit vielen Jahren eine Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge. Die Erfahrungen sind gut. Die Österreichische Gesundheitskasse ist seitdem wesentlich erfolgreicher darin, die Beiträge einzubringen. Es wäre daher sinnvoll – so wie in Deutschland (Paketboten-Schutz-Gesetz) – diese Haftung auch auf andere Bereiche auszudehnen.
Wirksames Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping:
Wiedereinführung des Kumulationsprinzips
Wir fordern die Wiedereinführung des „Kumulationsprinzips“ im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Das Kumulationsprinzip sah vor, dass bei Begehung mehrerer Straftaten, wie z. B. Unterentlohnung der Beschäftigten, für jede einzelne Gesetzesübertretung eine Strafe entrichtet werden musste.
„Duplum“
Wenn offene Forderungen nicht fristgerecht bezahlt werden, soll künftig der doppelte Betrag fällig werden. Damit soll verhindert werden, dass Beschäftigtenlöhne als „Liquiditätspuffer“ missbraucht werden.
Mehr Kontrollen
Um Lohn- und Sozialdumping sowie undokumentierte Arbeit zu bekämpfen und den Arbeitnehmer:innenschutz sicherzustellen, muss mehr kontrolliert werden. Dafür ist eine massive personelle Aufstockung der zuständigen Behörden (insbesondere Finanzpolizei, Sozialversicherung und Arbeitsinspektorat) notwendig.
Mehr Schutz vor Scheinselbstständigkeit:
Wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit beim Arbeitnehmer:innenbegriff
Wenn bei Scheinselbstständigkeit geprüft wird, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, sollen wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit stärker berücksichtigt werden. Zur leichteren Rechtsdurchsetzung soll es eine „Vermutungsregel für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses“ geben. Das heißt, dass Personen, die wie Arbeitnehmer:innen arbeiten, bei Gericht nicht auch noch beweisen müssen, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt.
Anhang der wesentlichen Gesetzesbestimmungen
Unterentlohnung (§ 29 LSD-BG):
Bezahlt der Arbeitgeber das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt nicht, begeht er eine Verwaltungsübertretung. Diese ist mit einer Geldstrafe sanktioniert, die abhängig von der Höhe der Unterentlohnung und Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer:innen im äußersten Fall bis zu EUR 400.000,000 betragen kann.
Die Stabsstelle übermittelt hier Wahrnehmungen aus der Einzel- und Gruppenberatung an die ÖGK, die in weiterer Folge Anzeige bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde erstatten kann.
Gewerbeanzeigen (§§ 366ff GewO 1994):
Übt der Arbeitgeber Tätigkeiten aus, ohne über die dafür vorgeschriebene Gewerbeberechtigung zu verfügen, begeht er eine Verwaltungsstraftat, die eine Geldstrafe nach sich ziehen kann. Entsprechende Anzeigen werden von der Stabsstelle bei den Bezirksveraltungsbehörden eingebracht.
Falsche Meldung zur Sozialversicherung (§ 111 ASVG):
Der Arbeitgeber ist u. a. nach dem ASVG dazu verpflichtet, Arbeitnehmer:innen rechtzeitig und richtig zur Pflichtversicherung anzumelden. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so begeht er eine Verwaltungsübertretung. Auch hier bringt die Stabsstelle entsprechende Anzeigen bei den Bezirksverwaltungsbehörden ein.
Haftungen:
Ziel dieser Bestimmungen ist es, denjenigen zur Zahlung heranzuziehen, der den Profit aus der Leistung der Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet hat.
1. Arbeitskräfteüberlassung (§ 14 AÜG)
Im Fall der Überlassung von Arbeitskräften an einen Beschäftigerbetrieb haftet der Beschäftiger für das Entgelt der an ihn überlassenen Arbeitnehmer:innen.
Entgelt, das der Überlasser an die Arbeitnehmer:innen nicht bezahlt hat, kann beim Beschäftiger eingefordert werden.
2. Haftung bei öffentlichen Aufträgen (§ 10 LSD-BG)
Die Bestimmung greift für den Fall, dass ein Auftrag, oder ein Teil eines öffentlichen Auftrags in einer nach dem Vergaberecht unzulässigen Weise weitergegeben wurde.
Die rechtswidrige Weitergabe löst eine Haftung des Auftraggebers als Bürge und Zahler nach § 1357 ABGB aus und umfasst das kollektivvertragliche Entgelt der Arbeitnehmer:innen, die für das Subunternehmen tätig waren.
3. Haftung bei Scheinunternehmen (§ 9 SBBG)
Wird der Auftrag auf ein Subunternehmen weitergegeben, welches zum Scheinunternehmen erklärt wurde, haftet der Auftraggeber für die Lohnansprüche der Arbeitnehmer:innen des Scheinunternehmens. Und zwar in den Fällen, in denen er zum Zeitpunkt der Auftragserteilung wusste oder wissen musste, dass es sich beim Auftragnehmer/ Subunternehmer um ein Scheinunternehmen im Sinne des § 8 Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG) handelt.
Das Bundesministerium für Finanzen pflegt eine Liste der per Bescheid festgestellten Scheinunternehmen unter https://service.bmf.gv.at/service/allg/lsu/