In einem Umweltverfahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun richtungsweisend zum Schutz der Betroffenen vor zu hohen Nitrateinträgen im Grundwasser entschieden. Menschen, die ihr Trinkwasser aus Hausbrunnen beziehen, öffentliche Wasserversorger und Gemeinden können künftig mehr Maßnahmen in der Landwirtschaft einfordern. Das bedeutet umfassenden Grund- und Trinkwasserschutz für die Zukunft.
Der Wirkstoff Nitrat ist unverzichtbar in der Landwirtschaft. Gleichzeitig ist ein Zuviel davon mit Risiken für die menschliche Gesundheit, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, verbunden.
Schutz vor Nitrat
Das Ziel der Umweltpolitik ist es, mithilfe von Richtlinien und Verordnungen ein hohes Schutzniveau für Mensch und Umwelt zu erreichen. Daher schreiben die Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG) für das Grundwasser sowie die Trinkwasserrichtlinie für das Trinkwasser einen Nitratgrenzwert von 50 mg/l vor. Die Nitratrichtlinie soll Gewässerverunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verringern. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die EU-Mitgliedstaaten aufgerufen, mindestens alle vier Jahre ihre nationalen Nitrat-Aktionsprogramme zu überprüfen und zu überarbeiten, sofern die Werte nicht eingehalten werden.
In Österreich stammt das Trinkwasser zu fast 100 Prozent aus geschützten Grundwasservorkommen. Das Grundwasser wird regelmäßig auf Nitrat und viele weitere Stoffe hin untersucht. Dabei zeigen die Daten in den nationalen Berichten sowie parlamentarische Anfragen und Untersuchungen der Arbeiterkammer Oberösterreich seit Jahren ein kaum verändertes Bild: Die Nitratbelastung in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten liegt in einigen Regionen seit Jahren über dem gesetzlichen Grenzwert von 50 mg/l – trotz Nitrat-Aktionsprogrammen und Agrarumweltförderungen.
Liegen die Nitratwerte über dem gesetzlichen Grenzwert kann der Hausbrunnen nicht mehr als Trinkwasserquelle genutzt werden. Für Wasserversorger bedeuten zu hohe Nitratwerte, dass sie Wasser mischen oder aufbereiten müssen, um das Trinkwasser in der erforderlichen Qualität an die KonsumentInnen abgeben zu können. Dies ist mit Mehrkosten für die öffentlichen Wasserversorger –und letztendlich auch für die KonsumentInnen – verbunden.
Änderung des Aktionsprogramms Nitrat erwirken?
Auch im Burgenland ist die Belastung mit Nitrat im Grundwasser in einigen Regionen seit Jahren unverändert hoch. Daher forderte der öffentliche Wasserversorger Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland, ein privater burgenländischer Hausbrunnenbesitzer, und die Gemeinde Zillingsdorf (NÖ) das zuständige Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus auf, wirksame Maßnahmen in der Landwirtschaft zu setzen (konkret im Nitrat-Aktionsprogramm), um die Nitratwerte im Grundwasser zu senken. Das BMNT erteilte diesem Antrag eine Absage mit der Begründung, dass für die Betroffenen kein subjektives Recht dazu vorliege. Nach dieser Absage reichten die drei Betroffenen eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, der daraufhin den Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit dieser Frage beauftragte.
Wegweisendes EuGH-Urteil
Der EuGH hat nun am 3. Oktober 2019 im Interesse der Betroffenen entschieden: Ein öffentlicher Wasserversorger, ein Einzelner oder eine Gemeinde können vom zuständigen Ministerium (BMNT) umfassende Maßnahmen zur Nitratreduktion im Grundwasser verlangen. Weiters sind seitens des BMNT (= zuständige Behörde) verstärkte Aktionen zu setzen, um die Nitratwerte im Grundwasser zu senken.
Damit folgt der EuGH seiner bisherigen Linie, Umweltgesetze streng auszulegen und den Betroffenen eine Stimme zu geben. So hatte der EuGH bereits in vorherigen Urteilen die subjektiven Rechte von EU-BürgerInnen anerkannt, wenn sie aufgrund von fehlender Umsetzung von EU-Umweltgesetzen gesundheitliche Nachteile zu befürchten hatten. So wurde in der Rechtssache Janecek etwa die unmittelbare Betroffenheit von Herrn Janecek damit begründet, dass er sich in dem von Luftgrenzwertüberschreitungen betroffenen Gebiet ständig aufhielt, für das ein Aktionsplan zu erlassen war. In der Rechtssache Client Earth erwirkte eine Umweltschutzorganisation, dass Luftqualitätspläne im Einklang mit Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 zu erstellen sind, um die BürgerInnen vor schlechter Luftqualität zu schützen.
Argumente des EuGHs im aktuellen Umweltverfahren:
- Da der Nitratwert des betroffenen Grundwassers den Wert von 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht, kann das Brunnenwasser nicht mehr genützt werden und Wasserversorger haben Kosten für die Beseitigung der Wasserverunreinigung, weshalb natürliche und juristische Personen unmittelbar von der Nitratverunreinigung betroffen sind;
- daher müssen Betroffene die Einhaltung der Verpflichtungen, die sich aus der Nitratrichtlinie ergeben – ein Nitratgehalt von Grundwasser unter 50 mg/l –, einfordern können;
- die Verpflichtungen der Nitratrichtlinie sind klar, präzise formuliert, daher können sich Einzelne gegenüber dem Staat darauf berufen;
- die Mitgliedsstaaten verfügen über einen gewissen Gestaltungsfreiraum bei der Wahl, wie sie die Zielvorgaben der Nitratrichtlinie umsetzen. Sie können sich die Maßnahmen aussuchen, um die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern sowie weiteren Gewässerverunreinigungen vorzubeugen, aber sie sind jedenfalls verpflichtet, die Ziele zu erreichen.
Zusammengefasst: Betroffene können vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (= zuständige Behörde) verlangen, dass ein bestehendes Aktionsprogramm Nitrat zu ändern ist, bzw. zusätzliche Maßnahmen einfordern, solange der Nitratgehalt im Grundwasser 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht. Mit diesem Urteil stärkt der EuGH die Rechte aller, die mit zu hohen Nitratwerten im Grundwasser zu kämpfen haben: HausbrunnenbesitzerInnen, öffentliche Wasserversorger und Gemeinden.
Das zuständige Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus ist nun gefordert, das Aktionsprogramm Nitrat entsprechend anzupassen, um die Nitratwerte in den betroffenen Gebieten zu senken. Konkret müsste weniger auf diesen landwirtschaftlichen Flächen gedüngt werden. Das Bundesland Steiermark zeigt einen gangbaren Weg dazu auf. Seit 1. Jänner 2016 werden durch das „Regionalprogramm zum Schutz der Grundwasserkörper Grazer Feld, Leibnitzer Feld und Unteres Murtal“, das spezielle Maßnahmen für die Landwirtschaft vorsieht (z. B. eingeschränkte Düngung, genaue Aufzeichnungen, wasserrechtliche Bewilligungen), Nitratwerte unter dem Grenzwert von 50 mg/l erreicht.