Geschlechtsspezifische Folgen der Pandemie – und was in Europa dagegen unternommen wurde

08. März 2022

(Gesundheits-)Krisen bringen für Männer und Frauen unterschiedliche Auswirkungen mit sich. Im Zuge der COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass Frauen in vielen Bereichen überproportional stark und nachteilig von deren Folgen betroffen sind. Am Internationalen Frauentag werfen wir einen Blick auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Krise und die Frage, welche Maßnahmen in Europa ergriffen wurden, um auf diese zu reagieren.

Ein Recht auf Nichtdiskriminierung

Neben der Garantie grundlegender sozialer Rechte, etwa dem Recht auf Arbeit oder Schutz der Gesundheit, verbietet die (völkerrechtlich verbindliche) Europäische Sozialcharta auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Beispielsweise, wenn es um Chancengleichheit und Gleichbehandlung am Arbeitsmarkt geht. Dennoch sind Frauen in der Realität nach wie vor mit teils gravierenden Benachteiligungen konfrontiert. Die COVID-19-Pandemie hat viele der bestehenden geschlechterspezifischen Schieflagen weiter verschärft und Frauen besonders hart getroffen. Das gilt ganz besonders für jene, die sich an den Schnittstellen verschiedener Diskriminierungskategorien wiederfinden, beispielsweise erwerbstätige Frauen mit Migrationshintergrund. Diese befinden sich besonders häufig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und arbeiten oft in sogenannten systemrelevanten Berufssparten wie der Gebäudereinigung oder der 24-Stunden-Pflege.

Schieflage am Arbeitsmarkt

Während Frauen, etwa als Beschäftigte im öffentlichen Sektor und aufgrund ihrer stärkeren Abhängigkeit von staatlichen Dienstleistungen wie Pflege und Kinderbetreuung, stärker unter der anschließenden Austeritätspolitik litten, mussten im Zuge der Finanzkrise 2008–2010 vor allem Männer in der stark krisenbetroffenen Industrieproduktion Job- und Einkommensverluste hinnehmen. Im Gegensatz dazu betrifft die COVID-19-Krise Frauen am europäischen Arbeitsmarkt stärker. Zum einen, weil sie überproportional oft im Gesundheits- und Pflegebereich, der Grund- und Lebensmittelversorgung oder anderen systemrelevanten Bereichen beschäftigt sind und dadurch einen gewichtigen Teil der Krise schultern müssen. So liegt der EU-weite Frauenanteil bei den Reinigungskräften und Haushaltshilfen bei 95 Prozent, beim Pflegepersonal bei 86 Prozent und beim Kassenpersonal bei 82 Prozent. Zugleich sind Frauen aber auch öfter in jenen Sektoren beschäftigt, die mit am stärksten von Schließungen betroffen sind (z. B. in der Hotellerie, Gastronomie und im Handel), und befinden sich öfter in atypischen und prekären Beschäftigungsformen, wodurch sie besonders stark von Jobverlust bedroht sind.

In Österreich arbeitet etwa jede zweite unselbstständig beschäftigte Frau in einem systemrelevanten Beruf. Zum Vergleich: Bei Männern ist es nur rund jeder Dritte. Arbeitsmarktdaten belegen außerdem, dass Männer in Österreich zwar zum unmittelbaren Beginn der Krise etwas deutlicher vom Beschäftigungsabbau betroffen waren, sie allerdings bereits nach kurzer Zeit stärker von der einsetzenden Erholung profitieren konnten, während die Arbeitslosenzahlen bei Frauen im Winter 2020 wieder deutlicher anstiegen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Dass Frauen in besonders stark von der Krise betroffenen Sektoren überrepräsentiert sind, ist dabei nur eine Seite der Medaille. Denn in nahezu allen Branchen stieg die Arbeitslosigkeit bei Frauen stärker an als bei Männern. Insgesamt droht die COVID-19-Krise zahlreiche Fortschritte zunichtezumachen, die in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt erreicht wurden, und in ganz Europa zu einem Rückzug vieler Frauen vom Arbeitsmarkt sowie zu einer Re-Traditionalisierung geschlechtlicher Rollenbilder zu führen.

Geschlechterblinde Kurzarbeitsinstrumente

Leider weisen viele der europäischen Kurzarbeitsmodelle geschlechterblinde Flecken auf und deuten auf eine politische Reaktion hin, die normativ vom (männlichen) Arbeiter ausgeht. Beispiele dafür wären die einheitliche Höhe der Ersatzrate und das Fehlen eines Mindestbetrags in vielen Ländern. Aufgrund ihrer Überrepräsentation im Niedriglohnbereich, des Gender-Pay-Gaps und des hohen Teilzeitbeschäftigungsanteils werden Frauen dadurch tendenziell benachteiligt. Auch die Exklusion von Hausangestellten, etwa in Italien, oder von „Mini-Jobber:innen“ in Deutschland wirkt sich besonders negativ aus, weil Frauen in diesen Bereichen überproportional stark vertreten sind. Im Vergleich dazu schneidet das österreichische Kurzarbeitsmodell besser ab. Auch weil die (vergleichsweise hohe) Ersatzrate nach Einkommenshöhe gestaffelt ist und das bestehende Ungleichgewicht bei der Verteilung von Mitteln dadurch etwas abgefedert wird. Allerdings sind die – mehrheitlich weiblichen – geringfügig Beschäftigten vom Kurzarbeitsinstrument ebenso ausgenommen wie von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass viele geringfügig beschäftigte Frauen im Handel, der Hotellerie oder Gastronomie tätig sind. Branchen, die von den bisher verordneten Schließungen besonders heftig betroffen waren.

Höheres Gesundheitsrisiko am Arbeitsplatz

Auch bei den Infektionszahlen und Todesfällen zeigen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Daten von Anfang Dezember 2021 zeigen, dass Frauen in Österreich mit 51 Prozent zwar den minimal größeren Anteil unter den Infizierten, Männer mit 54 Prozent jedoch den größeren Anteil unter den Todesopfern der COVID-19-Pandemie ausmachen. Wirft man einen Blick auf die Verteilung unter den entsprechenden Altersgruppen, wird jedoch deutlich, dass Frauen sich vor allem im erwerbsfähigen Alter deutlich häufiger infizieren.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Eine Verteilung, die durchaus dem europäischen Gesamtbild entspricht und vor allem auf die starke Präsenz von Frauen in Branchen mit höherem Infektionsrisiko, wie dem Gesundheitswesen, körpernahen Dienstleistungen und dem Einzelhandel, zurückzuführen ist.

Frauen häufiger von Long COVID betroffen

Außerdem weisen erste Studien darauf hin, dass Frauen weit häufiger mit der Diagnose Long COVID konfrontiert sind. In Kombination mit einem erhöhten Infektionsrisiko am Arbeitsplatz ist die Tatsache, dass es hinsichtlich der Anerkennung von COVID-19 als Berufserkrankung oder Arbeitsunfall in vielen Ländern (enorme) Hürden gibt, für Frauen daher besonders problematisch. Eine Anerkennung ist in den meisten EU-Staaten auf einzelne Wirtschaftszweige und Berufe begrenzt, etwa das Gesundheitswesen. So auch in Österreich, wo eine Anerkennung als Berufskrankheit prinzipiell für Angestellte im Gesundheits-, Pflege oder Bildungsbereich möglich ist. In allen anderen Fällen, etwa bei Supermarktmitarbeiter:innen, Reinigungskräften oder Busfahrer:innen, muss eine „vergleichbare Gefährdung“ bzw. die konkrete Ansteckung am Arbeitsplatz nachgewiesen werden, was in vielen Fällen de facto unmöglich ist. Im Gegensatz dazu müssen beispielsweise in den Niederlanden Beschäftigte aller Branchen eine Ansteckung am Arbeitsplatz lediglich durch kohärente Symptome und – wenn verfügbar – einen PCR-Test nachweisen.

Ungleiche Verteilung der (zusätzlichen) Sorgearbeit

Bereits zu Beginn der Pandemie zeigte sich in Österreich, dass das Ausmaß an Hausarbeit und Kinderbetreuung für Frauen massiv und deutlich stärker als für Männer zunahm. Rund ein Drittel der Erwerbstätigen gab an, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Krise wesentlich schwieriger gestaltet. Eine Entwicklung, die vor allem Eltern von schulpflichtigen Kinder betrifft, Frauen aber wiederum deutlich stärker als Männer. Befanden sich beide Elternteile im Homeoffice, nahmen die Schwierigkeiten diesbezüglich für Mütter (62 Prozent) deutlich stärker zu als für Väter (26 Prozent). Immerhin: Aufgrund der beschriebenen Schieflage profitieren vor allem Frauen in Österreich vom Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit, den die Arbeiterkammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund durchsetzen konnten. Ähnliche Maßnahmen wurden zwar in vielen europäischen Staaten umgesetzt, allerdings fielen diese oft deutlich weniger umfangreich aus als die österreichische Regelung, etwa was die Altersgrenze der zu betreuenden Kinder, die Höhe der Ersatzrate oder die Inklusion von geringfügig oder als Leiharbeiter:innen Beschäftigten betrifft. Dennoch muss auch für Österreich festgehalten werden, dass die zu Beginn der Krise geäußerten Hoffnungen, diese könnte zu einer gerechteren Verteilung von Sorgearbeit führen bzw. Homeoffice die Vereinbarkeit von Lohnarbeit und Kinderbetreuung verbessern, bitter enttäuscht wurden.

Anstieg häuslicher Gewalt

Homeoffice, Quarantäne und die verordneten Ausgangsbeschränkungen führten nicht nur zu einem europaweiten Anstieg der häuslichen Gewalt, sondern auch dazu, dass die Inanspruchnahme von Schutz- und Unterstützungsangeboten massiv erschwert wurde. So zeigt etwa eine Studie aus Großbritannien, dass die bei der Polizei angezeigten Fälle häuslicher Gewalt während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 nur leicht zunahm, die Zahl der Notrufe bei Hilfsorganisationen aber ebenso steil anstieg wie jene der entsprechenden Suchanfragen im Internet. In Österreich stieg die Zahl der offiziell registrierten Fälle von häuslicher Gewalt im Vergleichszeitraum ebenfalls an. Auch hier muss davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. So suchten im Frühjahr 2020 bis zu 71 Prozent mehr Frauen bei der österreichischen Frauen-Helpline um Unterstützung an.

Als Reaktion darauf setzten zahlreiche Staaten auf den Auf- und Ausbau spezieller Schutz- und Unterstützungsangebote sowie entsprechende Info-Kampagnen. Europaweite Bekanntheit erlangte die französische Kampagne „Maske 19“: Betroffene von häuslicher Gewalt sollen durch dieses Codewort in Apotheken unauffällig auf ihre Notlage aufmerksam machen können. Österreich setzte, wie viele andere Länder, vor allem auf die Stärkung entsprechender Online-Angebote, etwa was die Kontaktaufnahme per E-Mail oder Chat betrifft, sowie eine begleitende Info-Kampagne.

Gezielte und geschlechtssensible Maßnahmen nötig

Die COVID-19 Krise verschärft bestehende Ungleichheiten und schafft neue. Frauen sind stärker von den Entwicklungen am Arbeitsmarkt betroffen, schultern als „systemrelevante“ Arbeitskräfte einen Großteil der Krise und sind dem Virus am Arbeitsplatz stärker ausgesetzt. Die Zunahme unbezahlter Sorgearbeit und häuslicher Gewalt verschärft die Situation zusätzlich. Entwicklungen, die sich bereits im Rahmen vergangener Gesundheitskrisen beobachten ließen und sich an den Schnittstellen mit Rassismus und anderen Diskriminierungsformen besonders deutlich manifestieren.

Die Krise hat allerdings auch dafür gesorgt, dass die systemrelevante Funktion weiblich dominierter Berufsgruppen, etwa im Gesundheitsbereich oder Einzelhandel, in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Im besten Fall könnte das langfristig dazu führen, dass diese Berufsgruppen endlich entsprechende Anerkennung finden. Bisher wurde es allerdings verpasst, diese Anerkennung in konkrete politische Maßnahmen zu übersetzen. Auch für Österreich zeigen Untersuchungen außerdem, dass die im europäischen Vergleich eher umfangreicheren Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um die beschriebene Schieflage hinsichtlich der Folgen der Pandemie zu korrigieren. Es braucht daher dringend gezielte und geschlechtssensible Maßnahmen, die verhindern, dass Frauen die großen Verliererinnen der Krise sind und wichtige Fortschritte am Weg zur Gleichberechtigung zunichtegemacht werden.

Sollten Sie Opfer von häuslicher Gewalt werden, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Diese finden Sie u. a. hier:

Frauen-Helpline (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 0800/222 555

Männerberatung (Mo–Fr, Ortstarif): 0720/70 44 00                  

Männernotruf (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 0800/246 247

Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 142      

Das Forschungsprojekt, auf dessen Basis dieser Artikel entstand, wurde durch das Netzwerk Wissenschaft der AK Wien finanziert.           

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung