Unterstützen energiepolitische Maßnahmen im Jahr 2022 energiearme Haushalte adäquat? Eine intersektionale Perspektive

09. Juni 2023

Die österreichische Regierung gab seit letztem Jahr viel Geld für Energiezuschüsse aus, um die Auswirkungen explodierender Energiepreise abzufedern – das meiste davon nach dem Gießkannenprinzip, anstatt vorrangig jene zu fördern, die es notwendig gehabt hätten. Was bedeutet dies für Haushalte, die bereits vor der Krise von Energiearmut betroffen waren? Von allen seit dem Jahr 2022 eingeführten Maßnahmen schafft es nur der Wohnschirm, nachhaltige Unterstützung zu leisten; die meisten Zahlungen erfolgten in Form von Einmalzahlungen, deren Wirkung rasch verpuffte. Eine umfangreiche und nachhaltige Unterstützung, die auch die Mehrfachbelastung dieser Betroffenen adressiert, sähe jedenfalls anders aus. Um dies in Zukunft zu erreichen, wäre es dringend erforderlich, bereits im Vorfeld die Auswirkungen von Unterstützungsmaßnahmen multidimensionaler zu analysieren und abzuschätzen.

Energiearmut aus einer intersektionalen Perspektive

Energiearmut ist nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit einhergehenden explodierenden Energiepreisen für viele Haushalte in Österreich tagtägliche Realität. Unter Energiearmut wird die mangelnde Möglichkeit, Energiekosten zu stemmen und Energie so nutzen zu können, wie sie benötigt wird, verstanden. Die Wohnung warm halten zu können, warm zu duschen oder ein Mittagessen zu kochen ist nicht für alle selbstverständlich. Betrachtet man die von Energiearmut betroffene Gruppe genauer, wird die Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen, auch als Intersektionalität bezeichnet, sichtbar. Insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich stark von Armut und folglich auch Energiearmut betroffen. Die Armutsgefährdung zeigt sich vor allem auch geschlechtsspezifisch: Pensionistinnen, Frauen mit Kindern, Alleinerzieherinnen und Frauen in Ein-Personen-Haushalten sowie TIN*(Trans, Inter, Nicht-binär)-Personen sind besonders gefährdet. Zum einen können manche aufgrund von steigenden Strompreisen, mangelnder Wärmedämmung oder energieintensiven Elektrogeräten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, zum anderen schränken sich Personen in ihrem Alltag bewusst ein, um so die Kosten für ihre Energierechnung kleinzuhalten. Man spricht dann auch von versteckter Energiearmut.

Gerade Haushalte im unteren Einkommensdrittel haben die anhaltende Teuerung und die Energiepreissteigerungen besonders stark zu spüren bekommen, da sie überproportional viel Geld für Energie, Wohnen und Lebensmittel ausgeben müssen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die von der Bundesregierung eingeführten Maßnahmen zu einer Abfederung der Belastungen überhaupt beitragen konnten. Waren sie überhaupt so dimensioniert, um Energiearmut in ihrer Vielschichtigkeit bekämpfen zu können?

Einmalzahlungen reichen zur Abfederung von Energiearmut nicht aus

Eine intersektionale Analyse des Klimabonus, des Teuerungsausgleichs für vulnerable Gruppen, des Entfalls der Erneuerbaren-Förderkosten, des Energiekostenausgleichs, der Strompreisbremse und des Wohnschirms auf ihre möglichen Folgewirkungen hat gezeigt: Ein Großteil der Maßnahmen ist nicht bedarfsorientiert gestaltet und entlastet deswegen Frauen und andere Gruppen, die von Energiearmut besonders betroffen sind, nicht ausreichend.

Ein Grund dafür ist, dass finanzielle Transfers unterschiedliche Auswirkungen auf die Haushalte haben. Da es sich bei den meisten energiepolitischen Unterstützungsmaßnahmen des letzten Jahres um einmalige finanzielle Leistungen handelte, griffen diese Maßnahmen zu kurz. Sieht man vom Teuerungsausgleich für vulnerable Gruppen ab, wurden die finanziellen Unterstützungsleistungen auch nicht bedarfsorientiert ausbezahlt. Aber auch bei dieser Maßnahme ist kritisch anzumerken, dass deren insgesamte Treffsicherheit offenbleibt. Denn der Teuerungsausgleich für vulnerable Personen definierte die Zielgruppe über bestehende Leistungsansprüche. Viele armutsgefährdete Haushalte sind jedoch aufgrund restriktiver Anspruchsberechtigungen von Sozialleistungen exkludiert. Manche nehmen sie auch aus unterschiedlichen Gründen, wie zum Beispiel Nichtwissen oder Scham, gar nicht erst in Anspruch. Daher wäre es dringend notwendig, Zielgruppen nicht über bestehende Leistungen zu definieren, sondern zuerst die Treffsicherheit dieser Sozialleistungen zu evaluieren und intersektionale Dimensionen zu berücksichtigen. Auch der Energiekostenausgleich ist nicht als zielgerichtete Akutmaßnahme für Personen, die von Energiearmut betroffen sind, zu betrachten, sondern als Einmalzahlung, die für die breite Masse der österreichischen Bevölkerung vorgesehen war.

Wem kommen Österreichs energiepolitische Entlastungsmaßnahmen von 2022 hauptsächlich zugute?

Dass die energiepolitischen Entlastungsmaßnahmen nicht denjenigen zugutekommen, die sie am dringendsten bräuchten, wird anhand der gesetzten Maßnahmen sichtbar. So kommt der Entfall der Erneuerbaren-Förderkosten vor allem den ökonomisch besser gestellten Haushalten zugute, da ökonomisch benachteiligte Haushalte bereits vor dem im Jahr 2022 beschlossenen Entfall davon befreit waren. Auch der Klimabonus benachteiligte beispielsweise obdachlose Menschen, eine besonders vulnerable Personengruppe, da die Auszahlung an einen Hauptwohnsitz in Österreich geknüpft war.

Im Unterschied zu den anderen energiepolitischen Maßnahmen handelt es sich bei der Strompreisbremse um keine finanzielle Einmalzahlung, sondern um eine Förderung des Energieverbrauchs. Da sich die Strompreisbremse jedoch danach richtet, wie viel Energie ein Haushalt konsumiert, profitieren davon Personen, die energieeffiziente Gebäude bewohnen oder stromsparende Elektrogeräte besitzen. Und diese sind häufig sozioökonomisch privilegiert. Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt können nämlich dazu führen, dass beispielsweise Frauen, Pensionistinnen oder Menschen mit Migrationsgeschichte Wohnungen beziehen, die viel Energie benötigen und teuer sind, und sich energiesparende Geräte schlicht nicht leisten können.

Im Mai 2023 präsentierte die Bundesregierung ein neues Antiteuerungspaket aufgrund der nach wie vor sehr hohen Inflation. Dieses Paket beinhaltet unter anderem eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne, wodurch diese angeregt werden sollen, die seit einiger Zeit wieder sinkenden Energiepreise an die Konsument:innen weiterzugeben. Auch wenn eine Übergewinnsteuer grundsätzlich eine durchaus nützliche Maßnahme zur Gegenfinanzierung weiterer Unterstützungsmaßnahmen darstellt, unterstützen nach einer vorläufigen Analyse die im Paket vorgeschlagenen Maßnahmen energiearme Haushalte erneut nicht adäquat.

Der Wohnschirm: ein erster Schritt in Richtung vorsorglicher Unterstützung

Für 22 Prozent der österreichischen Bevölkerung stellen die aktuellen Wohnkosten eine schwere finanzielle Belastung dar. Das Programm Wohnschirm des Sozialministeriums unterstützt jene Mieter:innen, die infolge der Corona-Pandemie ihre Miete nicht mehr bezahlen können und dadurch von Zwangsräumungen bedroht sind. Seit Jänner 2023 können auch die Kosten für ausstehende Energierechnungen übernommen werden. Von den analysierten Maßnahmen stellt der Wohnschirm die einzige längerfristige, auf benachteiligte Personen ausgerichtete Maßnahme dar.

Weibliche Obdachlosigkeit bleibt häufig unsichtbar und die Angebote der Wohnungslosenhilfe werden überwiegend von Männern in Anspruch genommen. Frauen befinden sich jedoch vermehrt in prekären Wohnsituationen und gefährlichen Abhängigkeiten. Daher ist es wichtig, dass Maßnahmen nicht erst greifen, wenn Frauen bereits obdachlos sind, sondern präventiv ansetzen. Der Wohnschirm stellt diesbezüglich ein wichtiges Angebot zur Delogierungsprävention dar.

Aufgrund des Zusammenhangs von Energiearmut und Gender kann der Ausbau des Unterstützungsangebots im Jänner 2023 um die Möglichkeit der Übernahme von unbezahlten Energierechnungen als eine wichtige Maßnahme bewertet werden. Sollte die Wohnung nicht mehr gehalten werden können, unterstützt der Wohnschirm auch bei Umzugskosten. Wichtig ist jedoch zu berücksichtigen, dass für den Wohnungswechsel nicht nur Mietkosten, sondern auch Energiekosten sowie die Ausstattung der Wohnung im Hinblick auf Energieeffizienz berücksichtigt werden müssen. Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut müssen daher grundsätzlich mehr leisten, als nur Geld bereitzustellen. Soziale Indikatoren sowie die Verschränkung von Diskriminierungsmechanismen müssen dringend berücksichtigt werden.

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Empfehlungen für treffsichere Maßnahmen statt Gießkannenprinzip

Was muss also getan werden, um zukünftige Unterstützungsmaßnahmen besser auf die Mehrfachbelastungen von energiearmen Haushalten zuzuschneiden und die intersektionale Dimension besser zu adressieren?

Energiepolitische Maßnahmen sollten im Vorhinein darauf untersucht werden, ob und wie sie sich auf sozioökonomisch benachteiligte Gruppen unterschiedlich auswirken. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten dann in die geplanten Maßnahmen einfließen. Dafür ist eine umfangreiche und vor allem intersektionale Folgenabschätzung, die über rein ökonomische Parameter hinausgeht, dringend empfehlenswert. Ein derartiges Impact Assessment sollte aufgrund der geschlechtsspezifischen Betroffenheit von Energiearmut die Dimension Gender in den Blick nehmen und auch energiepolitische Maßnahmen selbst müssen die Dimension Gender explizit einbeziehen. Dazu sollten Betroffene von Energiearmut, Sozialarbeiter:innen und Gender-Expert:innen bei der Entwicklung energiepolitischer Maßnahmen mitarbeiten. Eine bereits lange bekannte Forderung zur nachhaltigen Bekämpfung von Energiearmut ist auch, dass Maßnahmen gegen Energiearmut nicht nur auf der finanziellen, sondern ebenso auf der geografischen, technischen und sozialen Ebene umgesetzt werden müssen. Zusätzlich sollten Forschungsprojekte zu Energiearmut aus einer intersektionalen Perspektive gefördert werden, um die dringend benötigte Datenlage zu erweitern. Schlussendlich ist es notwendig, dass die umgesetzten Maßnahmen auf ihre gleichstellungsrelevanten Auswirkungen evaluiert und gegebenenfalls geändert werden. 

Neben energiepolitischen Maßnahmen spielen aber auch der Zugang zu leistbarem Wohnraum und Unterstützungsangebote für den Ausbau von energieeffizienten Maßnahmen (Wärmedämmung, Wärmepumpen) für energiearme Haushalte eine zentrale Rolle. Ebenso müssen Sozial- und Versicherungsleistungen, wie etwa das Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe und die Wohnbeihilfe, automatisch und adäquat an die Inflation angepasst werden, um die Teuerungen besser abzufedern und die Grundbedürfnisse zu sichern. Wichtige Informationen zu den Maßnahmen sollten zudem in unterschiedlichen Sprachen verfasst werden, um möglichst viele Menschen damit zu erreichen.

Abschließend muss noch gesagt werden, dass eine umfangreiche Bekämpfung von Energiearmut schlussendlich niemals ohne eine strukturelle gesellschaftliche Transformation funktionieren kann. Gezielte Unterstützungsleistungen für betroffene Haushalte können immer nur der Weg, nicht jedoch das Ziel an sich sein. Ob dies gerade in Zeiten politischer Schnellschüsse tatsächlich umgesetzt wird, ist ein anderes Thema. Die im Frühjahr 2023 von der Bundesregierung eingeführten Maßnahmen, wie der Teuerungsausgleich für Familien, lassen eher Gegenteiliges vermuten.

Dieser Blogbeitrag ist das Ergebnis einer studentischen Forschungsarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, die gemeinsam mit Kristina Hauer verfasst wurde.

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