Standort-Entwicklungsgesetz, die Zweite – mehr als Symbolik?

18. November 2019

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Februar 2017, den Antrag des Flughafens Wien auf Errichtung der dritten Piste mit dem Klimaschutzargument abzulehnen, löste damals einen Sturm der Entrüstung aus: Nichts gehe mehr, beschwerte sich die Industrie. Mit dem Standort-Entwicklungsgesetz (im Folgenden kurz: Standortgesetz) habe man Investoren wie Betroffenen „rascher Planungs- und Rechtssicherheit“ gegeben, hat die letzte Bundesregierung Anfang 2019 bilanziert. Warum das nicht gelungen ist.

Wie nützlich ist das Standortgesetz?

Die Frage drängt sich weniger auf, weil die Europäische Kommission jüngst sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eröffnet hat. Seltsam ist vor allem, dass es bis jetzt keinen Antrag eines Projektwerbers auf Bestätigung des besonderen öffentlichen Interesses gibt. Der – industrielastig – besetzte Standortentwicklungsbeirat hatte bisher nichts zu begutachten. So gibt es auch noch keine Standortentwicklungs-Vorhaben-Verordnung, die die Projekte auflistet. Dabei haben dieselben staatsnahen Infrastrukturunternehmen im November 2018 das vor dem Beschluss stehende Vorhaben noch frenetisch begrüßt, das Bundeskanzler Kurz tags darauf symbolträchtig am Flughafen Wien präsentierte. Warum hat niemand Lust? Nur die Kommentarliteratur aus einschlägigen Anwaltskreisen boomt.

Das Standortgesetz gehörte mit dem Standortanwalt und dem Staatsziel „Wirtschaftsstandort“ zu den drei standortpolitischen Vorhaben der letzten Bundesregierung und ist mit 1.1.2019 in Kraft getreten.

Ein bunter Werdegang

Ein Blick auf den Werdegang des Standortgesetzes zeigt, dass am Beginn deutlich andere Vorstellungen zum Regelungsinhalt gestanden sind. Ein ab Sommer 2017 kursierendes Eckpunktepapier aus der Industriellenvereinigung zeigte einen breiten Zugang und legte den Fokus auf die Etablierung einer koordinierten Standortentwicklungsplanung im Bundesstaat unter breiter Beteiligung (Bundesländer, Sozialpartner, Kommunalverbände, auch Zivilgesellschaft), was dann erst in weiterer Folge zu Empfehlungen zur Verfahrensoptimierung hätte führen sollen. Der Bericht der Wirtschaftsministerin an den Ministerrat vom April 2018 hat diesen breiten Zugang völlig aus den Augen verloren. Der Ministerialentwurf vom Sommer 2018 und die Regierungsvorlage vom November 2018 haben sich dann nochmals wesentlich unterschieden: Was im Sommer die Gemüter erregt hatte, war fast gänzlich verschwunden.

Die wesentlichen Inhalte des Standortgesetzes

Das Gesetz bezieht sich auf alle möglichen Projekte, z. B. eine geplante Straße, für die eine Genehmigung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-Gesetz) notwendig, aber noch nicht beantragt ist. Für solche Projekte – das ist der Kern – ist ein Verfahren zur Erlangung einer Bestätigung des besonderen öffentlichen Interesses der Republik Österreich vorgesehen. Das Verfahren dazu kann aber nur vom Projektwerber beantragt werden. Der Beirat beurteilt, ob das Projekt „außerordentlich positive Folgen für den Wirtschaftsstandort“ hat. Eine Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit (Länder, Kommunen, Sozialpartner, NGOs, …) ist dagegen nicht vorgesehen. Ob die Bestätigung erteilt wird, entscheiden allein Wirtschafts- und VerkehrsministerIn im Einvernehmen mittels Verordnung. Für Projekte, die in dieser Verordnung aufgelistet sind, gelten dann besondere Verfahrensvorschriften, die die Verfahren schneller machen sollen: Doch die zentralen Bestimmungen dort sind genau diejenigen, die die Kommission nun für EU-rechtswidrig hält, weil sie gegen die EU-UVP-Richtlinie verstoßen.

Vorbild „bevorzugter Wasserbau“ war ein Fehlschlag

Die Vorgehensweise beim Standortgesetz erinnert an den 1990 – als nicht mehr „zeitgemäß“ – abgeschafften „bevorzugten Wasserbau“. Anlass war das nie gebaute Donaukraftwerk Hainburg und die dafür erteilte Bevorzugungserklärung. Denn die hat den Konflikt um das Projekt erst so richtig angeheizt und ist als autoritatives Präjudiz empfunden worden. Was man daraus lernen kann, ist, dass Bevorzugungserklärungen offenbar nicht zur Klärung von realen Konflikten taugen.

Der Vergleich mit dem Standortgesetz zeigt durchwegs Parallelen. Die Unterschiede in der Formulierung dürften nicht ins Gewicht fallen. Beide Verfahren sehen keinerlei Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit vor. Besonders kontraproduktiv dürften zudem die jeweils zentralen Verfahrensbeschleunigungsmaßnahmen sein, aus denen der Geist einseitiger Parteinahme für den Projektwerber unverhohlen hervorleuchtet, was kaum dem Rechtsfrieden dient.

Man hätte die Anlassverfahren eingehend untersuchen sollen

Die erläuternden Bemerkungen begründen die Stoßrichtung des Gesetzes nicht, sondern statuieren sie. Die Auswertung von UVP-Verfahren in Österreich zeigt, dass es nur ganz bestimmte UVP-Projekte sind, die besonders lange dauern.

Das Anlassverfahren schlechthin ist das Dritte-Piste-Verfahren, das wohl auch in den Erläuternden Bemerkungen angesprochen ist. Welche Beschleunigung das Standortgesetz, hätte es schon damals gegolten, gebracht hätte, sagen die Erläuternden Bemerkungen nicht, unterschlagen aber die verzögernde Wirkung des damaligen EU-Vertragsverletzungsverfahrens zu den vorbereitenden Flughafenausbauten. Vieles spricht dafür, dass das Vorhaben von Anbeginn an einem unzureichenden Rechtsrahmen im Luftfahrtgesetz gelitten hat. Dennoch hat das Verkehrsministerium nie Anlass zu einer gründlichen Überarbeitung gesehen. Vergleichbares zeigt sich zu den Verfahren zur 380-kV-Leitung in Salzburg: Zweimal hat der Landesgesetzgeber die Anforderungen deutlich verschärft, doch auf den entstandenen Koordinationsbedarf hat das Wirtschaftsministerium nie reagiert. Einseitige (vom VfGH dann aufgehobene) Verschärfungen von Landesrecht haben die enormen Verzögerungen beim Semmering-Basistunnel bewirkt.

Fazit: Worüber gesprochen werden sollte

Die Anlassverfahren führen zu Fragen und Hypothesen, denen endlich nachgegangen werden sollte. Denn bis jetzt sieht es so aus, als ob das Standortgesetz sich als Akt bloß symbolischer Gesetzgebung herausstellen könnte:

  1. Sonderverfahrensrecht sollte tunlichst vermieden werden.
  2. Es bleiben erhebliche Zweifel am Nutzen der neugeschaffenen Bevorzugungserklärung: Denn es hat den Anschein, dass das, was sie ermöglicht, wenig bis gar nicht gebraucht wird, und was gebraucht würde, mit ihr nicht möglich ist.
  3. Es erhebt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß ist, Planungen für Infrastruktur möglichst frei von jeglichen förmlichen und inhaltlichen Bindungen zu gestalten. Denn (nicht nur) die Anlassfälle zeigen, dass die Planung für Infrastruktur (Schiene, Straße, Luftfahrt, Energie) faktisch weitgehend an die Betreiber privatisiert ist. Der politischen Legitimation der Projekte dient das offenkundig nicht.
  4. Dies führt zur Frage, ob nicht schon längst eine Modernisierung der nicht nur in diesen Punkten durchwegs veralteten Infrastrukturgesetze (Straße, Schiene, Luft, Energiewege) angezeigt ist. Vorschläge dazu stoßen seit geraumer Zeit weder bei Projektwerbern noch den zuständigen Ressorts auf Gegenliebe. Dort herrscht noch immer das Kalkül vor, dass man „mit den bestehenden offenen Materiengesetzen besser fahre“.
  5. Dann ist der Frage nachzugehen: Inwieweit sind Verfahrensverzögerungen auf Mängel in der Ressourcenausstattung bzw. unzulängliches Verfahrensmanagement in den Behörden zurückzuführen? Als Erstes braucht es hier eine Faktenbasis. Hierher gehört auch die Frage, wieso es gerade für die großen Infrastrukturverfahren wieder keine vollkonzentrierte Genehmigung nach dem UVP-Gesetz gibt.
  6. Schlussendlich die Frage: Inwieweit gibt es Reibeflächen zwischen dem Landesnaturschutz und der Bundesinfrastrukturplanung, die Verfahren unnötig verzögern.

 

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Kurzversion eines gleichnamigen Beitrags, der in der Nr. 2 der Zeitschrift „Recht der Umwelt“ vom April 2019, S. 52–65 erschienen ist.