Mit dem Begriff „digitaler Taylorismus“ werden neue Möglichkeiten und Mittel verstanden, Arbeitnehmer:innen zu kontrollieren, zu bewerten und so technologisch optimiert zu steuern. Anhand einer Fallstudie wird gezeigt, wie in einem Verteilzentrum eines transnationalen Versandhandelskonzerns durch das Sammeln von Beschäftigtendaten und die Zentralisierung von Wissen über Produktionsprozesse betriebliche Macht ausgeübt wird. Diese Mechanismen und die prekäre Position der überwiegend migrantischen Arbeiter:innen zu verstehen ist gerade aus gewerkschaftlicher Sicht notwendig, um sie zu verändern.
Überholter Taylorismus?
Das auf Frederick Winslow Taylor zurückgehende System „wissenschaftlicher Betriebsführung“, welches auf einer rigiden hierarchischen Arbeitsteilung basiert und mittels der Zentrierung des Wissens beim Management sowie standardisierter und spezialisierter Arbeitsschritte die Arbeiter:innen zu austauschbaren Rädchen im Arbeitsprozess degradiert, schien – zumindest in den kapitalistischen Zentren – historisch überholt. Der Taylorismus, über weite Teile des 20. Jahrhunderts noch die kapitalistische Form der Arbeitsorganisation, war in gesellschaftlichen, wissenschaftlichen sowie gewerkschaftlichen Diskursen des späten 20. Jahrhunderts kaum noch präsent. Die in den 60er Jahren beginnenden Kämpfe der Lohnabhängigen für eine Humanisierung der Arbeit waren aufgrund der für sie relativ vorteilhaften Arbeitsmarktlage, gesättigter Produktmärkte sowie betrieblicher und staatlicher Systeme sozialer Sicherheit in vielen Teilen der industriellen Produktion erfolgreich – die Arbeitsorganisation entfernte sich vom Taylorismus. Debatten über die „Subjektivierung der Arbeit“, insbesondere im aufstrebenden Dienstleistungssektor, verstärkten den Eindruck, wonach die tayloristische Form der Arbeitsorganisation überholt sei.
Innerhalb der Arbeits- und Organisationssoziologie wurde dieser Form der Betriebsführung in den letzten Jahren indessen wieder verstärkt Aufmerksamkeit zuteil. Unter dem Stichwort digitaler Taylorismus wird die über die Digitalisierung vermittelte Wiederkehr des Taylorismus diskutiert. Dabei meint digitaler Taylorismus nach Butollo und anderen insbesondere bei niedrig qualifizierten Tätigkeiten in Service- und Logistikbranchen ein „System der rigiden Zergliederung und Kontrolle der Arbeit infolge der Anwendung digitaler Technologien“. Arbeiter:innen sind dabei oft partiell und prekär in den Betrieb integriert. Dies ist insbesondere aufgrund der sich mittels des Einsatzes neuer technischer Mittel realisierenden Segmentierung und Standardisierung des Arbeitsprozesses möglich, wodurch von den Arbeiter:innen weder Qualifikationen noch Erfahrungswissen in bedeutendem Ausmaß abverlangt werden.
„Ich sehe alles im Computer, was du gemacht hast. (…) Du hast heute nicht sehr gut gearbeitet“
In Österreich als Form der Arbeitsorganisation zurückgekehrt ist der Taylorismus unter digitalen Vorzeichen etwa in den Verteilzentren eines transnationalen Versandhandelskonzerns, in denen Pakete im Hinblick auf deren Zustellung sortiert bzw. vorbereitet werden. So werden die dort großteils auf Leiharbeitsvertragsbasis beschäftigten Arbeiter:innen, vermittelt über ihr Arbeitsgerät – den Handscanner –, auf Schritt und Tritt überwacht. Ihre unmittelbaren Vorgesetzten nutzen die aus dieser permanenten digitalen Überwachung hervorgehenden Statistiken zur Echtzeitverfolgung der Leistungen. Unter Rückgriff auf diese Daten wird vonseiten des Managements persönlich Kontrolldruck ausgeübt. Ilias, ein im Rahmen eines Forschungsprojekts interviewter Arbeiter, schildert seine Erfahrungen folgendermaßen:
„Und wenn du (…) heute müde bist und nicht gut arbeitest, dann kommt der Vorgesetzte zu dir und sagt: ‚Ich sehe alles im Computer, was du gemacht hast. (…) Du hast heute nicht sehr gut gearbeitet. Wenn du zweimal so arbeitest, bist du weg.‘“
Zentralisierung von Wissen
Jedoch dienen die digitalen Daten dem Management nicht nur als Instrument der Überwachung, sie ermöglichen auch die Zentralisierung des Wissens über den Produktionsprozess auf dessen Seite. Dieses zentralisierte Wissen wiederum stellt die Grundlage für die einfachen Anweisungen dar, welche die Arbeiter:innen mittels des Scanners an all jenen Teiloperationen des Arbeitsprozesses dezentral erhalten, die der digitalen Anleitung unterworfen sind. So etwa die „Sortierer:innen“, deren Aufgabe in den Verteilzentren darin besteht, die von Kolleg:innen auf einem Wagen abgelegten Pakete zu heben, mittels ihres Scanners einzuscannen und in eine durch den Scan-Vorgang aufleuchtende Tasche einzusortieren. Diese Tasche muss dann ebenfalls eingescannt werden, woraufhin eine aufsteigende Melodie das korrekte Einsortieren der Pakete signalisiert (bzw. eine absteigende Melodie das Vorliegen eines Sortierfehlers). Insofern handelt es sich dabei um eine vollkommen digital gesteuerte, standardisierte und spezialisierte Operation, die sich gleichsam durch eine Umkehr des Verhältnisses von Subjekt und Objekt auszeichnet: Das eigentliche Subjekt, die Arbeiter:innen, wird zum Objekt des eigentlichen Objekts, welches nun die Rolle des Subjekts übernimmt: der digitalen Maschinerie. Als objektiviertes „sensomotorisches Anhängsel der Maschine“ (Barthel und Rottenbach) sind sie gezwungen, deren Befehlen Folge zu leisten – in den Worten des interviewten Arbeiters Georgi:
„Die Mitarbeiter arbeiten mit einem Gerät und da steht, ich mache diese Aufgabe, ich drücke‚ nächster Schritt, [eine] neue Aufgabe taucht auf und ich weiß dann, was zu tun ist. (…) Links, rechts, unten – es steht immer vor mir.“
Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit
Eine Folge dieser spezifischen Organisation des Arbeitsprozesses, in der sich jeder einzelne Arbeitsschritt durch Monotonie sowie (weitestgehend) digitale Steuerung auszeichnet und dadurch annähernd keine Einarbeitungszeit voraussetzt, ist die Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit der einzelnen Lohnabhängigen. So schildert der Arbeiter Kovu diese Erfahrung folgendermaßen:
„You have to accept, you have to say ‘yes’. If you say ‘yes man’, they are okay, they give you thumb. But if you are not, they replace you.“
Die darin dargelegte Erfahrung, „replaced“, also ersetzt bzw. ausgetauscht zu werden, sofern nicht allen Anweisungen Folge geleistet wird – „you have to accept, you have to say ‚yes‘“ – ist nur vor dem Hintergrund des digital taylorisierten Arbeitsprozesses sowie der daraus hervorgehenden Teiloperationen verstehbar. Erst die zentrale Konzentration des Wissens beim Management und dessen digitale, dezentrale Ausgabe in Form der Arbeitsanweisungen über den Scanner ermöglichen es, einzelne Arbeiter:innen einfach zu ersetzen, wenn diese nicht den Produktivitätsanforderungen entsprechen. Es handelt sich beim täglich tausendfachen Scannen, Etikettieren, Stoßen oder Sortieren von Paketen – in den Worten Theodor W. Adornos – um „entfremdete Arbeit, die von jedem oder jeder beliebigen anderen ebenso gut getan werden könnte“. Offenkundig ist, wie wenig es bei den Teiloperationen im Verteilzentrum auf die Individuen und ihre besonderen menschlichen Eigenschaften ankommt. Wagt es ein:e Arbeiter:in zu widersprechen, nicht auf jede Anweisung mit „Yes man“ (Kovu) zu reagieren, womit ein Anspruch ausgedrückt wird, mehr als ein Produktionsmittel – nämlich ein Subjekt – zu sein, wird er:sie schlicht durch eine:n Gefügigere:n „replaced“; wer sich hingegen der zugeschriebenen Funktion fügt, „like a machine“ arbeitet, der hat nichts zu befürchten – „they give you thumb“ (Kovu).
Neben der Möglichkeit der permanenten digitalen Überwachung ihrer Arbeiter:innen profitieren die Unternehmen auch von dem Klima der Konkurrenz, welches aus der Austauschbarkeit der Lohnabhängigen im durch Standardisierung und Spezialisierung charakterisierten digitalen Taylorismus hervorgeht. Ferner können im digitalen Taylorismus auch Migrant:innen und Flüchtlinge ohne (sprachliche) Vorkenntnisse problemlos integriert werden. Diese sind aufgrund ihrer oftmals „multiprekären“ sozialen Position besonders abhängig vom Arbeitsplatz. Ihre unsichere soziale und rechtliche (Aufenthalts-)Situation trägt zur Selbstdisziplinierung und als Disziplinarmechanismus im Arbeitsprozess zusätzlich bei.
Was tun?
Wie die Erfahrungen der Arbeiter:innen des Verteilzentrums eines transnationalen Versandhandelskonzerns zeigen, ist die digital-tayloristische Arbeitsorganisation radikaler als die analoge. Sie verschärft Kontrolle und Arbeitsdruck durch digitales Monitoring von standardisierten und spezialisierten Arbeitsschritten, macht hochgradig abhängige, überwiegend migrantische Arbeiter:innen austausch- und ersetzbar – und defensiv. Digitale Technologien, die die Autonomie von Beschäftigten derart beschränken und Arbeitsprozesse ausschließlich auf ein hohes Arbeitspensum und hochgesteckte Produktivitätsanforderungen hin optimieren, sind aus gewerkschaftlicher Sicht kategorisch abzulehnen. Sie dehumanisieren Arbeit. Ohne Arbeit und Arbeiter:innen geht es aber dennoch nicht, die Automatisierung der Lagerverwaltung ist jedenfalls nach aktuellem technischem Stand begrenzt, für Sortierung und Versand braucht es nach wie vor Menschen, die greifen, schlichten, scannen.
Die transnationale Logistik des Versandhandels steht lokaler gewerkschaftlicher Organisation (Betriebsratsgründungen, Arbeitskämpfe) gegen Überwachung und Arbeitsdruck zwar nicht entgegen, ist aber aufgrund der Konzernstruktur, die eine Verlagerung und Kompensation von Lieferungen an andere, nahe gelegene Standorte im Ausland („Ausweichlager“) ermöglichen, beschränkt. Zudem bestehen Abhängigkeiten der Beschäftigten von den Arbeitsverhältnissen in den inländischen Verteilzentren, die oft in strukturschwachen Gebieten errichtet werden, nicht zuletzt aufgrund ihrer multiprekären Lebens- und Aufenthaltssituation.
Aus Arbeitnehmer:innen-Perspektive wäre es daher unmittelbar notwendig, behördliche Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat in dieser Branche zu intensivieren, um Verletzungen von Arbeitsrecht und Arbeitsschutz sowie Beschäftigtendatenschutz hintanzuhalten. Dafür wäre das Arbeitsinspektorat budgetär wie personell besser aufzustellen. Daneben gilt es Technologien und auch gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, die unmenschliche bzw. entmenschlichende Arbeitsbedingungen ermöglichen oder legitimieren, als solche zu benennen und kompromisslos zu kritisieren.
Der Beitrag reflektiert Forschungsergebnisse von Yannic Wexenberger, die auf von ihm im Rahmen seiner Masterarbeit „Gewalt des Positiven. Verdinglichung und Selbstverdinglichung bei migrantischen Arbeiter:innen eines transnationalen Versandhandelskonzerns“ (Soziologie/Universität Wien) erhobenen und ausgewerteten Daten beruhen. Bei den Namen der Interviewpartner handelt es sich um Pseudonyme.