In der aktuellen Diskussion zum Vorschlag über eine Konzessionsrichtlinie prallen einmal mehr entgegengesetzte Vorstellungen über die Rolle und Zukunft öffentlicher Dienstleistungen aufeinander. Ausgewiesenes Ziel des Vorschlags ist es der „Abschottung der Märkte“ mit einem „tatsächlichen, diskriminierungsfreien Marktzugang aller Wirtschaftsteilnehmer in der Union“ und einer „wirklichen Marktöffnung“ zu begegnen. Dabei geht es um einen Rechtsakt über Bau- und Dienstleistungskonzessionen[1], welcher u.a. auch die öffentlichen Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung umfasst. Einen Privatisierungsautomatismus für die öffentlichen Dienstleistungen sieht der Richtlinienvorschlag nicht vor. Inhärentes Ziel des Richtlinienvorschlags ist jedoch ein vermehrter Einsatz von Public Private Partnership-Modellen.
Aus Sicht der KritikerInnen der Richtlinie – Gewerkschaften, NGOs, Städte, Gemeinden und BürgerInnen: Eine klare Themenverfehlung. Notwendig wären Maßnahmen die es ermöglichen alle Menschen flächendeckend mit qualitativ guten und erschwinglichen Leistungen der Daseinsvorsorge zu versorgen sowie Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen und Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Bereich zu gewährleisten.
Konzessionsrichtlinie im Europäischen Parlament
Die im Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments mehrheitlich beschlossenen Kompromisse (Juvin-Bericht) bringen zwar einige Verbesserungen, indem sie Unklarheiten des Kommissionsvorschlags bereinigen. Jedoch bleibt der mehrheitlich konservative-liberal besetzte Binnenmarktausschuss bei der grundsätzlichen Ausrichtung des Vorschlags: Als Ziel der Konzessionsrichtlinie nennt der Juvin-Bericht unter anderem, dass mit diesem Rechtsakt der Wettbewerb bei den öffentlichen Dienstleistungen stimuliert werden kann. Einem Änderungsantrag, der alle öffentlichen Dienstleistungen (neben dem Wasser etwa auch die Abfallentsorgung, sozialen Dienste und Gesundheitsdienste) vom Anwendungsbereich ausnehmen wollte, sind die Abgeordneten nicht gefolgt. Stattdessen wurde ein schwacher Kompromisstext angenommen, der lediglich feststellt, dass Städte und Gemeinden auch in Zukunft selbst über die Erbringung der öffentlichen Dienstleistungen entscheiden können. Diese Feststellung ist rechtlich bedeutungslos, da sich die öffentlichen Dienste ja weiterhin im Anwendungsbereich der Richtlinie befinden. Ebenso lehnte die Mehrheit im Ausschuss die verstärkte Verankerung sozialer Kriterien ab. Daher ist in Zukunft etwa die Durchsetzung der Kollektivverträge und die bisherige Berücksichtigung des Arbeitsrecht durch die Unternehmen keine Bedingung für den Erhalt einer Konzession.
Doch die mittlerweile über 1,2 Millionen Unterschriften der Bürgerinitiative Right2Water, der zunehmende Protest und die mediale Berichterstattung, ließen Binnenmarkt-Kommissar Barnier nicht ganz unberührt. In einem Gastkommentar in einer österreichischen Tageszeitung verteidigtder Kommissar seinen Vorschlag und vor dem Binnenmarktausschuss signalisiert er sogar ein Einlenken bei einigen Fragen. Jedoch: Die grundlegende Philosophie der Kommission zu den öffentlichen Dienstleistungen bleibt bedauerlicher Weise unberührt. Der Kernforderung der Bürgerinitiative, nämlich die Wasserversorgung von den Regeln des Binnenmarktes auszunehmen, erteilt der Kommissar eine klare Absage. Aus Sicht von Kommissar Barnier läge es „nicht im Interesse der Bürger, der Verbraucher und der Steuerzahler“ die Wasserversorgung aus dem Binnenmarkt auszunehmen, denn „ein finnischer, deutscher, französischer Bürger, der in ein anderes Land geht, hat sonst keine Garantie dafür, dass er hochwertiges Trinkwasser bekommt“.
Privatisierung: Zwang nein, Druck ja
Ein zumindest verbales Zurückrudern ist auch in der gemeinsamen Aussendung der Kommissare Barnier und Potocnik von Ende Februar zu erkennen, in welcher noch einmal „klar festgestellt wird, dass die Europäische Kommission keine Politik verfolgt, die Mitgliedstaaten dazu zwingt, ihre Wasserdienstleistungen zu privatisieren“. Dass die Kommission jedoch sehr wohl die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen als Wachstumsmotor ansieht und Druck auf dementsprechende Politik der Mitgliedstaaten ausübt, zeigt sich nicht nur am Text und den Erläuterungen zur Richtlinie. Besonders deutlich brachte es die Kommission in einem Schreiben an die Krisenländer Südeuropas zum Ausdruck: „Die Kommission glaubt, dass eine sorgsam durchgeführte Privatisierung von öffentlichen Versorgungsunternehmen, inklusive der Wasserversorger, der Gesellschaft nutzen kann. Zu diesem Zweck soll Privatisierung stattfinden, sobald der geeignete gesetzliche Rahmen geschaffen ist, um den Missbrauch durch private Monopole zu verhindern“ (deutsche Übersetzung zitiert nach MEP Heide Rühle). Wird durch die Konzessionsrichtlinie ein Teil eines geeigneten gesetzlichen Rahmens geschaffen? Im Lichte derartiger Äußerungen erhält der Vorschlag umso mehr einen bitteren Beigeschmack.
Und in Österreich?
Zu so dramatischen Entwicklungen wie bei der Wasserprivatisierung in Griechenland wird es in Österreich vorerst nicht kommen, zur Anpassung an Vorgaben der Konzessionsrichtlinie – so sich in den Verhandlungen nicht massive Änderungen in der Richtlinie ergeben – aber durchaus. Will die öffentliche Hand eine Dienstleistung in Zukunft weiterhin selbst erbringen, wäre dies nur im Rahmen der eng gesteckten Grenzen zulässig: Schon eine private Beteiligung von 1 % bedeutet, dass die Dienstleistung nicht mehr „inhouse“ – also selbst – erbracht werden darf. Die gesamte Dienstleistung müsste dann europaweit ausgeschrieben werden. Zudem muss eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen vorliegen (d.h. maßgeblicher Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen) sowie 90 % (Binnenmarkt-Ausschuss: 80 %) der Tätigkeit für den öffentlichen Auftraggeber erbracht werden müssen. Das letztgenannte Kriterium verursacht Probleme bei den Mehrsparten-Stadtwerken, die etwa neben der Wasserversorgung auch andere Dienste wie Energieversorgung erbringen. In Österreich dürften davon insbesondere die Salzburg AG und die Linz AG betroffen sein, die beide Mischkonzerne sind und zahlreiche öffentliche Dienstleistungen erbringen. Betreffend die Mehrsparten-Stadtwerke zeigte die Kommission zuletzt Problembewusstsein und Bereitschaft die Richtlinie im Rahmen des Trilogs zu überarbeiten.
Die durchaus komplizierten Regelungen beinhalten erhebliche Rechtsunsicherheit und werden auch BürgermeisterInnen kleinerer Städte und Gemeinde vor schwierige Auslegungsfragen stellen. Mit der Richtlinie potentiell in Widerspruch stehen Konstruktionen, wo eine größere Stadt für Umlandgemeinden Aufgaben „miterledigt“, und im Ausgleich dafür einen Finanztransfer erhält. Die Richtlinie fordert bei einer Zusammenarbeit mehrerer Gemeinden eine „Vereinbarung über eine echte Zusammenarbeit“, deren Ziel es sein muss eine „öffentliche Aufgabe gemeinsam wahrzunehmen“ Hier wäre etwa die Stadt Wien betroffen, die sowohl entlang der Hochquellleitungen gelegen Gemeinden mitversorgt, als auch die Abwasserversorgung von Umlandgemeinden übernimmt.
Zwar erscheinen die Schwellenwerte für die EU-weite Ausschreibung auf den ersten Blick hoch. Laut einer Berechnung der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach überschreiten bei einer Konzessionslaufzeit von 20 Jahren jedoch schon Wasserversorger von rund 4.000 EinwohnerInnen den Schwellenwert von 8 Mio. Euro. Zudem sind unbefristete Verträge nach der Konzessionen-Richtlinie nicht mehr erlaubt, selbst dann wenn sie aufgrund von Langfristigkeit der Leistungserbringung sinnvoll wären.
Kommt die Rückkehr zur öffentlichen Hand?
Die konkreten Ergebnisse der Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat werden zeigen, inwiefern es tatsächlich eine tiefergehende Überarbeitung des Richtlinienvorschlags geben wird. Bislang gibt es noch von keiner der drei Institutionen eine Zusage, die Wasserversorgung oder die öffentlichen Dienstleistung insgesamt von der Richtlinie auszunehmen.
Entgegen dem von der Kommission propagierten Wachstum-durch-Marktöffnung-Modell, hat in zahlreichen Kommunen quer durch Europa ein echter Umdenkprozess eingesetzt. Die Probleme vormaliger Privatisierungen – wie steigende Preise, Qualitätsverschlechterungen und Sicherheitsprobleme, fehlende Investitionen in die Infrastruktur, Verschlechterung für die Beschäftigten sowie Verlust der demokratische Kontrolle –, schlagen derzeit zahlreiche Kommunen quer durch Europa den Weg der Rekommunalisierung ein (etwa in Frankreich im Bereich der Wasserversorgung oder in Deutschland im Energiesektor). Selbst der IWF und der österreichische Rechnungshof haben festgestellt, dass der private Sektor nicht unbedingt effizienter arbeitet und die öffentliche Hand ihre Investitionsprojekte in den meisten Fällen zu günstigeren Konditionen finanzieren kann. Europa sollte die Gemeinde in diesen Rekommunalisierung-Bestrebungen unterstützen und sich für eine hohe Qualität der Dienstleistungen für die NutzerInnen und Beschäftigten einsetzen.
Mit der Forderung nach der Ausnahme der Wasserversorgung aus dem Binnenmarkt verlangt die Bürgerinitiative Right2Water ein echtes Umdenken in Europa. Nach Ende der Eintragungsfrist am 1. November sind Parlament und Kommission zum Handeln aufgerufen. Es bleibt zu hoffen, dass das als große direkt-demokratische Errungenschaft des Lissabon Vertrags beworbene Instrument der Bürgerinitiative von den europäischen EntscheidungsträgerInnen ernst genommen wird.
Eine Langfassung des Beitrags erscheint in Wirtschaftspolitik – Standpunkte Nr. 1/2013.
[1] Unter einer Konzession versteht der Kommissionsvorschlag einen Vertrag zwischen einem Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggebern über die Erbringung einer Dienstleistungen/Ausführung von Bauarbeiten, wobei die Gegenleistung im Recht zur Nutzung dieser Leistung oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht (vgl. Art 2 Abs 1).