Mit uns, nicht auf unsere Kosten! Sozial-ökologischen Umbau partizipativ gestalten

26. Mai 2023

Der nachhaltige Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine verteilungspolitische Frage. Er kann nur gemeinsam mit den Beschäftigten sozial verträglich gestaltet und umgesetzt werden. Interviews mit Betriebsratsvorsitzenden aus 21 oberösterreichischen Leitbetrieben gewähren dazu Einblicke in die Betriebe. Der ökologische Umbau muss soziale Aspekte ins Zentrum rücken und darf die Beschäftigten nicht zurücklassen!

Mit dem „Fit für 55“-Programm hat die Europäische Union die Weichen für eine ambitionierte Klimapolitik gestellt. Bis 2030 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. In Österreich betrifft das Ziel der Klimaneutralität insbesondere die Bereiche Industrie, Energie und Verkehr, die knapp drei Viertel der CO2-Emissionen verursachen. Im sekundären Sektor – u. a. Industrie, Energiewirtschaft und Bauwesen – sind außerdem fast eine Million Menschen beschäftigt.

Der ökologische Umbau der Wirtschaft – eine Verteilungsfrage

Die Ausgestaltung von Klimapolitik ist eine Frage der gerechten Verteilung von Kosten, Risiken und Betroffenheit. Die anstehenden Veränderungen müssen nach dem Motto „Change by Design, not by Desaster“ als Prozess unter Einbeziehung aller Betroffenen aktiv gestaltet werden. Wird dieser Prozess nicht aktiv begleitet, werden Gewinne und Kosten ungleich verteilt werden, und es kommt zu massiven Verwerfungen am Arbeitsmarkt.

Für die Beschäftigten ist der sozial-ökologische Umbau mit mehreren Risiken verbunden:

  • Zuvorderst steht der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen, der so weit wie möglich verhindert und in den restlichen Fällen sozial abgefedert werden muss.
  • Eine weitere Herausforderung besteht darin, Klimapolitik nicht vor allem durch die Steuerung des individuellen Konsumverhaltens über eine zunehmende Erhöhung der CO2-Preise zu betreiben. Dies würde einkommensschwächere Gruppen zu – teils massiven – Einschränkungen ihres Lebensstils zwingen, während sich Reiche von ihren Klimasünden „freikaufen“ können.
  • Nicht zuletzt besteht auch eine Gefahr darin, dass die Kosten für den Umbau von Gewinn schreibenden Unternehmen hin zu den Beschäftigten verschoben werden. Sie leisten insbesondere über die Lohn- und Konsumsteuern rund 80 Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Die Schieflage verschärft sich, wenn der Staat weiterhin Geld vor allem an Unternehmen, die in ihrer großen Mehrheit beachtliche Gewinne erzielen, ausschüttet. Die erforderliche anhaltende und breite Zustimmung der Beschäftigten für Klimaschutzpolitik wird dadurch nicht erzielt werden können.

Befragung von Betriebsräten

Um Einblicke in die Betriebe zu bekommen, führte die Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der Arbeiterkammer Oberösterreich ab dem Frühjahr 2022 Interviews mit Betriebsräten aus insgesamt 21 oberösterreichischen Betrieben, die besonders vom Umbau betroffen sind. Unter anderem wurden Beschäftigtenvertreter:innen aus Betrieben der Fahrzeug(zuliefer)-, Chemie-, Papier-, Zement- und Stahlindustrie sowie von Unternehmen der Energiewirtschaft befragt. Die Einbeziehung der Beschäftigten beginnt für uns damit, ihre Bedürfnisse zu erheben, ihnen zuzuhören und auch ihre Bedenken ernst zu nehmen.

Betriebe in die Verantwortung nehmen: Öffentliche Förderungen brauchen klare Bedingungen

In den Interviews wurde von verschiedenen Betriebsratsvorsitzenden bemängelt, dass Österreich keine klare politische Strategie mit realistischen und klar definierten Etappenzielen für den sozial-ökologischen Umbau – unter Einbeziehung der Beschäftigten und ihrer Vertretungsorgane – erarbeitet hat. Dabei darf der Umbau nicht dem Markt überlassen werden!

Es braucht dringend strategische öffentliche Investitionsprogramme. Zugleich dürfen nicht Gewinne in privaten Händen verbleiben, während Unternehmensförderungen ohne Gegenleistung ausbezahlt werden. Dieses Anliegen formulierte ein befragter Betriebsrat mit treffenden Worten:

„Und das nächste Thema ist, wenn ich die Industrie hernehme, die liebt halt die Förderungen (…). Deshalb ist es wichtig, dass die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft (…) drauf pochen, dass das nicht einmal der Konsument am Ende des Tages zahlt.

In Zukunft werden wir deshalb detailliert aufschlüsseln, welche Ansprüche auf Förderungen Unternehmen und Konsument:innen haben und wie diese finanziert werden. Öffentliche Förderungen aus dem Steueraufkommen müssen an klare Bedingungen geknüpft werden, die über eine Standort- und Beschäftigungsgarantie hinausgehen. Mariana Mazzucato schlägt eine direkte oder indirekte Gewinnbeteiligung vor. Auch die Einbindung der Beschäftigten in den Umbau könnte zur Grundlage von Förderungen gemacht werden. Bei einem Bruch der Auflagen sollen die Förderungen zurückbezahlt werden müssen.

Sozial gerechte Industriepolitik benötigt flankierende Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik

Industriepolitik benötigt flankierende sozial-, bildungs- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, da Beschäftigte vom Umbau unmittelbar betroffen sind. Ein sozial verträglicher Umbau der Wirtschaft wird durch die Sicherung und den Ausbau des Sozialstaats möglich. Die Arbeitnehmer:innenvertretung muss die Produktionsveränderungen aktiv begleiten, Qualifikationen und Berufsbilder der Zukunft aufzeigen sowie Betroffene bei Umstieg durch aktive Arbeitsmarktpolitik unterstützen. Ein Betriebsrat dazu:

„Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man dem Menschen, der arbeitet, diese Ökologisierungschance zeigen kann. Jetzt wird überall in den Medien berichtet, es wird ökologisiert, und jeder hat Angst um seinen eigenen Job, wie schaut das in Zukunft bei mir aus. Also ich glaube, das ist ein wichtiges Ziel – zu vermitteln, wo entwickle ich mich hin, wo kann ich mich hinentwickeln, (…) wo werden die Arbeitsplätze in Zukunft sein.“

Gleichzeitig müssen auch die Betriebe in die Pflicht genommen werden. Die Unternehmen selbst müssen auch Überlegungen anstellen, wie sie möglichst alle Arbeitsplätze erhalten können und die ökologische Aus-, Fort- und Weiterbildung – sowie in manchen Fällen die Umschulung – ihrer Beschäftigten (auch finanziell) fördern.

Den Umbau mitgestalten, statt überrollt zu werden

Wir wollen einen sozial-ökologischen Umbau „by Design“, in dem die Interessen der Arbeitnehmer:innen berücksichtigt werden. Es braucht eine ernsthafte Einbeziehung und Mitbestimmung der Beschäftigten und ihrer Vertretungsorgane – Gewerkschaften und Arbeiterkammer – in der Transformation sowie eine Stärkung der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit in diesem Bereich. Gerechte Verteilung und Mitbestimmung müssen im Umbau garantiert werden!

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