Mehr Geld – weniger Zusammenhalt: Wettbewerb der Subventionen

29. Juli 2020

COVID-19 hinterlässt tiefe Spuren in der Realwirtschaft und gefährdet eine nicht abzuschätzende Zahl von Arbeitsplätzen. Die Mitgliedstaaten greifen tief in die nationalen Fördertaschen, allen voran Deutschland: 3 Milliarden Euro staatsgarantiertes Darlehen für Adidas, 1,8 Milliarden für TUI sowie ein Rettungspaket für Lufthansa über 9 Milliarden Euro. Diese Beihilfenkaskade wurde möglich, weil die EU-Kommission als Antwort auf die Krise vorübergehend die Beihilfenregelungen lockerte. Ein Aussetzen der Beihilfenkontrolle auf Dauer bedroht jedoch den europäischen Zusammenhalt.

Großzügige Subventionen in EU-Staaten

Auch in anderen Mitgliedstaaten werden Großunternehmen staatlich gestützt: Bei den Fluglinien zum Beispiel erhielt KLM von der niederländischen Regierung eine Subventionszusage von € 2 bis 4 Milliarden, Air France von der französischen Regierung eine in Höhe von € 7 Milliarden. Spanien schnürte ein Rettungspaket im Umfang von € 1 Milliarde für Vueling und IAG, für Alitalia steht im Rahmen der geplanten Wiederverstaatlichung ein € 3 Milliarden-schweres Subventionspaket zur Diskussion. Aber auch Unternehmen im Industriesektor wanken: Der französische Finanzminister ließ durchblicken, dass Renault die Krise ohne staatliche Beihilfen nicht überleben könne. Eine staatliche Unterstützung in Höhe von € 5 Milliarden ist im Gespräch.

In der Krise wird der Ruf nach staatlicher Unterstützung wieder laut. Millionen Arbeitsplätze in allen Sektoren, von der produzierenden Industrie über Dienstleistungen, wie vor allem auch Tourismus und Kultur, sind gefährdet. Allein in Deutschland sind 7 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit.

Ein Déjà-vu: War vor und nach der Finanzkrise 2008 der Staat als Hemmschuh für unternehmerische Tätigkeiten definiert, soll er sich plötzlich zum Retter des Unternehmertums aufschwingen und die Verluste übernehmen.

Lockerung des EU-Beihilfenverbots

Mit Ausbruch der COVID-19 Krise setzte die EU-Kommission im März 2020 zur raschen Ermöglichung von Rettungsmaßnahmen zugunsten der Realwirtschaft das Beihilfenverbot des Art. 107 AEUV vorübergehend aus. In ihrer Mitteilung über einen befristeten Rahmen zur Stützung der Wirtschaft stellt sie für verschiedene Unterstützungsinstrumente ein beschleunigtes Verfahren zur Verfügung: Danach sind direkte Zuschüsse bis € 800.000, vergünstigte staatliche Garantien für Bankdarlehen, öffentliche und private Darlehen mit vergünstigten Zinssätzen, Maßnahmen zur Steuerstundung, Aussetzung der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnzuschüsse für ArbeitnehmerInnen sowie staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen für Unternehmen zulässig. Zwar sieht die Kommission unter dem Titel „Transparenz“ vor, dass die Mitgliedstaaten berichten, inwieweit die erhaltenen Beihilfen Tätigkeiten unterstützen, die im Einklang mit den EU-Zielen hinsichtlich des ökologischen und digitalen Wandels stehen. Das ist aber nicht mehr als eine freiwillige Selbstverpflichtung. Unter dem Titel „Governance“ wird klargestellt, dass AktionärInnen keine Dividenden erhalten dürfen, solange die staatliche Beteiligung besteht. Bonuszahlungen für das Management sind allerdings erst ab einer Beteiligung von mindestens 75% verboten.

Trotz dieser europäischen Milde forderte der österreichische Finanzminister ein vorübergehendes völliges Aussetzen des EU-Beihilfenregimes: „Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir mit österreichischem Steuergeld andere Länder unterstützen und dafür im Gegenzug ein Verbot bekommen, unsere eigenen Unternehmen mit unserem eigenen Steuergeld zu unterstützen.“

Inzwischen kommt immer klarer zutage, dass durch die Lockerung des Beihilfenregimes wirtschaftliche Ungleichheiten im Binnenmarkt auf die Dauer verstärkt werden: Mitgliedstaaten mit budgetärem Notstand können in einem solchen Beihilfenwettbewerb nicht mithalten. Sie werden aus der Krise noch geschwächter hervorgehen, ihre Unternehmen werden aus dem Markt gedrängt oder übernommen werden, während auf europäischer Ebene ein adäquater Ausgleichsmechanismus fehlt, der diese ökonomischen Ungleichheiten abfedern könnte.

Im Ergebnis verstärken die Beihilfenausnahmen wirtschaftliche Ungleichheiten, die das EU-Beihilfenverbot gerade vermeiden sollte. Selbst Präsident Macron gab zu, dass diese Art des Subventionswettbewerbs faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt unterminiert.

Statt Bruderkrieg der Mitgliedstaaten…

Inzwischen belaufen sich die mitgliedstaatlichen Beihilfen, die von der EU-Kommission genehmigt wurden, auf rund € 1,5 Billionen. Insgesamt hat die EU-Kommission seit Ausbruch der Krise über 200 Beihilfeentscheidungen zu nationalen Maßnahmen in allen EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich getroffen (Stand 9. Juli 2020).

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Aus rechtlicher Sicht steht es allen Mitgliedstaaten frei, die neuen, gelockerten EU-Regelungen in Form von sektoralen und Unternehmensbeihilfen zu nutzen, die von der EU-Kommission im Schnellverfahren genehmigt werden (s. Graphik). Hinzu kommt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, durch eigene, allgemeine nationale Maßnahmen, die dort jeweils alle Unternehmen gleichermaßen in Anspruch nehmen können, Beihilfen zu gewähren. Solche Subventionen sind nicht genehmigungspflichtig.

Betrachtet man allein die sektoralen Unternehmensförderungen, so wird ein klarer Wettbewerbsvorteil der großen Volkswirtschaften gegenüber den kleineren deutlich: Italien, Deutschland und Frankreich vereinen € 1,2 Billionen und damit 78% der insgesamt von der Kommission genehmigten Beihilfen auf sich. Auf den Plätzen vier und fünf folgen mit großem Abstand das Vereinigte Königreich und Belgien mit € 60 bzw. 54 Milliarden.

Dies mag zwar vorübergehend akzeptabel sein, um vor allem den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen (wie es in den USA gerade passiert) zu vermeiden, auf Dauer ist der Verlust gleicher Wettbewerbsbedingungen in diesem Ausmaß aber schädlich und daher inakzeptabel.

…gemeinsamer EU-Wiederaufbau

Statt einfach den Subventions-Hahn aufzudrehen, braucht die EU daher eine umfassende Industriestrategie, in der auch beihilferechtliche Fragen neu bewertet werden müssen: COVID-19 hat gezeigt, dass strategisches Eigentum zu wenig gegen feindliche Übernahmen gesichert ist, dass strategisch wichtige Produktionszweige (beispielsweise im Gesundheitswesen) nach Europa zurückgeholt bzw. von Abwanderung abgehalten werden sollten, und dass Rekapitalisierungsmaßnahmen ein wichtiges Instrument zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit sein können. Das Weißbuch betreffend Auslandssubventionen kann dafür ein erster Schritt sein. Des Weiteren muss das EU-Beihilfenrecht der Zukunft nationale Beihilfen in eine Richtung steuern, die gemeinsame europäische Strategien unterstützt, etwa das Erreichen der Klimaneutralität oder die Verfolgung einer gemeinsamen Luftfahrtstrategie.

Eine wesentliche Neuerung muss es außerdem bei den Konditionalitäten der Beihilfemaßnahmen geben: Sie müssen die EU-Ziele und Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich des sozial-ökologischen und digitalen Wandels unterstützen und eine Beschäftigungs- und Standortgarantie enthalten. Außerdem dürfen AktionärInnen keine Dividenden erhalten, solange eine staatliche Beteiligung besteht; ebenso müssen dann Bonuszahlungen für das Management ausgesetzt werden. Diese Bedingungen müssen bereits vorab in Leitlinien und nicht erst von Einzelfall zu Einzelfall festgelegt werden.

Auch sollte eine Demokratisierung des Beihilfenrechts erwogen werden, indem wichtige Grundsätze nicht in Form von unverbindlichen Leitlinien der EU-Kommission, sondern durch Richtlinien im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens festgelegt werden.

Die EU-Mitgliedstaaten befinden sich in einer Art „Bruderkrieg“, wie es die EU-Kommission selbst treffend in ihrer Industriestrategie 2020 bezeichnet. Sie betont zu Recht, dass die befristete Aussetzung des Beihilfenverbots nur eine komplementäre Maßnahme sein kann. Unternehmen werden ergänzende, großangelegte private und öffentliche Investitionsimpulse im Rahmen der Wiederaufbauphase nach der Krise benötigen. Dazu bedarf es eines Wiederaufbauplans, der horizontale Ziele wie den „Green Deal“ durch sozial-inklusive Transformation unterstützt. Die Reform der Beihilferegelungen, insbesondere der Beihilfenleitlinien betreffend Umweltschutz und Energie, können dabei nur ein kleiner Baustein sein.

Nur so kann es gelingen, vom Krisenmodus zu einem gemeinsamen europäischen Wiederaufbau zu kommen.

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