„Vergesst die 1%“, titelte jüngst der Economist. Denn tatsächlich sei es das reichste Promille der Bevölkerung – also die obersten 0,1% – das den Rest der Gesellschaft rasant abhänge. Ein Blick auf die österreichischen Vermögensdaten bestätigt die große Lücke zwischen wenigen Reichen und der großen Masse der Menschen, die Ungleichheit erinnert an die Ein-Promille-Gesellschaft zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Diskussion um eine Erhöhung vermögensbezogener Steuern leidet indessen an Betroffenheitsillusion und Verarmungsängsten.
1910 war Wien die siebtgrößte Stadt der Welt und ein Schmelztiegel mit mehr als zwei Millionen EinwohnerInnen. Wien war nicht nur eine Hochburg der Künste und Wissenschaften, sondern auch der Millionäre, wie der Historiker Roman Sandgruber in seinem Buch „Traumzeit für Millionäre“ schreibt. Das reichste Promille der Wiener Bevölkerung bildete die Spitze der Gesellschaft und erzielte fast 12 Prozent der Einkommen.
Die Garantie für große Vermögenseinkommen waren Großgrundbesitz sowie Beteiligungen in Industrie, Banken und Handelsunternehmen. Als unangefochtener Bestverdiener versteuerte Baron Albert Salomon Rothschild 1910 ein Jahreseinkommen von 25,7 Millionen Kronen und verdiente damit als Einzelperson allein etwa ein Prozent aller Einkommen in Wien.
Gesellschaftliche Spannungen durch Vermögenskonzentration
Eine Traumzeit war das beginnende 20. Jahrhundert aber nur für Millionäre. Für die breite Masse galt eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden, die soziale Absicherung war ungenügend, die Wohnungsnot ungelöst, Urlaub gab es kaum, eine Kranken- und Altersversicherung nur für wenige Branchen und eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit existierte überhaupt nicht. Das von Stefan Zweig (selbst aus einer wohlhabenden Familie stammend) beschriebene „goldene Zeitalter der Sicherheit“ war von gesellschaftlichen Spannungen geprägt, welche die Monarchie laufend auf die Probe stellten.
Rund 100 Jahre später scheint die Gesellschaft vor einer ähnlichen Spreizung der Vermögens- und Einkommensverteilung zu stehen. Aufschluss darüber gibt die Vermögenserhebung HFCS der Österreichischen Nationalbank, die hierzulande eine dramatische Vermögenskonzentration konstatiert: Das reichste Prozent vereint etwa 37 Prozent allen privaten Vermögens auf sich. Bei den Kapitaleinkommen ist die Konzentration noch stärker: Das oberste Prozent lukriert 52% aller Vermögenseinkommen.
Dass die Superreichen den Rest der Gesellschaft abhängen, zeigen auch Auswertungen der Trend Reichenliste – auch wenn deren Ergebnisse aufgrund mangelhafter Nachvollziehbarkeit mit Vorsicht zu interpretieren sind. Demnach haben die 33 österreichischen Milliardäre – ein Hunderttausendstel aller österreichischen Haushalte – ein Vermögen von 119 Mrd. Euro. Ihr Vermögen hat sich laut Trend-Schätzung zwischen 2013 und 2014 nochmals um fast 9 Prozent vergrößert. Auch wenn der Großteil des Zuwachses auf Bewertungsveränderungen zurückzuführen sein dürfte, so ist das ein Hinweis, dass sich auch die Einkommen der Superreichen deutlich besser entwickelten als die der Haushalte insgesamt, die gemäß Statistik Austria 2013 um 2,2 Prozent schrumpften.
Während die Milliardäre ihre Vermögen kräftig ausbauen, sieht sich die Masse der Bevölkerung der anhaltenden Wirtschaftskrise ausgesetzt. Die Zahl der Arbeitslosen kletterte allein im vergangenen Jahr um weitere 30.000 auf 330.000 Betroffene, das Medianeinkommen sinkt langfristig sogar, die Mieten steigen hingegen kräftig.
Vermögensungleichheit in den USA von reichstem Promille geprägt
Die beiden Ökonomen Thomas Piketty und Emanuel Saez haben mit detaillierten Daten die mittlerweile bekannte U-Kurve für die Entwicklung der Ungleichheit im letzten Jahrhundert gezeichnet. Eine neue Studie von Saez gemeinsam mit Gabriel Zucman, der jüngst mit seinem Buch über Steueroasen Bekanntheit erzielte, legt dar, dass diese U-Kurve in den USA vom obersten Promille geprägt wird. Die Grafik zeigt, dass die Entwicklung auch innerhalb der reichsten 10 Prozent mit den höchsten Vermögen sehr unterschiedlich verlief. Vor allem das reichste Promille (0,1%) konnte seinen Anteil am gesamten Vermögen seit den 1980ern stark steigern. Mittlerweile liegt sein Anteil bei 22 Prozent, so viel wie die unteren 90 Prozent zusammen besitzen. Dies ist ein Ausmaß an Vermögensungleichheit, das die USA seit den 1930er Jahren nicht mehr gesehen haben.