Ein Green New Deal für Österreich

19. April 2019

Ein Green New Deal, wie er derzeit in den USA von der demokratischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez gefordert wird, kann auch in Europa und in Österreich dazu beitragen, die soziale Dimension der Klimakrise zu adressieren und den ökologischen Wandel gesellschaftlich verträglich zu gestalten. Der Green New Deal zielt nicht nur auf ökologische Maßnahmen wie saubere Luft, die Produktion nachhaltiger Lebensmittel und eine ökologisch verträgliche Industrie ab, es geht um weit mehr. Kernelement eines Green New Deals ist der Versuch, die Ziele einer gerechteren Gesellschaft, der Vollbeschäftigung und einer ökologisch tragfähigen Wirtschaft zu verknüpfen. Durch eine Kombination aus umwelt-, sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen bricht der Green New Deal in seinem Ansatz mit veralteten Denkmustern und eröffnet eine neue, dringend notwendige Debatte über eine Politik, die soziale Herausforderungen und das Gemeinwohl der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Klimakrise & soziale Krise: Österreich bleibt unter seinem Potenzial

Der aktuelle Klimaschutzbericht des Umweltbundesamtes sieht Österreich derzeit von der Erreichung des 1,5-°C-Ziels des Weltklimarates weit entfernt. Österreich ist eines von nur fünf EU-Ländern, das es seit 1990 nicht geschafft hat, seine Emissionen, gemessen an der Wirtschaftsleistung, zu reduzieren. Die Risiken von Dürren, extremen Temperaturschwankungen, Starkniederschlagsereignissen oder Überschwemmungen sowie die damit einhergehenden ökonomischen Folgen und sozialen Spannungen werden auch in Österreich immer deutlicher und mit ihrem wachsenden Ausmaß immer höhere Kosten verursachen. Eines ist sicher: Die Kosten der „Konsequenzen des Nichtstuns“ werden laut Gottfried Kirchengast, Leiter des Wegener Center und Mitglied des Klimaschutzkomitees, um fünf bis zehn Milliarden Euro höher sein als die Kosten, die es jetzt zu tragen gilt. Damit verbunden ist auch die Frage nach der Finanzierung dieser Kosten.

Die österreichische Bundesregierung gibt mit ihrer Klima- und Energiestrategie und dem daraus entstandenen nationalen Klima- und Energieplan keine ausreichenden Antworten auf diese zentralen Fragen der Finanzierung. Sie gibt keinerlei Antworten auf die Frage, welche Auswirkungen das Verschwinden von Teilen ganzer fossilabhängiger Branchen auf betroffene Regionen haben wird. Unklar ist, wie den Beschäftigten und ihren Familien weiterhin eine wirtschaftliche Perspektive geboten werden kann. Es existieren keine klaren Zielvorgaben, die Entwicklungspfade für wichtige Sektoren wie Industrie und Landwirtschaft vorgeben. Auch die Abschaffung von milliardenschweren kontraproduktiven Subventionen wird nicht thematisiert. Laut WWF sind so die Ausbauziele für 100 Prozent naturverträglichen Ökostrom bis 2030 nicht erreichbar. Bei genauerer Betrachtung stellen sich die in den Plänen enthaltenen Maßnahmen in der Tat als äußerst vage und überwiegend unzureichend heraus, um die Klimaziele tatsächlich zu erreichen.

Vor dem Hintergrund des Fehlens von Lösungen für die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen braucht es aber gut geplante, verbindlich formulierte, konkrete und ambitionierte Maßnahmen für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen. Nur so kann die Republik eine signifikante Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien herbeiführen, um die Klimaziele bis 2030 tatsächlich erreichen und gleichzeitig die daraus entstehenden Herausforderungen für den Arbeitsmarkt adäquat bewältigen zu können.

Der Plan für eine nachhaltige und sozial gerechte wirtschaftliche Erneuerung

Überraschenderweise bewegt sich gerade in dieser Richtung derzeit einiges in Trumps Vereinigten Staaten. Die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wirbt zusammen mit dem „Sunrise Movement“, einer Graswurzelbewegung, für die Umsetzung eines Green New Deal. Er soll auch einen Kontrapunkt zu der rückschrittlichen Klimapolitik der Regierung Trump darstellen und eine Alternative bieten. Ihr wirtschaftspolitisches Vorbild ist Präsident Roosevelt, der die USA in den 1930er-Jahren mit seinem New Deal aus der Weltwirtschaftskrise geholt hat. Sie will einen neuerlichen New Deal mit ökologischen Komponenten verknüpfen, um so die Wirtschaft und die Gesellschaft nachhaltiger und gerechter zu gestalten. Das Kernelement des Green New Deal ist ein ehrgeiziger Investitionsplan, welcher das Potenzial besitzt die Produktivität zu steigern, nachhaltige Produktionsweisen zu befördern und die Einkommenssituation der Menschen zu verbessern. Er beinhaltet ambitionierte Investitionen in öffentliche Infrastruktur, um Hunderttausende von guten Arbeitsplätzen zu schaffen, Investitionen in öffentlichen Nah- und Fernverkehr, um den Bahnverkehr auszubauen, Direktinvestitionen in die Bereiche Forschung, Entwicklung und Bildung, um umweltschonende Technologien zu fördern und zusätzliche Arbeitsplätze in wichtigen Zukunftsbereichen zu schaffen. Über eine staatlich geförderte Jobgarantie soll dabei sichergestellt werden, dass jenen Menschen, die vom Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft am stärksten betroffen sein werden, jedenfalls weiterhin eine Beschäftigung geboten wird. Es ist ein inklusives Programm, das den Menschen verspricht, sie am Weg des Umbaus nicht zu verlieren und sie aktiv Teil des Wandels werden zu lassen. Damit steht das Konzept des Green New Deal nicht nur für den Kampf gegen die Klimakrise, sondern auch für eine nachhaltige Erneuerung der Gesellschaft und für sozialen Zusammenhalt. Es zeigt eindeutig auf, dass der Kampf für wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Rettung der Umwelt Hand in Hand gehen müssen, und überwindet damit die bisher vorherrschende Vorstellung des Entweder-oder. Mit dieser zukunftsweisenden Initiative zeigen die progressiven Kräfte der USA, abseits Trumps beharrlicher Leugnung der Klimakrise, dass eine progressive Wirtschafts- und Umweltpolitik im 21. Jahrhundert mehr sein kann als bisher gedacht und dass sie dazu beitragen kann, die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimakrise, wachsende Ungleichheit und schwaches Wirtschaftswachstum – zu lösen.

Mut zu einem Green New Deal auch in Europa

In Europa, aber auch in Österreich sind wir an diesem Punkt leider noch nicht angelangt. Bis auf wenige Ausnahmen gehen aktuelle politische Vorschläge nicht weit genug, denken die unterschiedlichen Herausforderungen nicht zusammen und sind weder mit der Zielsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens noch mit dem Anspruch auf eine gerechte und fortschrittliche Wirtschafts- und Umweltpolitik vereinbar. Gerade Österreich wandelt sich hierbei immer mehr vom „Umweltmusterland“ zu einem Land, welchem es an mutigen und zukunftsweisenden Maßnahmen für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft fehlt. Deshalb ist es nicht nur in den USA, sondern auch in Österreich und Europa längst an der Zeit für ein fortschrittliches Programm, das einerseits einen ernsthaften Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung leistet und andererseits die sozialen Herausforderungen mit der Bekämpfung der Klimakrise verbindet. Es bräuchte auch in Österreich einen Green New Deal, um die Energiewende weiter voranzutreiben und um dazu beizutragen, Emissionen zu reduzieren, Beschäftigung zu schaffen und gleichzeitig die Folgen eines raschen Strukturwandels sozial gerecht zu gestalten.

In diese Richtung gibt es auch mittlerweile in Österreich erste Überlegungen. Dies zeigen die hierzulande noch jungen Debatten um einen Green New Deal und um einen sozial gerechten Wandel („Just Transition“). Ebenso gibt es auf der Ebene der Europäischen Union mit der Öffnung des „European Globalisation Adjustment Funds“ für regionale Unterstützung von der Dekarbonisierung stark betroffener Regionen erste Ansätze der finanziellen Ausstattung, welche in Zukunft z. B. über eine Aufwertung der Europäischen Investitionsbank weiterzuentwickeln sein werden. Verbunden mit einem umfassenden arbeitsmarktpolitischen Programm und zusammengedacht mit klima- und umweltpolitischen Anliegen, bieten sie die Chance, eine angemessene politische Antwort auf die Frage eines sozial gerechten Wandels hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu geben. Nur solche breiten politischen Ansätze, die es schaffen, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Ebene zusammenzudenken, haben auch tatsächlich Aussicht auf Erfolg, wie man am Beispiel der Gelbwesten-Proteste und der gescheiterten Steuerreform Emmanuel Macrons in Frankreich sieht.

Eine Mobilisierung von Ressourcen in einem enormen Ausmaß wird notwendig sein, damit auch zukünftige Generationen in Wohlstand und einer intakten Umwelt leben können. Die technologischen, wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten zur Bekämpfung des Klimawandels stehen zur Verfügung. 23.000 WissenschafterInnen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum haben das bestätigt. Allein der politische Wille fehlt bislang. Die SchülerInneninitiative „Fridays for Future“ ist hierbei der Politik schon einen Schritt voraus: Sie hat erkannt, dass weit mehr als bisher notwendig sein wird, um die Klimakrise zu lösen und eine soziale und ökologisch nachhaltige Zukunft zu sichern. Ein Green New Deal kann die konkrete politische Antwort auf die berechtigte Forderung nach ausreichenden Maßnahmen sein.