Digitalisierung schützt vor arbeitsbedingten Krebserkrankungen

17. März 2021

In Österreich sterben jährlich etwa 1.800 Menschen an arbeitsbedingten Krebserkrankungen. Gleichzeitig werden beispielsweise vom größten Unfallversicherungsträger jedes Jahr nur knapp 100 Fälle von Krebs als Berufskrankheit anerkannt. Statistisch gesehen sterben hierzulande etwa zehnmal mehr ArbeitnehmerInnen an arbeitsbedingtem Krebs als an Arbeitsunfällen. Im Gegensatz zu Arbeitsunfällen haben diese tödlichen Ereignisse bislang keine Auswirkungen auf die Prävention. Die Digitalisierung bietet jedoch riesiges Potenzial im Kampf gegen Krebs am Arbeitsplatz.

Handlungsbedarf beim Kampf gegen Krebs am Arbeitsplatz

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) hat in den letzten Jahren mit mehreren Studien auf die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen krebserzeugender Arbeitsstoffe hingewiesen. Die Zahlen sollten wachrütteln: 1.800 Menschen sterben Schätzungen zufolge jährlich in Österreich an arbeitsbedingten Krebserkrankungen. Bei der AUVA, dem größten Unfallversicherungsträger Österreichs, wurden im Jahr 2018 98 Fälle von krebsbedingten Berufskrankheiten anerkannt. Festgestellt wurde auch, dass arbeitsbedingte Krebserkrankungen mit 52 Prozent für mehr als die Hälfte aller arbeitsbedingten Todesfälle verantwortlich zeichnen. Die Notwendigkeit von verstärkten Präventionsmaßnahmen gerade in diesem Bereich ist somit offensichtlich.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Folglich sterben hierzulande sehr viele Menschen an arbeitsbedingtem Krebs und der überwiegende Teil, ohne dass er im Vorfeld Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen konnte, was bei einer anerkannten Berufskrankheit möglich gewesen wäre. Doppelt problematisch an dieser Situation ist, dass trotz der Vielzahl an Erkrankungen kein Rückschluss auf dringend notwendige Präventionsmaßnahmen gegenüber den auslösenden Substanzen gezogen wird und nachfolgende ArbeitnehmerInnen meist weiter in gleichem Ausmaß gefährdet werden.

Fehlen die Daten – fehlt es auch an Präventionsmaßnahmen

Zwischen dem Kontakt mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen und dem Ausbruch der Krankheit kann sehr viel Zeit verstreichen. Diese Zeitspanne wird als Latenzzeit bezeichnet, und sie beträgt meist Jahrzehnte, in vielen Fällen sogar 30 Jahre oder mehr. Das bedeutet, dass eine Krebserkrankung, die heute diagnostiziert wird, auf eine Exposition gegenüber einem krebserzeugenden Arbeitsstoff in den 1990er-Jahren zurückgehen kann. Dies erklärt, warum die Dunkelziffer bei den „arbeitsbedingten“ Krebserkrankungen so hoch ausfällt: Aufgrund der zeitlichen Distanz können keine Rückschlüsse auf die auslösenden Stoffe bei der Arbeit mehr gezogen werden.

Nur bei wenigen Ausnahmen werden Krebserkrankungen in Zusammenhang mit der beruflichen Exposition gebracht. Nämlich dann, wenn die Art der Erkrankung so speziell ist, dass sie ausschließlich einem bestimmten Arbeitsstoff zugeordnet werden kann. Das trifft etwa bei Krebserkrankungen aufgrund von Asbest, Quarzfeinstaub oder Holzstaub zu. Im überwiegenden Teil aller Fälle ist zum Zeitpunkt der Diagnose auch gar nicht mehr bekannt, welche Arbeitsstoffe (Chemikalien, Fasern, Stäube usw.) seinerzeit am Arbeitsplatz verwendet oder durch die Arbeit freigesetzt wurden. Es gibt weder Aufzeichnungen über die Stoffe noch über die Dauer oder Intensität der Exposition.

Die betriebliche Realität offenbart die Gesundheitsgefahren

Ein Bericht des Arbeitsinspektorats zum Schwerpunkt krebserzeugende Arbeitsstoffe (2017–2019) zeigt, wie es aktuell um die betriebliche Umsetzung der Bestimmungen (Evaluierung und Dokumentation) in Zusammenhang mit diesen die Gesundheit gefährdenden Stoffen steht.

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An etwa der Hälfte der Arbeitsplätze wird der gesetzliche Grenzwert nicht eingehalten, und in über 60 Prozent der Fälle werden die Verzeichnisse bezüglich der exponierten ArbeitnehmerInnen nicht geführt.

Besonders bedenklich stimmt der Zustand, dass in elf Prozent der Betriebe (in der zweiten Welle der Betriebsbesuche) nicht einmal bekannt war, dass von ihnen krebserzeugende Arbeitsstoffe verwendet werden. Gerade das Wissen um die Gefährlichkeit sowie die Art und Höhe der Exposition stellt aber die Basis für alle Schutzmaßnahmen dar, wie ausreichende Absaugung, Hygienemaßnahmen, persönliche Schutzausrüstung oder eine entsprechende Unterweisung.

Die zentrale Expositionsdatenbank – ein zeitgemäßes Werkzeug

Hier setzt die Idee der digitalen zentralen Expositionsdatenbank in Österreich an. Die Digitalisierung der Daten zur Exposition und die Zentralisierung ihrer Aufbewahrung sollen die Prävention sowie die Anerkennung von Berufskrankheiten (BK) unterstützen.

Aus Mitteln des Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 der AK Wien wurde eine Machbarkeitsanalyse zur Erstellung einer digitalen zentralen Expositionsdatenbank finanziert. Sie wurde vom Interdisziplinären Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur (IFZ) in Graz in Kooperation mit der AK Wien von August 2019 bis Januar 2021 durchgeführt. Ziel der Studie war es, die aktuelle Praxis beim Umgang mit den Verzeichnissen und Aufzeichnungen zu exponierten ArbeitnehmerInnen zu erheben, die Anforderungen an eine digitale zentrale Expositionsdatenbank zu erfassen und einen Entwurf für die Expositionsdatenbank zu erstellen. Neben leitfadengestützten ExpertInneninterviews wurden Workshops mit MitarbeiterInnen von Betrieben durchgeführt, die dort für den ArbeitnehmerInnenschutz als Sicherheitsfachkräfte, als ArbeitsmedizinerInnen oder als Betriebsräte tätig waren. Die Machbarkeitsanalyse wurde von einer Steuerungsgruppe mit den relevanten Stakeholdern begleitet.

Überblick zur aktuellen Situation

Arbeitgeber (AG) müssen die Gefahren beurteilen, die am Arbeitsplatz etwa aufgrund der Verwendung von Arbeitsstoffen bestehen. Zudem müssen sie folgende Daten dokumentieren (Dokumentationspflicht):

  • Verzeichnisse der ArbeitnehmerInnen (AN), die der Einwirkung von KMR-Stoffen oder biologischen Arbeitsstoffen der Gruppe 3 oder 4 oder der Lärmeinwirkung ausgesetzt sind.
  • Aufzeichnungen für die AN, für die Eignungs- und Folgeuntersuchungen laut der Verordnung über die Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz (VGÜ) erforderlich sind.

AG sind verpflichtet, jedem AN Zugang zu den ihn betreffenden Daten zu gewähren (Aushändigungs­pflicht) und die oben genannten Daten nach Beendigung der Exposition an die UV-Träger zu übermitteln (Meldepflicht). Die UV-Träger sind verpflichtet, die Daten mindestens 40 Jahre lang aufzu­bewahren (Aufbewahrungspflicht).

Die praktische Umsetzung dieser rechtlichen Anforderungen lässt Verbesserungspotenzial erkennen. Schätzungen zufolge führt jeder zweite Betrieb, der Verzeichnisse zu Arbeitsstoffen führen müsste, diese Verzeichnisse nicht. Bei den Betrieben, die Verzeichnisse führen, scheint es in Bezug auf die dokumentierten Daten zum Teil größere Unterschiede zu geben. Zudem meldet ein Großteil der Betriebe die Verzeichnisse nicht an den Unfallversicherungsträger. Diese bewahren die Meldungen auf, in der Regel aber noch nicht in einer Form, die es erlauben würde, die Daten einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die derzeitige Situation keinen der Beteiligten zufriedenstellen kann.

Ziele und Vorteile einer Expositionsdatenbank

Nachfolgend sind die Ziele der Expositionsdatenbank, der Datenschutz und die Vorteile für Arbeitgeber dargestellt. Einige dieser Aspekte wurden in Anlehnung an die deutsche Expositionsdatenbank entwickelt. Überhaupt besteht ein wesentlicher Vorteil für die Planung der Datenbank darin, dass seit 2015 in Deutschland eine vergleichbare Expositionsdatenbank betrieben wird. Durch den Blick darauf und auf die dabei gesammelten Erfahrungen kann die Entwicklung der Expositionsdatenbank in Österreich ganz wesentlich profitieren.

Bei den Interviews und Workshops wurden folgende Ziele der Expositionsdatenbank deutlich:

  • Unterstützung bei der zielgenauen Prävention durch die wissenschaftliche Auswertung aggre­gierter Daten, z. B. Informationen zu den häufigsten krebserregenden Arbeitsstoffen
  • Beitrag zur Sensibilisierung der AG und AN für die Gesundheitsgefährdung durch die Exposition gegenüber bestimmten Arbeitsstoffen
  • Erleichterung für AN, Daten zur Expositionsgeschichte zu erhalten
  • Erkennen von bislang nicht bekannten Zusammenhängen zwischen Erkrankungen und Expo­sition gegenüber Arbeitsstoffen durch die wissenschaftliche Auswertung aggregierter Daten
  • Unterstützung der UV-Träger im Zuge konkreter BK-Feststellungsverfahren durch schnelle Verfügbarkeit der Daten der Gemeldeten
  • Erleichterung für die Betriebe, ihre gesetzlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen

Einigkeit bestand bei den Stakeholdern dahingehend, dass dem Datenschutz höchste Priorität beizumessen ist.

Die Einrichtung einer digitalen zentralen Expositionsdatenbank bietet folgende Vorteile:

  • Präzisierung und Klärung, welche Daten zur Exposition von AG zu dokumentieren sind.
  • Die Betriebe erhalten eine automatische Bestätigung, dass ihre Meldung beim UV-Träger eingegangen ist bzw. welcher aktuelle Meldungsstand vorliegt.
  • Der Betrieb kann auf das Führen firmeneigener Listen im Zusammenhang mit den Expositions­daten verzichten und sämtliche Aufzeichnungen direkt in der Datenbank selbst vornehmen.
  • Die Betriebe sollten ihre Aushändigungspflicht an die Betreiber der Expositionsdatenbank übertragen können.
  • Bei neuen oder überlassenen AN kann der Betrieb über den AN an Informationen aus der Datenbank gelangen, z. B. ob die notwendigen Untersuchungen durchgeführt wurden.

Allein durch ihre Existenz besitzt die Expositionsdatenbank das Potenzial, zur Sensibilisierung von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen gegenüber gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen beizutragen.

Fazit: Digitalisierungschancen nützen – Menschenleben retten

Die Digitalisierung bietet grundsätzlich die Möglichkeit, Meldeverpflichtungen zentral zusammenzuführen und somit zu erleichtern. Die Modernisierung der Meldeverpflichtung von krebserzeugenden Arbeitsstoffen und deren langfristige Aufbewahrung ist überfällig. Die Anzahl der arbeitsbedingten Krebserkrankungen und der teils sorglose betriebliche Umgang mit diesen Arbeitsstoffen zeigen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Eine zentrale Datenbank kann die Anerkennung von Berufskrankheiten objektivieren, und vor allem könnten in Zukunft aus aufbereiteten Daten zielgerichtete Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden. Dieser Datenschatz muss rasch gehoben werden, um in Zukunft arbeitsbedingten Krebs zu verhindern und Leben zu retten.

Weiterführende Informationen:

  • Forderungen der Arbeiterkammer zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen:

Arbeitsbedingten Krebs verhindern | Arbeiterkammer Wien

Gefährliche Arbeitsstoffe | Arbeiterkammer Wien

  • Gesunde Arbeit:

Broschüre arbeitsbedingte Krebserkrankungen

  • Arbeitsinspektion:

Bericht des Schwerpunktes krebserzeugende Arbeitsstoffe

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