Rund 12.000 Organisationen mit mehr als 50.000 MitarbeiterInnen betreiben laut dem sogenannten EU-Transparenzregister Lobbying- und Interessenvertretungsarbeit gegenüber den EU-Institutionen. Weit mehr als die Hälfte dieser Organisationen vertritt ausschließlich Unternehmensinteressen und dominiert damit die politische Szene auf EU-Ebene. Mit Blick auf die EU-Wahlen am 26. Mai 2019 stellt sich die Frage: Wie groß ist der Einfluss der Lobbyindustrie auf die EU-Politik tatsächlich?
1,8 Mrd. Euro für EU-Lobbying jährlich Das Lobbying auf EU-Ebene hat unvorstellbare Ausmaße erreicht. 1993 schätzte die Europäische Kommission noch, dass rund 3.000 Organisationen mit 10.000 Beschäftigten Lobbying gegenüber der Europäischen Union betreiben. Rund 25 Jahre später sind fünfmal so viele VertreterInnen mit Lobbying beschäftigt. Auch der Mitteleinsatz für Lobbying erreicht enorme Ausmaße: Rund 1,8 Mrd. Euro jährlich werden für die Durchsetzung von Lobbyinteressen aufgewendet.
Die Informationen über das Lobbying auf EU-Ebene stammen aus dem sogenannten EU-Transparenzregister . Das Register wurde auf Druck der ArbeitnehmerInnenvertretungen und der Zivilgesellschaft im Jahr 2008 von der Europäischen Kommission geschaffen. Es bringt nun mehr Licht in die Lobbyingaktivitäten gegenüber Europäischem Parlament und Kommission. Der Rat als wichtige gesetzgebende Institution nimmt leider nach wie vor nicht am Transparenzregister teil – Gespräche über entsprechende Reformen laufen jedoch bereits seit Jahren.
Verhältnis Arbeit zu Kapital: 2 zu 100 Obwohl die Eintragung in das EU-Transparenzregister für Lobbying-Organisationen nach wie vor nicht verpflichtend ist, lassen sich deutliche Rückschlüsse auf die interessenpolitische Verteilung der eingetragenen Organisationen ziehen: Auffallend ist die extreme Übermacht der Unternehmensorganisationen beim Lobbying auf EU-Ebene. Fast 7.000 der rund 12.000 eingetragenen Organisationen sind der Wirtschaft zuzurechnen. ArbeitnehmerInnenvertretungen verfügen im Vergleich dazu nur über rund 150 entsprechende Einrichtungen. Somit kommen auf 100 Organisationen, die Wirtschaftslobbying betreiben, nur etwa zwei ArbeitnehmerInnenvertretungen. Noch schlimmer ist das Missverhältnis bezogen auf KonsumentenschützerInnen: Auf 100 Vertretungen der Wirtschaft kommen lediglich 0,6 VerbraucherInnenorganisationen.
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Ein nicht ganz transparentes Transparenzregister Völlige Transparenz gibt es aber auch trotz des Registers nach wie vor nicht: Zahlreiche Wirtschaftsorganisationen tragen sich als Nichtregierungsorganisation in das EU-Transparenzregister ein und verfälschen damit die wahre Anzahl an KonzernvertreterInnen.
So sind unter anderem die European Chamber of Commerce in Hongkong, in Vietnam und in Korea, die European Landowner’s Organization und die European Association of Business and Commerce in der Kategorie „Nichtregierungsorganisation“ zu finden. Sogar in der Kategorie „Denkfabriken und Hochschuleinrichtungen“ ist ein gewisses Maß an Skepsis angebracht. Hier sind etwa Organisationen wie die Kangaroo Group zu finden, die als Ziel die Verwirklichung des Binnenmarkts angibt, oder die Einrichtung „New Financial“, die wiederum das Ziel äußert, größere und bessere Kapitalmärkte zu schaffen.
Trotz der verschärften Regelungen für EU-LobbyistInnen gibt es zudem nach wie vor Organisationen, die sich nicht in das Register eintragen. Die Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) hat nachrecherchiert, welche Anwaltskanzleien zwar Lobbying betreiben, aber nach wie vor nicht im Register eingetragen sind. So betreiben die Kanzleien White & Case LLP und K&L Gates zu den EU-Handelsabkommen, Bird & Bird zum Datenschutz und Hogan Lovells zur Chemikalien-Richtlinie REACH zwar Lobbyingarbeit, registriert haben sie sich zum Zeitpunkt der Recherche jedoch nicht im Transparenzregister.
Es ist daher davon auszugehen, dass wesentlich mehr als die 7.000 Organisationen Wirtschaftslobbying betreiben. Das Missverhältnis zu allen anderen (insbesondere gesellschaftspolitischen) Interessen dürfte damit noch größer sein.
Die Europäische Kommission setzt auf KonzernlobbyistInnen ALTER-EU hat gemeinsam mit weiteren Organisationen wie der Arbeiterkammer , Corporate Europe Observatory , Friends of the Earth und Lobbycontrol in der Studie „Corporate Capture“ anhand von Fallbeispielen untersucht, wie groß der Einfluss der Unternehmen und Unternehmensverbände auf die Rechtsetzung ist.
ALTER-EU stellt in der Arbeit fest, dass die Wege, über die Konzerne ihre Interessen durchsetzen können, äußerst vielfältig sind. Sehr effizient ist dabei die Teilnahme an ExpertInnengruppen, die die Kommission zu bestimmten Fachthemen im Vorfeld neuer EU-Rechtsnormen einsetzt. Nur ein Beispiel von vielen ist dabei die ExpertInnengruppe, die die Kommission zur Frage der Regulierung des Schadstoffausstoßes von Kraftfahrzeugen eingesetzt hat: 78 Prozent der BeraterInnen, die von den KommissionsbeamtInnen ausgewählt wurden, kommen aus der Automobilbranche. Andere VertreterInnen, etwa aus dem Umweltbereich oder dem KonsumentInnenschutz, sind deutlich in der Minderheit. Für die Kraftfahrzeugindustrie waren diese Kräfteverhältnisse in der ExpertInnengruppe ein klarer Vorteil. Emissionsmessungen im praktischen Fahrbetrieb konnten damit um Jahre hinausgezögert, Kaltstarts (Beschleunigen bei niedrigen Temperaturen) ausgeschlossen und andere Testbedingungen verwässert werden.
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Ganz ähnlich ist die Situation in anderen Branchen, wie beispielsweise bei Fragen zur Regulierung des Finanzsektors. In den einschlägigen ExpertInnengremien der Kommission sitzen laut Recherchen von ALTER-EU zu rund 80 Prozent RepräsentantInnen des Finanzsektors. Selbst nach der Finanzkrise Ende der 2000er-Jahre hat sich daran nichts geändert.
KonzernvertreterInnen mit direktem Draht zu den EU-PolitikerInnen Nach wie vor sehr beliebt bei den LobbyistInnen sind persönliche Gespräche mit den EU-EntscheidungsträgerInnen. Auch hier zeigt sich deutlich: Die Europäische Kommission setzt vor allem auf VertreterInnen von Konzernen und Wirtschaftsverbänden. Im Zuge der Verhandlungen zum Handelsabkommen zwischen der EU und Japan traf sich die Kommission fast ausschließlich mit Vertretern der Wirtschaft – 89 Prozent der Termine fanden mit UnternehmensvertreterInnen statt, nur vier Prozent der Treffen waren mit Repräsentanten der Zivilgesellschaft. Die restlichen sieben Prozent betrafen Forschungsinstitute, Behörden und Ähnliches.
Auf der von Transparency International betreuten Website EU Integrity Watch sind alle Termine, die EU-KommissarInnen, ihre Kabinettsmitglieder und KommissionsdirektorInnen mit InteressenvertreterInnen haben, aufgelistet und wurden entsprechend analysiert. Auch hier zeigt sich: Seit Beginn der Aufzeichnungen im Dezember 2014 trafen sich die KommissionsvertreterInnen in rund 75 Prozent der Fälle mit UnternehmensrepräsentantInnen. Die meisten Treffen hatte die oberste Hierarchie der Kommission mit Business Europe (die europäische Version der Industriellenvereinigung) mit 210 Meetings, gefolgt von Google mit 208 Treffen.
Zum Vergleich: Alle nationalen und europäischen Gewerkschaften zusammen erhielten im gleichen Zeitraum ganze 168 Mal die Gelegenheit, mit dieser Kommissionsebene zu sprechen – bei insgesamt rund 22.000 Terminen, die die KommissarInnen und ihre KabinettsmitarbeiterInnen plus DirektorInnen wahrnahmen.
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Es läuft etwas schief in Europa … Die Zahlen belegen es mehr als deutlich: Es läuft etwas schief in der EU-Hauptstadt Brüssel. Im Bereich des Lobbyings gibt es keinerlei Balance zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen. Die Kommission konzentriert sich offenbar zum allergrößten Teil darauf, den Interessen von Konzernen gerecht zu werden. Dabei vergisst sie völlig, dass sie dem Gemeinwohl verpflichtet ist.
Noch schlimmer ist die Situation derzeit im Europäischen Parlament und im Rat. Hier finden die Lobbyinggespräche hinter verschlossenen Türen statt. Informationen über die Termine von LobbyistInnen mit EU-Abgeordneten oder RatsvertreterInnen müssen bislang nicht veröffentlicht werden.
Das soll sich nun aber zumindest im Europäischen Parlament ändern. Ende Jänner 2019 haben die EU-Abgeordneten mehrheitlich für eine Offenlegung ihrer Lobbyingtermine gestimmt. Ausschussvorsitzende und die bei neuen Gesetzgebungsakten maßgeblichen BerichterstatterInnen müssen künftig ihre Treffen mit InteressenvertreterInnen offenlegen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, den einige EU-Abgeordnete bis zuletzt zu verhindern versuchten.
Im Rat fehlt bisher eine derartige Selbstverpflichtung. Bisher nimmt der Rat nicht einmal beim EU-Transparenzregister teil; seit einiger Zeit laufen jedoch zumindest Verhandlungen darüber.
Das freie Mandat der EU-Abgeordneten Der Einfluss der Lobbyindustrie auf die EU-Politik ist also groß, Verlockungen – beispielsweise lukrative Jobangebote von Konzernen für die Zeit nach der Politik – gibt es immer wieder.
Letztlich bleibt es den EU-EntscheidungsträgerInnen aber selbst überlassen, welche InteressenvertreterInnen sie zu Gesprächen treffen. EU-Abgeordnete können bei ihrer Terminplanung selbst für eine Balance der unterschiedlichen Interessen sorgen und so ihren Auftrag, die Achtung des Gemeinwohls, erfüllen. Auch das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Fairness im Rahmen der EU-Gesetzgebungsarbeit.
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