Verbesse­rungen nur auf dem Papier? Die schwie­rige Kon­trolle der Entsen­dung von Beschäf­tigten aus Dritt­staaten

24. Juli 2024

Schweden im Februar 2024: Zwei migrantische Bauarbeiter warten seit Monaten auf ihr Gehalt, das sich insgesamt auf fast 30.000 Euro beläuft. Ihr Arbeitgeber, ein Subunternehmen, ist nicht erreichbar. Berichte über undurchsichtige Subunternehmensketten, Lohndiebstahl, Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen von Migrant:innen und mobilen Arbeitnehmer:innen gibt es in vielen Ländern der EU. Der Ernst der Lage wird auch insofern deutlich, als mehr als 30 Arbeiter:innen auf Baustellen in verschiedenen EU-Ländern innerhalb der letzten Monate ums Leben kamen.

Oft handelt es sich in derartigen Fällen um Arbeitnehmer:innen, die von ihrem Arbeitgeber aus einem anderen EU-Staat temporär entsandt werden. Entsendung hat in der EU in den letzten Jahren stark zugenommen. So hat sich die Anzahl von Entsendungen zwischen 2012 und 2022 verdreifacht. Die 4,6 Millionen Entsendungen im Jahr 2022 entsprechen 1,8 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in der EU. Neben dem Bau ist auch der Transportsektor stark betroffen.

Wie gut stehen in einem solchen Szenario die Chancen für einen sozialeren EU-Binnenmarkt? Kürzlich haben verschiedene europäische Gesetzgebungsprozesse, wie die Reform der Entsenderichtlinie (2018) oder die Mindestlohnrichtlinie (2022), den Schutz von Beschäftigten etwas verbessert. Wie aber gelingt die Umsetzung? Wenn Regelungen grenzüberschreitende Tätigkeiten betreffen, müssen die mitgliedstaatlichen Verwaltungen kooperieren. In der politischen Diskussion um Reformprojekte wird oft verdrängt, dass viele Regeln dadurch Gefahr laufen, zur reinen Symbolpolitik zu werden. In unserem Beitrag zeigen wir dies am Beispiel der Entsendung von Personen aus Drittstaaten.

Was ist Entsendung (von Drittstaatsangehörigen)?

Bei der Entsendung handelt es sich um eine vorübergehende Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsland, die unter die EU-Dienstleistungsfreiheit fällt. Arbeitgeber in einem EU-Mitgliedstaat können ihre Beschäftigten in einen anderen Mitgliedstaat entsenden. Wie der Europäische Gerichtshof 1994 in seinem Urteil Vander Elst (C-43/93) bestimmt hat, können im Entsendeland angestellte Drittstaatsangehörige unter den gleichen Regeln wie EU-Bürger:innen entsandt werden. Das geltende Prinzip der nationalen Souveränität für den Arbeitsmarktzugang wird somit umgangen. Länder wie Polen und Slowenien haben wegen der Abwanderung von Arbeitskräften nach dem EU-Beitritt ihre Arbeitsmärkte für Personen aus ihren Nachbarstaaten – Drittstaaten – geöffnet. Hieraus ist auch ein Geschäftsmodell entstanden, das auf der direkten Weiterentsendung und Ausbeutung dieser Arbeitskräfte basiert.

Polen ist laut Statistik zu A1-Dokumenten nach Deutschland das zweitgrößte Entsendeland der EU. Slowenien hat die höchste relative Zahl an Entsendungen, gemessen an der Gesamtbeschäftigung des Landes. A1-Dokumente bescheinigen die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in einem anderen Mitgliedstaat. Die Entsendung von Drittstaatsangehörigen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. In den Jahren 2020 und 2021 wurden zum Beispiel mehr Personen bosnischer als slowenischer Staatsbürgerschaft aus Slowenien entsandt. Entsendungen aus Polen erreichen vor allem Deutschland und aus Slowenien Deutschland und Österreich. Die relevantesten Sektoren für entsandte Drittstaatsangehörige sind das Bau- und das Transportgewerbe. Im Folgenden beziehen wir uns vor allem auf unsere Forschung zu Polen und Slowenien.

Die Umsetzung von Regeln …

Die Reform der Entsenderichtlinie 2018 konnte mit dem Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ einen wichtigen Erfolg für Arbeitnehmer:innen verbuchen und sollte gegen Ausbeutung und unfairen Wettbewerb wirken. Gleichzeitig ist die Lohnfrage nur ein Aspekt, denn Sozialabgaben sind weiterhin im Entsendeland fällig. Hier bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, die von 8 Prozent bis 23 Prozent des Bruttolohns reichen.

Illegale Praktiken und Ausbeutung von Drittstaatsangehörigen sind allerdings auch nach der Reform verbreitet. So geht aus dem Jahresbericht 2019 der polnischen Arbeitsschutzbehörde hervor, dass bei 48 Prozent der 1.027 Kontrollen von Drittstaatsangehörigen keine legale Entsendung vorlag. Teilweise werden Drittstaatsangehörige ohne das notwendige A1-Dokument und ohne ausreichende Sozialversicherung, zum Teil auch durch Briefkastenfirmen, entsandt. Oftmals erhalten sie nicht den Lohn, der ihnen eigentlich zustehen würde. Teilweise werden auch Pässe eingesammelt.

… und die Schwierigkeiten der Durchsetzung

Mobile Arbeitnehmer:innen, und vor allem Drittstaatsangehörige, sind strukturell darin benachteiligt, ihre Rechte durchzusetzen: Unter anderem können Drittstaatsentsandte direkt vom Arbeitgeber abhängig sein, wenn ihr Aufenthaltstitel an ihre Beschäftigung geknüpft ist. Komplexe Entsende- und Arbeitsschutzbestimmungen sowie Arbeitnehmer:innenrechte sind, noch dazu mit Sprachbarrieren, kaum zu durchschauen. Die geringe gewerkschaftliche Organisation von Drittstaatsangehörigen erleichtert die Ausbeutung. Die Wahrscheinlichkeit, dass Drittstaatsangehörige ihre Rechte aktiv einfordern, ist insgesamt sehr gering.

Wie aber steht es um die Möglichkeiten der mitgliedstaatlichen Behörden, die Einhaltung der EU-Regeln einzufordern? An diesem Punkt kommt die Schwierigkeit der transnationalen Verwaltungskooperation ins Spiel.

Unklares EU-Recht

Zunächst sind die EU-Regeln komplex und im Detail unklar. Zum Beispiel ist vage, in welchem Umfang Unternehmen im Entsendeland wirtschaftlich tätig sein müssen. Ferner dürfen Arbeitnehmer:innen nicht explizit für die Entsendung eingestellt werden, aber die Dauer der vorherigen Beschäftigung im Entsendeland ist nicht festgelegt; 30 Tage werden lediglich empfohlen. Tätigkeitsländer können hier nichts vorgeben. Der EuGH hat Deutschland untersagt, von Drittstaatsangehörigen eine einjährige Vorbeschäftigung im Entsendeland zu fordern (EuGH Urteil C-244/04). Aber auch die Behörden im Tätigkeitsland haben kaum Möglichkeiten, da nur wenige Informationen erhoben werden dürfen: 2018 versuchte Polen, die tatsächliche Aufenthaltsdauer und den Lebensmittelpunkt von Drittstaatsangehörigen über ein zusätzliches Formular als Vorbedingung für die Entsendung zu kontrollieren, wogegen Unternehmen erfolgreich klagten.

Grenzübergreifende Kontrolle mit Hindernissen

Vorgänge wie die Ausbezahlung von Löhnen oder ein etwaiges unrechtmäßiges Einbehalten von Pässen müssten in den Tätigkeitsstaaten kontrolliert werden. Dies ist bei manchen Tätigkeiten, z. B. im Transport oder der Live-in-Betreuung, schwer zu organisieren. Und oftmals bräuchten die Behörden in den Zielstaaten bei der Kontrolle Informationen aus den Entsendestaaten, z. B. ob das A1-Dokument noch aktuell ist oder wie es um die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens im Entsendeland steht. Während sich die Behörden in Polen und Slowenien um gute Verwaltungskooperation mit den Behörden in den Tätigkeitsländern bemühen, müssen sie mit einer geringen Personalausstattung eine wachsende Zahl von Anfragen aus den Zielländern über das europäische Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) bearbeiten. In Slowenien wird die wirtschaftliche Aktivität der entsendenden Unternehmen bei Beantragung von A1-Dokumenten nur über eine Selbstauskunft erhoben; eine Kontrolle erfolgt nur auf Anfrage aus den Zielländern.

Erst kürzlich wurden beispielsweise in Polen digitalisierte Verfahren eingeführt. Durch die vollständig elektronische Beantragung von A1-Dokumenten kann die polnische Behörde bei unrechtmäßiger Entsendung Dokumente zurückziehen. Behörden und Arbeitgeber können die Gültigkeit von A1-Dokumenten digital selbstständig überprüfen. Dies verspricht eine Verbesserung, da sich Betrug nur über transnationale Verwaltungskooperation verhindern lässt, obgleich der Informationsaustausch noch mit technischen und regulatorischen Problemen zu kämpfen hat. Insgesamt wird deutlich: Die Ausbeutung von Drittstaatsangehörigen und die illegalen Praktiken lassen sich trotz des Engagements der zuständigen Behörden aktuell kaum verhindern.

Schlussfolgerung

Unsere Untersuchung „Entsendung von Drittstaatsangehörigen in der EU“ zeigt die vielfältigen Probleme, die einer Eindämmung der Ausbeutung Drittstaatsentsandter im Binnenmarkt entgegenstehen. Generell zeigt sich in der EU eine hierarchisierte Mobilität, und entsandte Drittstaatsangehörige laufen dabei – zwischen liberalen EU-Freizügigkeitsrechten und restriktiven nationalen Migrationsregeln – besonders Gefahr, ausgebeutet zu werden. Während die EU kürzlich den Schutz von mobilen Arbeitnehmer:innen verbessert hat, entscheidet sich eine sozialere EU nicht auf dem Papier, sondern in der Umsetzung. Die Entsendung von Drittstaatsangehörigen ermöglicht neue Geschäftsmodelle, die attraktiv bleiben, selbst wenn sich das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den Mitgliedstaaten angleichen sollte. Die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit ist komplex und die Kontrolle der Regulierung erfordert viel Verwaltungskapazität. Eine flächendeckende Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, wie es die Reform der Entsenderichtlinie von 2018 verspricht, bedarf daher noch großer Anstrengungen: Hierzu gehört eine Aufstockung der Kontrollkapazitäten und -organe auf nationaler und supranationaler Ebene, vor allem aber eine Ausweitung und Vertiefung der transnationalen Behördenkooperation z. B. durch gemeinsame Kontrollen. Der Europäischen Arbeitsbehörde kommt hier eine wichtige Rolle zu. Eine bessere Einbindung der Europol bei grenzüberschreitenden Betrugs- und Ausbeutungsfällen sowie konkrete Instrumente, z. B. der digitale Europäische Sozialversicherungsausweis, sind wichtige Schritte, damit fairer Wettbewerb und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ keine Illusion bleiben.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung