Blick über Grenzen: Wie gehts Beschäftigten in Niederlassungen österreichischer Unternehmen in Serbien?

05. September 2022

Die Arbeitssituation in Serbien ist im Vergleich mit jener in Österreich durch mangelnde betriebliche Mitbestimmung und generell ungünstigere Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Dies trifft auch auf Auslandsniederlassungen österreichischer Unternehmen in Serbien zu. Bei genauerem Hinsehen werden jedoch beträchtliche Unterschiede zwischen den Beschäftigungspraktiken der einzelnen Auslandstöchter deutlich.

Wer in Österreich lebt und arbeitet, empfindet das österreichische System des Sozialen Dialogs und der Mitbestimmung oft als selbstverständlich. Wie grundlegend sich die Situation in einzelnen Ländern unterscheiden kann, zeigt der Blick ins Ausland. Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt hat in den Jahren 2021 und 2022 in einem von der AK Wien geförderten Forschungsprojekt die Lage von Beschäftigten in ausländischen Niederlassungen österreichischer Unternehmen in Serbien untersucht.

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Betriebliche Mitbestimmung in Serbien

In Betrieben in Serbien gibt es keinen Betriebsrat, sondern die Arbeitnehmer:innen werden von Betriebsgewerkschafter:innen vertreten. Um in Verhandlungen mit dem Management eintreten zu können, müssen die Betriebsgewerkschaften aktiv um Mitglieder werben und stehen dabei im Betrieb in Konkurrenz zu anderen Betriebsgewerkschaften. Sie heben selbst Mitgliedsbeiträge ein, nur ein kleiner Teil dieser Beiträge geht dann an den Gewerkschaftsdachverband, der Rest bleibt bei der Betriebsgewerkschaft. Die gewerkschaftlichen Dachverbände haben deshalb wenig Ressourcen zur Verfügung und können folglich die betrieblichen Vertretungsstrukturen kaum unterstützen. Das in Österreich selbstverständliche Auftreten der Gewerkschaften als effektive Interessenvertretung der Arbeitnehmer:innen und als regelmäßige Kollektivvertragsverhandlerinnen ist in Serbien also praktisch nicht zu finden. Auch sonst ist die Arbeit als Betriebsgewerkschafter:in prekär: Betriebsgewerkschafter:innen haben keinen Kündigungsschutz, auch in großen Betrieben gibt es keine generelle Freistellung, sondern die Anzahl der für betriebliche Interessenvertretung freigestellten Stunden hängt von der Zahl der vertretenen Mitglieder ab. In der Praxis führt diese Situation dazu, dass Gewerkschafter:innen quasi auf einem Schleudersitz sitzen. Immer wieder kommt es zu heftigen Konflikten zwischen Management und Gewerkschafter:innen, so dass der/die Gewerkschafter:in das Unternehmen schließlich verlassen muss. Auch diese Fluktuation schwächt die Strukturen.

Probleme mit den Arbeitsbedingungen

Mit der Studie wurde die Situation in fünf Auslandsniederlassungen näher untersucht. In den Betrieben wurde über viele Probleme mit den Arbeitsbedingungen berichtet, womit potenziell viel Arbeit für die Interessenvertretung besteht. So wurden in allen Unternehmen Probleme mit der Bezahlung beschrieben, häufig wird nur wenig über dem in Serbien sehr geringen Mindestlohn bezahlt. Dieser Mindestlohn deckt die Lebenshaltungskosten in der Regel nicht ab. Die in Österreich gewohnten regelmäßigen kollektivvertraglichen Verhandlungen zur Anpassung der Löhne und Gehälter gibt es nicht oder nur in unregelmäßigen Abständen. Zusätzlich wurde berichtet, dass es keine Lohnsteigerungen bei längerer Betriebszugehörigkeit gibt, Menschen mit großer Erfahrung erhalten fast den gleichen Lohn wie Neueinsteiger:innen.

Mehrmals wurde aus den österreichischen Niederlassungen über Probleme mit den Arbeitszeiten berichtet. Dies kann die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeiten oder überbordende Arbeitszeiten mit Arbeit am Wochenende und Probleme beim Zeitausgleich betreffen.

Andere Probleme, die in den Fallstudien genannt wurden, betreffen die Verdichtung der Arbeit, konkret die immer engere Taktung der von Maschinen vorgegebenen Arbeitsschritte, und Schwierigkeiten mit befristeten Verträgen und Leiharbeit.

Ein Bereich, in dem die österreichischen Niederlassungen hingegen vorbildlich sind, scheint der Arbeitsschutz zu sein. Hier heben sich die österreichischen Niederlassungen durchaus von den nationalen Betrieben ab.

Einflussfaktoren auf die Situation in den Auslandsniederlassungen

Was beeinflusst die Situation in den Auslandsniederlassungen? Was hilft, damit die Situation der Arbeitnehmer:innen besser gestaltet ist, und welche Umstände führen zu besonders großen Schwierigkeiten? Hier geben die Fallstudien wichtige Hinweise:

  • Die Arbeitsbedingungen und auch die Möglichkeiten der Mitbestimmung sind besser, wenn im Unternehmen höher qualifizierte Mitarbeiter:innen, die schwer zu finden bzw. zu ersetzen sind, arbeiten. Dies trifft auf die untersuchten Unternehmen in der Dienstleistung zu.
  • Wenn die Arbeiten überwiegend von niedrig qualifizierten und damit leicht ersetzbaren Mitarbeiter:innen ausgeführt werden und wenn das Auslandsengagement überwiegend der Kostenersparnis dient, besteht in der Auslandsniederlassung wenig Interesse, sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen und mit der Gewerkschaft zu kooperieren.
  • Für die Beschäftigten hilfreich ist ein starker, gut verankerter Betriebsrat in Österreich, der in der Lage ist, sein Gewicht auch zu Gunsten der ausländischen Kolleg:innen in die Waagschale zu werfen.
  • In Österreich sozialisierte Führungskräfte finden eher einen professionellen Umgang mit den Betriebsgewerkschaften als vor Ort in einem oft neoliberalen, tendenziell gewerkschaftsfeindlichen Umfeld geprägte Kräfte. Mehrmals wurde aus den Niederlassungen berichtet, dass die Zusammenarbeit mit lokalen Führungskräften besonders schwierig ist. Diese sind mit dem in Österreich gewohnten System der Mitbestimmung und des Sozialen Dialogs nicht vertraut und schätzen die Stärken dieses Systems nicht oder bekämpfen Mitbestimmungsstrukturen sogar aktiv.
  • Gibt es im österreichischen Unternehmen wirtschaftliche Probleme oder Konflikte, kann sich dies rasch sehr negativ auf die Auslandsniederlassung auswirken. Der Kostendruck aus Österreich wird umgehend in die Auslandsniederlassung weitergegeben oder ist dort sogar noch stärker als in Österreich spürbar. Im schlimmsten Fall steht die Auslandsniederlassung insgesamt zur Disposition.

Was ist zu tun?

Wie die Studie zeigt, sind die Probleme vor Ort in Serbien vielfältig. Eine Verbesserung der Situation kann nur durch bessere Rahmenbedingungen und eine Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer:innen vor Ort erfolgen:

  • Reformen und die Stärkung des Sozialen Dialogs in Serbien und den anderen Ländern des Westbalkans sind dringend notwendig. Diese Bereiche müssen Teil von Verhandlungen für den EU-Beitritt sein. Nur so können gute Arbeits- und Lebensbedingungen für Arbeitnehmer:innen in Serbien und den anderen Ländern des Westbalkans erreicht werden.
  • Unternehmen müssen Verantwortung für die Situation in ausländischen Standorten übernehmen, dies gilt nicht nur für Lieferketten, sondern auch für ausländische Dienstleistungs- und Produktionsstandorte. Die Richtschnur hierfür kann nicht nur der rechtliche Mindeststandard im Ausland sein, sondern die Arbeitsbedingungen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer:innen in Österreich müssen der Maßstab sein.
  • Nachdem immer mehr Unternehmen über Ländergrenzen hinweg agieren, muss auch die transnationale Mitbestimmung in Form des Europäischen Betriebsrates (EBR) gestärkt werden. Der EBR braucht bessere Rechte- und Ressourcenausstattung, sodass gute transnationale Zusammenarbeit bei der Mitbestimmung nicht nur dann gelingt, wenn das Management diese befürwortet und unterstützt.
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