Langzeitpflege zwischen Imagepolitur und zeitgemäßen Rahmenbedingungen

28. Februar 2019

Die Attraktivierung der Arbeit in der Langzeitpflege ist derzeit erklärtes Ziel der Regierung. Wie im Masterplan Pflege als auch bei der Regierungsklausur verkündet, soll mit einer groß angelegten Imagekampagne dem steigenden Personalmangel in der Langzeitpflege entgegengewirkt werden. Dabei sollen mehr Menschen für den Pflege- und Betreuungsberuf gewonnen und bereits Beschäftigte in der Langzeitpflege gehalten werden. Dafür braucht es allerdings mehr als eine oberflächliche Imagepolitur. Denn ausschlaggebend sind die Rahmenbedingungen der Arbeit.

Hohe Anforderungen, wenig Zeit und struktureller Personalmangel

Die beruflichen Anforderungen in der Langzeitpflege haben sich stark verändert. Höhere Pflege- und Betreuungsbedarfe und gestiegene Erwartungshaltungen von Betroffenen und ihren Angehörigen werden als zunehmende Herausforderungen von den Beschäftigten erlebt. Bereits jetzt betreuen mehr als 70 Prozent der Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Der dadurch notwendige höhere zeitliche Betreuungsaufwand ist allerdings in den derzeitigen Personalschlüsseln nicht eingeplant. Mehr Zeit für soziale Betreuung und Interaktion mit Betroffenen wird aktuell von mehr als der Hälfte der Beschäftigten gewünscht. Denn der zeitliche Druck in der Arbeit wird als enorm empfunden.

Die fehlende Anpassung von Personalressourcen an die sich verändernde BewohnerInnenstruktur ist insbesondere in Alten- und Pflegeheimen sichtbar. Denn wenn in Österreich durchschnittlich 49 Personen pro Nachtschicht von einer Pflegekraft betreut werden, ist es nicht verwunderlich, wenn 67 Prozent der Beschäftigten mit den Betreuungsquoten unzufrieden und überfordert sind. Eine bessere Personalausstattung in der Nacht fordert auch die Volksanwaltschaft, denn die derzeitige Regelung im Pflegefondsgesetz (Verfügbarkeit einer Pflegefachkraft in der Nacht) bringt kaum Verbesserungen für die Praxis. Stattdessen wird der Einsatz von mindestens zwei Fachkräften pro Nachtdienst gefordert, bei mehr als 100 BewohnerInnen mindestens drei Fachkräften. Aber auch Fehlzeiten wie Urlaub oder Krankenstand sind in der Personalplanung zu berücksichtigen. Denn die fehlende Nachbesetzung von Personal ist ein weiterer Grund, warum 61 Prozent der Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen und 36 Prozent im häuslichen Pflegebereich in Österreich regelmäßig Personalmangel erleben.

Bessere Rahmenbedingungen notwendig

Solche Zahlen verdeutlichen, dass veränderte Rahmenbedingungen notwendig sind. In Alten- und Pflegeheimen sind die derzeit geltenden Personalschlüssel längst veraltet und bedürfen einer adäquaten Anpassung, im mobilen Pflegebereich müssen zeitlich ausgedehnte, flexiblere Angebote den derzeit minutiös getakteten Arbeitsverrichtungen weichen. Denn sich Zeit für die Betroffenen zu nehmen ist gerade in der Langzeitpflege für die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten wichtig und wirkt sich positiv auf die Lebensqualität der betreuten Menschen aus, wie auch das Beispiel von Buurtzorg aufzeigt.

Sinnstiftende Arbeit, aber wenig gesellschaftliche Wertschätzung

Aktuelle Studien wie jene des Europäischen Zentrums oder des Arbeitsklima-Index belegen, dass mehr als 90 Prozent der Beschäftigten ihre tägliche Arbeit in der Langzeitpflege als interessant und sinnstiftend beurteilen. Diese positive Einschätzung hängt auch damit zusammen, dass mindestens 80 Prozent dieser Beschäftigten die Möglichkeit vorfinden, Neues zu lernen und sich fachlich weiterzuentwickeln. Eng damit verbunden ist auch die empfundene Anerkennung seitens der pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen, die von mehr als 80 Prozent der Beschäftigten sehr positiv erlebt wird. Weniger positiv wird allerdings die gesellschaftliche Wertschätzung von den Beschäftigten empfunden. Solche Einschätzungen zeigen auf, dass der professionelle Stellenwert der Arbeit in der Langzeitpflege nach wie vor gesellschaftlich nicht erkannt wird.

Der Rückgriff auf die Familie ist nicht zukunftsorientiert und ersetzt keine qualifizierte Pflege

Die geringe gesellschaftliche Wertschätzung hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Pflege von älteren Menschen nach wie vor von vielen als familiäre Aufgabe verstanden wird. Auch im aktuellen von der Regierung vorgelegten Erstkonzept für einen Masterplan Pflege wird die Verantwortung für die Pflege zu Hause durch die Familie sowie die Mobilisierung von Ehrenamtlichen stark betont. Das Ausmaß der Pflege durch Angehörige ist unbestreitbar hoch und wichtig, deren Kompetenzen zu stärken und Entlastung zu schaffen ist unbedingt notwendig. Man weiß aber auch, dass die Verfügbarkeit von Familienmitgliedern für die Pflege von Angehörigen immer mehr abnimmt und die Pflege zu Hause auf der unbezahlten Arbeit von Frauen basiert. Dass die Attraktivierung der Pflege- und Betreuungsberufe im gleichen Atemzug wie der verstärkte Einbezug von Familien in die Langzeitpflege gefordert wird, ist daher für einen Zukunftsplan der Pflegevorsorge mehr als bedenklich. Vielmehr sind bewusstseinsbildende Maßnahmen notwendig, die den Mehrwert und die Leistung qualifizierter Pflege- und Betreuungsarbeit sichtbar machen. Dies würde den Beschäftigten helfen, mehr gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit zu erfahren, und zugleich die Wahrnehmung verbessern, Pflege und Betreuung als berufliche Tätigkeit zu sehen.

Hohes Belastungserleben bestimmt den Arbeitsalltag

Ob die Arbeit in der Langzeitpflege auch langfristig ausgeübt werden kann, ist vor allem vom erlebten Ausmaß der Belastungen am Arbeitsplatz abhängig. Denn gerade in der Langzeitpflege stehen psychische und körperliche Belastungen an der Tagesordnung. In österreichischen Alten- und Pflegeheimen sind etwa 40 bis 50 Prozent der Beschäftigten regelmäßig körperlicher Gewalt und Beschimpfungen durch die betreuten Personen ausgesetzt, für 20 Prozent der Arbeitskräfte ist auch sexuelle Belästigung regelmäßig Thema (siehe Abbildung).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Präventive Maßnahmen wie gezielte Weiterbildungen für den Umgang mit belastenden Situationen und veränderten Krankheitsbildern werden hier ebenso benötigt wie ein verbessertes Angebot an Supervision und adäquaten Arbeitsmitteln. Denn das hohe psychische und physische Erschöpfungserleben der Beschäftigten (siehe Abbildung 2) zeigt sich zumindest bei 18 Prozent der Beschäftigten in einem schlechten Gesundheitszustand – und dieser ist erwiesenermaßen ausschlaggebend für einen langfristigen Verbleib im Pflegeberuf.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Geringe Absichten für eine langfristige Arbeit in der Langzeitpflege

Alarmierend sind jedenfalls die Perspektiven der Beschäftigten hinsichtlich einer langfristigen Arbeitstätigkeit. Denn von etwa 60 Prozent der Beschäftigten in Österreich wird die Langzeitpflege nicht als langfristiger Arbeitsbereich gesehen – eine Tendenz, die auch aktuell von der Umfrage der AK Tirol bestätigt wird. Konkret haben sogar 70 bis 90 Prozent der BerufseinsteigerInnen und der Beschäftigten bis 44 Jahre nicht vor, bis zur Pension in der Langzeitpflege zu bleiben. Auch unter Jugendlichen ist die Altenarbeit nicht gerade populär, denn nur 2,6 Prozent können sich den Einstieg in den Pflegeberuf vorstellen, wie eine aktuelle SchülerInnenbefragung aus Deutschland zeigt. Die Ausgestaltung eines freiwilligen sozialen Jahres in der Langzeitpflege, wie im Masterplan Pflege angekündigt, ist daher besonders sensibel anzugehen, denn gerade jüngere Menschen fühlen sich mit der Arbeitssituation in der Langzeitpflege schnell überfordert. Als Gründe für einen vorzeitigen Arbeitsausstieg werden vorwiegend der erlebte Personalmangel, zu wenig Zeit für die persönliche Betreuung der Betroffenen, das Ausmaß der erlebten Belastungen und die arbeitsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen genannt. Es gibt allerdings Hoffnung, denn wie eine Studie aus Deutschland zeigt, wären knapp die Hälfte solcher BerufsaussteigerInnen durchaus bereit, wieder in die Langzeitpflege zurückzukehren, allerdings unter verbesserten Bedingungen. Dazu zählen die Verbesserung der Strukturen, wie z. B. ein Umdenken in der Pflegedokumentation oder auch beim Einsatz der einzelnen Berufe in der Pflege, mehr Personal, aber auch verbesserte Entlohnung. Der unlängst erfolgte Kollektivvertrags-Abschluss der Sozialwirtschaft Österreich für über 100.000 Beschäftigte bildet hier einen ersten Schritt, indem eine spürbare Gehaltssteigerung erzielt und zusätzlich auch bei den Arbeitsbedingungen Veränderungen für viele Beschäftigte herbeigeführt wurden sowie Verbesserungen für Teilzeitkräfte.

Was braucht es konkret, um die Langzeitpflege zukünftig zu sichern?

Um das Image der Pflege- und Betreuungsberufe zu verbessern und für ausreichend zukünftiges Personal zu sorgen, müssen Maßnahmen für zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden, die zu sichtbaren Verbesserungen der herausfordernden Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege führen:

  • Eine adäquate Personalausstattung bzw. zeitgemäße Personalberechnungen und ausreichend Zeit für betreute Menschen bereitstellen
  • Umfassende Gesundheitsförderungsmaßnahmen, Supervision und Kompetenzstärkung durch Weiterbildungen
  • Die Erprobung autonomer und ganzheitlicher Arbeitsformen (siehe z. B. Buurtzorg, aktuell bereits in Deutschland erprobt) und personenzentrierter Pflegekonzepte, die motivierend für die Beschäftigten wirken und gleichzeitig den Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen (z. B. flexibleres Angebot häuslicher Pflegedienste) nachkommen
  • Die Schaffung von durchlässigen Ausbildungswegen und Möglichkeiten beruflicher Weiterentwicklung
  • Das Sichtbarmachen von verbesserten Rahmenbedingungen und Arbeitsbedingungen
  • Die Aufwertung der Berufsbilder der Gesundheits- und Sozialbetreuungsberufe
  • eine Arbeitszeitverkürzung für Gesundheits- und Sozialberufe
  • Eine Entlohnung, die die Leistungen der Beschäftigten wertschätzt