Am Bau, bei der Herstellung von Waren und auch bei der Erbringung von zahlreichen Dienstleistungen gibt es häufig ausgedehnte Zuliefer- und Auslagerungsbeziehungen. Zwischengeschaltet sind Subunternehmen, Entsendeunternehmen aus dem Ausland, Arbeitskräfteüberlassungsfirmen, Solo-Selbstständige oder eine Kombination aus allen diesen Formen. Immer wieder erhalten Arbeitnehmer:innen in diesen Konstrukten kein Entgelt, häufig weil das formal für sie zuständige Subunternehmen in Konkurs gegangen ist. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Auftraggeberhaftung sollten dieses Problem entschärfen, weisen aber in der praktischen Umsetzung Schwachstellen auf – und müssen verbessert werden.
Ein typischer Fall: Hygiene Austria Arbeitnehmer:innen, die in komplexen Unternehmensgeflechten eingegliedert sind, davor zu schützen, keinen Lohn zu erhalten: Das ist die zentrale Aufgabe der Regelungen zur Auftraggeberhaftung. Wie diese in der Praxis umgesetzt werden, haben wir in einer Studie im Auftrag der AK Wien untersucht.
Die Brisanz des Themas zeigt sich etwa am Fall „Hygiene Austria“, der unrühmliche Bekanntheit erlangte. Das Unternehmen wurde im Jahr 2020 zu Beginn der Covid-19-Pandemie gegründet, um dringend benötigte MNS- und FFP2-Masken „made in Austria“ zu produzieren. Nach und nach kamen zahlreiche Missstände ans Licht, die ein breites Spektrum an finanz-, arbeits- und sozialrechtlichen Verfehlungen offenbarten. Die Missstände in dem komplexen Firmenkonstrukt (siehe die Darstellung in der Grafik) reichten von unzureichendem Arbeitnehmer:innenschutz über zu lange Arbeitszeiten bis hin zu nicht bezahltem Entgelt. Hinzu kamen zahlreiche Probleme in anderen Bereichen.
© A&W Blog
Im Unternehmen Hygiene Austria selbst waren nur elf Personen beschäftigt. Für die Maskenproduktion wurden über Arbeitskräfteüberlasser (First Staff und OBA) mehr als 200 Arbeitnehmer:innen beschäftigt. Zumindest ein Arbeitskräfteüberlasser (First Staff) hat die Arbeitsaufträge an weitere Sub-Auftragnehmer (AD Job Assist und Steady Global Partners) weitergegeben. Bei den Sub-Auftragnehmern handelte es sich um Scheinunternehmen, das wurde inzwischen von der Finanzbehörde festgestellt. Scheinunternehmen werden gegründet, um Lohn- und Sozialabgaben systematisch zu kürzen oder vorzuenthalten. Über sämtliche beauftragten Arbeitskräfteüberlassungen und ihre Sub-Auftragnehmer wurde der Konkurs eröffnet. Offen sind Entgelte von rund einer halben Million Euro.
Wer zahlt den Arbeitnehmer:innen ihre ausstehenden Löhne? Im Fall der Hygiene Austria kommen mehrere Bestimmungen für die Auftraggeberhaftung für Entgelt infrage. Konkret sind dies das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG ) und das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-B G ), zusätzlich gäbe es noch die Möglichkeit der Haftung wegen der Beschäftigung von Scheinfirmen im Rahmen des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG ). Derzeit sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der nunmehr eröffneten Insolvenzverfahren werden die ausstehenden Löhne jedoch vom Insolvenz-Entgelt-Fonds und damit von der Allgemeinheit bezahlt werden müssen und die Auftraggeberhaftung wird nicht greifen.
Auftraggeberhaftung für Entgelt – selten anwendbar Grundsätzlich wäre die Auftraggeberhaftung ein vielversprechendes Rechtsinstrument, um Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen. Die Ausgestaltung und Umsetzung der Regelungen ist derzeit jedoch mit einigen Unzulänglichkeiten und Problemen behaftet. Hier die wichtigsten:
Die Anwendung der Auftraggeberhaftung für Entgelt ist höchst voraussetzungsvoll. In Österreich finden sich dazu in vier verschiedenen Gesetzen Bestimmungen für eine etwaige Haftung der Auftraggeber. Jede der rechtlichen Möglichkeiten (§ 9 SBBG , § 14 AÜG , §§ 8–10 LSD-BG , § 29a AuslBG ), den Auftraggeber für die Bezahlung des vorenthaltenen Entgelts in die Pflicht zu nehmen, hat bestimmte Voraussetzungen und eingeschränkte Anwendungsbereiche in Bezug auf Branche (Bau, Arbeitskräfteüberlassung), Vergabeart (öffentlich, privat), Auslandsbezug (Entsendung) oder Sozialbetrug (Scheinfirma). Die Haftung ist (außer im Falle eines festgestellten Scheinunternehmens) ausschließlich auf das nächsthöhere Glied in der Auftraggeberkette ausgelegt, eine umfassende Hauptauftraggeberhaftung gibt es – anders als etwa in Deutschland – nicht. Die Fristen, um Ansprüche geltend zu machen, sind sehr kurz. Die betroffenen Arbeitnehmer:innen und ihre Vertretung müssen die Entgeltansprüche gegenüber dem Arbeitgeber und Auftraggeber rechtzeitig innerhalb von sehr kurzen Fristen geltend machen und anschließend auf zivilrechtlichem Wege (über das Arbeits- und Sozialgericht) einklagen. Das Prozedere ist sehr aufwendig, die Verfahren dauern oft jahrelang. Die Recherche – etwa durch die AK –, die bei der Anwendung einer Haftungsbestimmung erforderlich ist, um überhaupt einen Fall entstehen zu lassen, gestaltet sich enorm komplex und ist eigentlich „Polizeiarbeit“. Viele betroffene Arbeitnehmer:innen werden zermürbt oder befinden sich schon wieder im Ausland, bevor der Fall abgeschlossen ist. Es gibt also viele Fallstricke und Einschränkungen, warum die Auftraggeberhaftung für Entgelt häufig letztlich doch nicht zur Anwendung kommt, wie auch das Beispiel der Hygiene Austria zeigt.
Wie kann die Wirksamkeit der Auftraggeberhaftung verbessert werden? Um die Wirksamkeit des Instruments der Auftraggeberhaftung zu verbessern, gibt es mehrere Ansatzpunkte.
Dringend geboten ist die Möglichkeit des Durchgriffs auf das oberste Glied in der Auftragskette, also eine umfassende Haftung des Hauptauftraggebers für das Entgelt. Damit kann effektiv verhindert werden, dass die Haftung umgangen wird, indem andere Unternehmen in der Subauftragskette zwischengeschaltet werden bzw. wird dadurch zwangsläufig sichergestellt, dass sich der Hauptauftraggeber lediglich solcher Subunternehmen bedient, die ihre Beschäftigten korrekt entlohnen und damit eine allfällige Haftung gar nicht erst auslösen. Weitere Vorschläge gegen die häufige Umgehungsstrategie sind, die Zahl der Glieder in der Subauftragnehmerkette zu beschränken oder Subaufträge an Unternehmen, die keine eigene Leistung erbringen, zu verbieten. Bis dato gibt es die „umfassendsten“ Haftungsregelungen für Entgelt für die Bauwirtschaft. Explizite Haftungsregelungen sollten auch für andere Branchen eingeführt werden, in denen Subauftragsvergabe und Unterentlohnung um sich greifen, wie etwa in der Paketdienstleistung oder in der Reinigung. Ansprüche der Arbeitnehmer:innen sollten mit jenen der Sozialversicherung gekoppelt werden. Derzeit läuft die Feststellung der Auftraggeberhaftung für Sozialversicherungsbeiträge und lohnbezogene Abgaben getrennt von der Feststellung der Auftraggeberhaftung für Entgelt. Arbeitnehmer:innen müssen ihre Lohnforderungen selbst auf zivilrechtlichem Wege beim Arbeits- und Sozialgericht, meistens mit Unterstützung einer Rechtsvertretung, einbringen. Behörden sind mit der Kontrolle und Feststellung von Unterentlohnung sowie mit der etwaigen Einforderung von lohnbezogenen Abgaben beim Auftraggeber betraut. Eine Zusammenführung dieser Prozesse würde den Behörden eine wichtigere Rolle bei der Auslotung von Haftungsmöglichkeiten zuweisen. Arbeitnehmer:innen in einer Auftraggeberkette brauchen bessere Informationen über ihr Dienstverhältnis, dabei geht es um transparente und vollständige Informationen über die Details der Anstellung und über etwaige Haftungsmöglichkeiten durch Einsicht in die Auftraggeberkette. Schließlich müssen punktuelle Probleme in den gesetzlichen Bestimmungen repariert werden. In der Arbeitskräfteüberlassung kann die Haftung des Beschäftigers derzeit entfallen, wenn die überlassende Firma insolvent geworden ist. Genau dieser Fall ist bei der Hygiene Austria eingetreten und die Ansprüche werden aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds bezahlt. Beschäftiger sollen also gegenüber den Arbeitnehmer:innen immer als Bürge und Zahler haften. Darüber hinaus tauchen in den rekonstruierten Fällen in der Auftraggeberhaftung immer wieder Probleme mit den kurzen Verfallsfristen auf. Diese müssen verlängert werden. Die Umsetzung dieser Vorschläge würde entscheidend dazu beitragen, die Auftraggeberhaftung zu einem wirksameren Instrument gegen betrügerische oder säumige Subunternehmen zu machen. Die korrekte Bezahlung der Arbeitnehmer:innen in der Subunternehmerkette muss auch in der Verantwortung der Auftraggeber liegen. Derzeit ist die Abgeltung von Ansprüchen durch den Insolvenz-Entgelt-Fonds oft schon „eingepreist“. Unternehmen, die solche Praktiken ablehnen, sind im Wettbewerb im Nachteil. Zugleich hätten Arbeitnehmer:innen und ihre Rechtsvertretung aussichtsreichere Rechtsmittel in der Hand, um ihre Ansprüche durchzusetzen.
Dieser Beitrag basiert auf der im März 2022 veröffentlichten Studie „Auftraggeberhaftung für Entgelt der ArbeitnehmerInnen – Perspektiven der Praxis“ .
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