Die im Dezember 2017 angelobte ÖVP/FPÖ-Koalition formulierte in ihrem Regierungsprogramm weitreichende Reformvorhaben im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Während die Umsetzung vieler dieser Vorhaben am vorzeitigen Ende der Regierung im Mai 2019 scheiterte, erfuhren andere eine Realisierung. Im Rahmen einer kürzlich erschienenen Studie wurde anhand von drei spezifischen Reformen in der Arbeitszeitpolitik („12-Stunden-Tag“), der Arbeitsmarktpolitik (Sistierung der „Aktion 20.000“) sowie der Sozialhilfepolitik (Sozialhilfe-Grundsatzgesetz) die mediale Debatte dazu untersucht. Im vorliegenden Artikel werden zentrale Ergebnisse zusammengefasst.
Diskursanalyse: ein Blick auf prägende Diskurse in der medialen Debatte
Die Studie nimmt konkret in den Blick, welche Argumentationen in der medialen Debatte um die angesprochenen Reformen jeweils stark gemacht wurden: Wie wurden also vonseiten der Regierung (bzw. von deren Verbündeten), aber auch vonseiten oppositioneller Kräfte die Reformen medial vermittelt? Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede gab es zwischen den einzelnen Politikfeldern? Und welche konkreten Akteur*innen bzw. Netzwerke traten medial in Erscheinung?
Mit besonderem Fokus auf den Regierungsdiskurs untersucht die Studie außerdem, inwieweit dieser sich einerseits auf rechtspopulistische und -radikale, andererseits auf neoliberale Argumentationsmuster stützte: Inwieweit wurden zur Begründung der Reformen also zum einen Argumente benutzt, die als „nativistisch“ (z. B.: „,Einheimische‘ haben Vorrang“), „autoritär“ (z. B.: „,Nonkonformes Verhalten‘ ist zu sanktionieren“) oder „populistisch“ (z. B.: „Es gilt, den ,Volkswillen‘ gegen ,korrupte Eliten‘ zu verteidigen“) gelten können? Und in welchem Umfang fand zum anderen eine Berufung auf dezidiert neoliberale Argumente statt (z. B.: Primat ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit, Imperativ individueller Eigenverantwortung)?
In die Untersuchung miteinbezogen wurden alle Texte, die in drei österreichischen Tageszeitungen („Neue Kronen Zeitung“, „Die Presse“, „Der Standard“) erschienen sind und thematisch auf die angeführten Reformen Bezug nahmen. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von der Angelobung der türkis-blauen Regierung Ende 2017 bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Reform.
Regierungsdiskurs: zwischen ökonomischen Sachzwängen, Meritokratie und Wohlfahrtschauvinismus
Im Ergebnis zeigte sich, dass die zentralen Argumentationsmuster in den drei Politikfeldern erkennbare Differenzen aufwiesen: Während der Regierungsdiskurs in der medialen Debatte zur Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik überwiegend von neoliberalen Argumenten dominiert wurde, war die Sozialhilfepolitik insbesondere (wenn auch nicht ausschließlich) durch nativistische und autoritäre Argumente bestimmt. Diese divergierenden Deutungen verweisen auf unterschiedliche Versuche, die (vermeintliche) Notwendigkeit der Reformen zu begründen und zu legitimieren.
Im Bereich der Sozialhilfepolitik konnte darüber hinaus eine starke Verschränkung nativistischer bzw. autoritärer mit neoliberalen Argumenten festgestellt werden. So zeigte sich in der Debatte zum Thema nicht bloß die Kehrseite des neoliberalen Appells an Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft in Gestalt des Generalverdachts gegenüber Mindestsicherungsbezieher*innen, es mangle ihnen schlicht an besagten „Tugenden“. Auch schloss die Regierung das Bild jener, denen unterstellt wurde, „leistungsunwillig“ und „verantwortungslos“ zu sein, subtil mit dem Bild von („in den Sozialstaat zuwandernden“) Migrant*innen oder Asylberechtigten kurz. Besonders perfide ist diese Verschränkung neoliberaler und nativistischer Argumente dort, wo suggeriert wurde, Sozialkürzungen für „Fremde“ würden quasi kausal zu Verbesserungen für „Einheimische“ führen: „Darum reformieren wir auch die Mindestsicherung und kürzen sie für Migranten. Damit sich Arbeit wieder auszahlt. Denn wer jahrelang eingezahlt hat, muss mehr herausbekommen als jemand, der neu nach Österreich gekommen ist.“ (Bundeskanzler Kurz in der „Krone bunt“ vom 13.5.2018)
In der Debatte zum 12-Stunden-Tag und zur Einstellung der „Aktion 20.000“ hingegen waren rechtspopulistische und -radikale Bezugnahmen kaum anzutreffen. Hier wurde vorwiegend etwa auf die sachlich alternativlose Notwendigkeit der Reformen verwiesen (beide Reformen), das idyllische Bild zunehmender Selbstbestimmung und individueller Wahlfreiheit für Arbeitnehmer*innen gezeichnet (Arbeitszeitreform) oder die Ineffizienz sozialstaatlicher gegenüber marktvermittelten Lösungen beklagt (Sistierung „Aktion 20.000“). Insbesondere in der Arbeitszeitdebatte wurde die Behauptung einer sachlichen Notwendigkeit der Reform eng mit dem Argument einer Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen und des Standorts verknüpft: „Nein, die gesetzliche Ermöglichung des Zwölf-Stunden-Tags ist unumgänglich für den Wirtschaftsstandort.“ („Presse“-Chefredakteur Nowak in der „Presse“ vom 15.7.2018)
Diskurskoalitionen: Allianzen für und wider die Reformen
Betrachtet man die zentralen Akteur*innen und Akteur*innennetzwerke (siehe Grafik) in den jeweiligen medialen Debatten, zeigt sich ebenfalls eine Reihe von Unterschieden.