Die gute Nachricht zuerst: Die Erwerbstätigen in den Gesundheitsberufen machen ihre Arbeit gern. Das zeigen die Antworten einer großen österreichweiten Befragung mit über 14.000 TeilnehmerInnen aus allen Gesundheitsberufen. Leider trüben die Arbeitsbedingungen die Freude am Job nachhaltig, was die ohnehin bereits angespannte Personalsituation verschärft. Die erkennbaren Verbesserungspotenziale bedeuten großen Handlungsbedarf seitens der Politik.
Eine Frage der Rahmenbedingungen Die Arbeit für und mit kranken und unterstützungsbedürftigen Menschen ist die Aufgabe der unterschiedlichen Gesundheitsberufe in Österreich. Die Rede ist von Hebammen, medizinischen Assistenzberufen (MAB), medizinisch-technischen Diensten (MTD), medizinisch-technischen Fachassistenzen (MTF), MasseurInnen, klinischen und GesundheitspsychologInnen, den Pflegeberufen und PsychotherapeutInnen, aber auch von SanitäterInnen, Fach- und DiplomsozialbetreuerInnen oder zahnärztlichen AssistentInnen.
Die große Vielfalt der Gesundheitsberufe mit Ausnahme von ÄrztInnen, die durch die Ärztekammern vertreten werden, war die Zielgruppe einer großen Online-Befragung der Arbeiterkammer Wien. Die Umfrage lief unter dem Titel „Wo drückt der Schuh?“ von Mitte Oktober bis Ende Dezember 2018. Über 14.000 auswertbare Rückmeldungen aus ganz Österreich zeigen, dass es mehr als eine schmerzhafte Druckstelle gibt.
Zu Beginn noch einmal die positive Botschaft: Mit dem Kernbereich ihres Berufes waren die Befragten am zufriedensten. Das betraf die Arbeit mit den PatientInnen, KlientInnen und BewohnerInnen, das Arbeitsklima im Team und die Art und den Inhalt der jeweiligen Tätigkeit.
Die Unzufriedenheit vieler Berufstätiger in den Gesundheitsberufen konzentrierte sich auf die Rahmenbedingungen ihrer unmittelbaren Tätigkeit. Klar unterdurchschnittlich wurde die Zufriedenheit mit dem Einkommen, mit der Unterstützung durch Vorgesetzte, mit der Anerkennung durch andere und mit den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bewertet.
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Ein Viertel denkt regelmäßig ans Aufhören Die geringe Zufriedenheit mit zentralen Dimensionen der Arbeitsqualität blieb dabei nicht folgenlos. Über ein Viertel der BefragungsteilnehmerInnen gab an, zumindest einmal im Monat an einen Berufswechsel zu denken. Die Vorstellung, dass jede bzw. jeder Vierte im Gesundheitswesen und der Langzeitpflege den Job aufgeben könnte, ergibt ein bedrohliches Szenario. Natürlich weiß man nicht, ob die Befragten ihren Beruf wirklich an den Nagel hängen, aber sie zählen in Zeiten des wachsenden Personalbedarfs zumindest zur Hochrisikogruppe für einen tatsächlichen Berufsausstieg.
Das ist angesichts der aktuellen personellen Situation in den Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Langzeitpflege und in der Begleitung von Menschen mit Behinderung problematisch. Einerseits gehen in den nächsten Jahren viele MitarbeiterInnen in den Gesundheitsberufen in Pension. Deren Stellen müssen nachbesetzt werden. Zusätzlich steigt die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen durch einen höheren Anteil älterer und alter Menschen in der Bevölkerung. Damit brauchen wir nicht nur Ersatz, sondern insgesamt mehr Menschen in den Gesundheitsberufen. Aktuell wird die personelle Herausforderung sehr stark in Hinblick auf die Langzeitpflege diskutiert. So hat das WIFO aktuell einen zusätzlichen Bedarf von 24.000 Pflegekräften bis 2030 berechnet. Tatsache ist jedoch, dass es auch in vielen anderen Bereichen schwieriger wird, ausreichend viele und ausreichend qualifizierte MitarbeiterInnen zu finden, beispielsweise biomedizinische AnalytikerInnen und RadiologietechnologInnen in den Krankenhäusern.
Belastende Arbeitsbedingungen und geringe Arbeitszufriedenheit verschlechtern die Chancen beträchtlich, ausreichend MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen und der Langzeitpflege zu gewinnen und zu halten. Zudem können sich viele, insbesondere auch jüngere ArbeitnehmerInnen nicht vorstellen, ihre Arbeit bis zum Pensionsantritt auszuüben. Belege dafür finden sich für das Gesundheitswesen in der Krankenhausstudie der AK Oberösterreich (S. 8) oder in einer aktuellen IFES-Umfrage im Auftrag der AK Tiro l (Folie 20). Im Bereich der Langzeitpflege zeigt sich Vergleichbares in einer aktuellen Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung (S. 79).
Vor diesem Hintergrund kann eine nähere Analyse der Unzufriedenheit anhand der Befragungsdaten helfen, die Lage besser einzuschätzen und Anhaltspunkte für Verbesserungen zu finden.
Jüngere sind unzufriedener als Ältere Junge Menschen in den Gesundheitsberufen sind deutlich unzufriedener mit ihren Arbeitsbedingungen als ihre älteren KollegInnen. Dieses Ergebnis ist insofern brisant, als es zeigt, dass der Nachwuchsmangel keineswegs nur darin begründet liegt, dass der Anteil junger Menschen in der österreichischen Gesellschaft insgesamt sinkt. Es liegt auch daran, dass die Arbeitsplätze einfach nicht attraktiv genug sind. Es hapert aus Sicht der jungen Menschen beim Arbeitszeitausmaß, der Dienstplangestaltung, den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch beim Einkommen.
Damit wird es auch schwierig, junge Menschen für Gesundheitsberufe zu gewinnen und auch zu halten. Zielgruppe sind dabei nicht nur junge Menschen, die vor der Entscheidung für eine Berufsausbildung stehen oder am Beginn ihrer Berufstätigkeit sind. In den Altersgruppen zwischen 20 und 39 Jahren geht es auch um WiedereinsteigerInnen, z. B. nach einer Karenz, oder um QuereinsteigerInnen, die aus anderen beruflichen Feldern einen Einstieg in einen Gesundheitsberuf erwägen.
Ältere legen mehr Wert auf Qualität Ältere ArbeitnehmerInnen in den Gesundheitsberufen sind im Schnitt zufriedener als junge. Das mag auch daran liegen, dass viele Unzufriedene dieser Generation die Gesundheitsberufe bereits verlassen haben. Für die Älteren sind die Qualität ihrer Tätigkeit und die interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtiger als für Jüngere, und sie legen auch größeren Wert auf Anerkennung durch andere. Wenn man diese Personengruppe mit ihrem enormen Erfahrungsschatz bis zur Pensionierung in den Gesundheitsberufen halten möchte, wird man sich gezielte Angebote überlegen müssen.
Männer sind unzufriedener als Frauen Männer zeigten sich in der Befragung deutlich unzufriedener als Frauen. Bei der Zufriedenheit mit den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und dem Einkommen waren die Geschlechterunterschiede am größten. Eine Erhöhung des Männeranteils in verschiedenen Gesundheitsberufen wird oft als zukunftsweisende Strategie diskutiert. Um mehr Männer für die Gesundheitsberufe zu gewinnen, wird es aber bessere Perspektiven in Sachen Karriere und Einkommen brauchen – was natürlich auch den Frauen zugutekommt.
Der Einrichtungstyp macht einen Unterschied Zwei zentrale Säulen der österreichischen Versorgungslandschaft sind als Arbeitsort offenbar systematisch weniger attraktiv als andere. In Krankenhäusern und Pflegeheimen war die Zufriedenheit mit zwölf abgefragten Faktoren im Schnitt deutlich niedriger als in anderen Bereichen. In den mobilen Diensten – auch ein Arbeitsfeld mit bekannt schwierigen Arbeitsbedingungen – war zumindest die Zufriedenheit mit der Arbeit mit KlientInnen und Angehörigen im Spitzenfeld. Da wir alle Einrichtungstypen auch in Zukunft dringend benötigen werden, muss in diesen Settings massiv in Verbesserungen investiert werden.
Zentraler Faktor: Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit So lange arbeiten wie vereinbart – das macht zufrieden. Befragte, die sagten, sie würden regelmäßig mehr Stunden als vereinbart arbeiten, waren in allen Belangen deutlich unzufriedener als ihre KollegInnen, die berichteten, regelmäßig im vereinbarten Ausmaß zu arbeiten. Dieses Resultat klingt plausibel, denn verlässliche Arbeitszeiten bringen Planbarkeit ins Leben, sowohl beruflich als auch privat. Die regelmäßige Einhaltung der vereinbarten Arbeitsdauer hat einen hohen Zusammenhang mit dem Grad der Zufriedenheit in allen Ausprägungen. Und Menschen mit hoher Arbeitszufriedenheit denken im Gegensatz zu unzufriedenen MitarbeiterInnen kaum an einen Berufswechsel. Auch das zeigen die mehr als 14.000 Rückmeldungen überaus klar.
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Doch mehr als die Hälfte der Befragten sagten, dass sie regelmäßig mehr als vereinbart arbeiten. Besonders hoch war dieser Anteil in der mobilen und stationären Langzeitpflege (77,4 % bzw. 66,1 %), aber auch in Krankenhäusern arbeiteten mehr als die Hälfte (56,9 %) regelmäßig mehr als ausgemacht. Nur etwa vier von zehn Menschen aus den Gesundheitsberufen (39,1 %) berichteten von regelmäßiger Einhaltung ihres vereinbarten Arbeitszeitausmaßes.
Damit zeigt sich deutlich: In der Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeiten liegt eine effektive Stellschraube, mit der die Attraktivität der Arbeitsplätze im Gesundheitswesen oder in der Langzeitpflege gehoben werden kann.
Maßnahmen für attraktive Arbeitsplätze Zentral für die Arbeitszufriedenheit in den Gesundheitsberufen ist die Einhaltung der Arbeitszeit. Maßnahmen, die Mehrarbeit vermindern oder überflüssig machen, beeinflussen viele verschiedene Faktoren gleichzeitig. Regelmäßiges Einhalten des vereinbarten Arbeitszeitausmaßes bringt etwa verlässliche Dienstpläne und eine erhöhte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Zufriedenheit mit direkten Vorgesetzten steigt, wenn diese nur mehr selten MitarbeiterInnen bitten müssen, in der Freizeit für ausgefallene KollegInnen einzuspringen.
Dazu braucht es jedoch einen ausreichenden Personalstand, der in der Praxis vielfach nicht mehr gegeben ist. Deshalb ist sofort mehr Personal erforderlich – auch um in Zukunft weitere MitarbeiterInnen zu bekommen. Denn mehr Personal bringt unmittelbar Entlastung durch reduzierte individuelle Arbeitslast und das gestärkte Gefühl, wieder mehr für kranke und unterstützungsbedürftige Menschen da sein zu können. Damit steigt auch die Attraktivität der Arbeit in den Gesundheitsberufen. Die AK fordert aus diesem Grund als Sofortmaßnahme österreichweit 20 Prozent mehr Personal in Krankenhäusern und in der Langzeitpflege, um die unmittelbarsten Problemlagen in den Griff zu bekommen.
Gerechte Einkommen Das Thema Einkommen ist Spitzenreiter bei der Unzufriedenheit. Hier wird es in Zukunft noch deutlicher Einkommenssteigerungen bedürfen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass bestehende Qualifikationen in der Praxis entsprechend abgegolten werden. Aktuell werden viele SozialbetreuerInnen des Fachbereichs Altenarbeit mit einer zwei- oder dreijährigen Ausbildung in der Praxis nur wie einjährig ausgebildete PflegeassistentInnen bezahlt, weil entsprechende Stellen in den Personalregelungen fehlen. Auch kommt es vor, dass ausgebildete NotfallsanitäterInnen nur wie SanitäterInnen entlohnt werden. In den Pflegeberufen gibt es bei zusätzlich erworbenen Kompetenzen, etwa als Fachkraft für Wundmanagement oder in der Kontinenz- und Stomaberatung, keine Arbeitsstellen mit entsprechender finanzieller Abgeltung. Qualifiziertere Aufgaben brauchen bessere Bezahlung. Nur so kann sich eine berufliche Fachkarriere ergeben, die offenbar besonders Männern in den Gesundheitsberufen fehlt. Fest steht, dass gerechtere Einkommen Gesundheitsberufe für alle interessanter machen.
Angst vor dem Finanzierungsloch oder seriöses Rechnen? Die demografischen Entwicklungen und die erforderliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Angehörige der Gesundheitsberufe machen immer mehr finanzielle Mittel erforderlich. Wenn nicht der Faktor Arbeit einseitig weiter belastet werden soll, wird es eine kontinuierliche Steuerfinanzierung brauchen. Dazu kann etwa auf den Länderbericht 2019 der EU-Kommission für Österreich verwiesen werden, in dem angesichts der extremen Vermögensungleichheit in Österreich eine höhere Grundsteuer oder die Wiedereinführung der Erbschafts- und Vermögenssteuer vorgeschlagen wird.
Zudem darf man sich nicht von den hohen Summen auf der Ausgabenseite in die Irre führen lassen, man muss auch die entsprechenden Einnahmen gegenüberstellen. Eine Studie des WIFO aus 2017 zeigt: Von jedem öffentlich bezahlten Euro fließen etwa in der Langzeitpflege 70 Prozent in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen wieder zurück. Dieser Anteil ist im Vergleich mit anderen Wirtschaftssektoren als hoch einzuschätzen.
In anderen Wirtschaftsbereichen würde eine derart steigende Nachfrage, wie wir sie im Gesundheitswesen und der Langzeitpflege haben, als Wachstumsmotor anerkannt werden. Millionenschwere Förderprogramme würden ins Leben gerufen, Ausbildungsinitiativen gestartet, Infrastrukturausbau in die Wege geleitet und die enormen Chancen einer wachsenden Branche hervorgehoben werden. Dies sollte auch für das Gesundheits- und Pflegesystem gelten, anstatt nur einseitig den Kostenaspekt zu betonen.
Die Ausgaben sind hoch, aber notwendig. Vermutlich werden sie die zuständigen Bundesländer nicht ohne höhere Mittel aus dem Steuertopf stemmen können. Es wird daher Zeit, dass ArbeitnehmerInnen, ArbeitgeberInnen und auch die Gemeinden und Bundesländer den erforderlichen Mehrbedarf beim Finanzministerium anmelden. Die Zeit drängt.
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