Österreich: bei BIP und real verfügbarem Einkommen pro Kopf an der Spitze der EU

27. Juli 2018

(ein sehr ähnlicher aktuellerer Artikel ist hier zu finden)

Österreichs Wirtschaftsleistung je EinwohnerIn übertraf 2017 mit 38.200 Euro (kaufkraftstandardbereinigt) den EU-Durchschnitt um 27,6 % und erreichte den vierthöchsten Wert der EU. Dies belegt einmal mehr die Qualität des heimischen Wirtschaftsstandorts. Für die Messung des Wohlstands müssen zusätzlich andere Indikatoren herangezogen werden, etwa das verfügbare Einkommen in der Mitte der Haushalte: Auch hier liegt Österreich mit seinem gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat an der Spitze der EU. Um diesen hohen Wohlstand auch in Zukunft gewährleisten zu können, sind weitere Anstrengungen geboten: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, weitere Verbesserungen im Sozialstaat durch den Ausbau sozialer Dienstleistungen und mehr Augenmerk auf die Verteilung des Wohlstandes.

Österreichs Wirtschaftsleistung an vierter Stelle der EU-28

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu Kaufkraftstandards wird als gebräuchlichster Indikator für den internationalen Vergleich der Wirtschaftsleistung eines Landes verwendet. Für Österreich betrug es 2017 etwa 38.200 Euro (kaufkraftstandardbereinigt; entspricht nominell 42.000 Euro), was den vierthöchsten Wert der EU darstellt; klar vor uns liegen Luxemburg (Finanzzentrum mit Umland), Irland (statistisch hohe Produktion wegen Steuerbegünstigungen für Multis, die sich nicht im Einkommen der IrInnen spiegelt) und nur knapp die Niederlande. Dahinter folgen Dänemark, Deutschland und Schweden. Einmal mehr zeigen die vorliegenden Produktionsdaten, dass dem notorischen Jammern über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Wirtschaftsstandorts die sachliche Fundierung fehlt, es ist rein interessenpolitisch motiviert. Vielmehr sind Standortqualität und ein gut ausgebauter Sozialstaat zwei Seiten einer Medaille.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Entwicklung des BIP pro Kopf seit Beginn der von Banken und Finanzmärkten ausgelösten Wirtschaftskrise zeigt die günstigere Entwicklung der Wirtschaftsleistung in den besser ausgebauten Wohlfahrtsstaaten. Mit dem Beginn der Erholung durch das allmähliche Ende der Austeritätspolitik ab 2013/14 kehrte die EU tendenziell zum Konvergenzprozess der Mitgliedstaaten vor der Krise zurück. Bei insgesamt steigendem Durchschnitt (das reale BIP pro Kopf stieg in der EU-28 um 7,4 % gegenüber 2013) holen die osteuropäischen Länder mit geringerer Wirtschaftsleistung auf, sodass das Niveau der produktiveren Staaten relativ zum EU-Durchschnitt sinkt; das ist erfreulich, denn es bedeutet eine Ausweitung der Nachfrage, von der insbesondere die heimische Wirtschaft profitiert.

Zwei wesentliche Ausnahmen sind erwähnenswert: erstens Italien, wo die Produktion pro Kopf mittlerweile merklich unter dem EU-Durchschnitt liegt und die latente ökonomische Krise zunehmend in eine soziale und politische Krise übergeht; zweitens der Wirtschaftseinbruch in Griechenland, der das Scheitern der griechischen und der europäischen Krisenpolitik drastisch zum Ausdruck bringt.

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BIP: ein eingeschränkt brauchbares Wohlstandsmaß

Das Bruttoinlandsprodukt stellt ein nur eingeschränkt brauchbares Maß als Wohlstandsindikator dar. Es berücksichtigt nicht, wie viel Arbeitszeit für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen aufgewendet werden muss; es erfasst Qualitätsänderungen zu wenig; es bewertet die immer wichtiger werdenden sozialen Dienstleistungen nur nach den bei ihrer Herstellung entstehenden Kosten und nicht nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft; es negiert wichtige Bestandsgrößen wie Vermögen, Ressourcen und Wissen; es berücksichtigt den mit der Produktion verbundenen Material- und Ressourcenverbrauch nicht; es spiegelt die Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht wider und ist zu stark auf die Messung von Produktion zu den auf den Märkten erzielten Preisen und zu wenig auf die tatsächlichen Konsummöglichkeiten ausgerichtet.

Verfügbares Einkommen in der Mitte der Haushalte: Österreich an der Spitze

Deshalb ist es notwendig, auch andere Indikatoren zur Wohlstandsmessung heranzuziehen. In unserem Wohlstandsbericht 2018 haben wir einen solchen Versuch unternommen. Dort wird die Wohlstandsentwicklung in fünf breiten Bereichen anhand von 25 Indikatoren analysiert: fair verteilter materieller Wohlstand, Vollbeschäftigung und gute Arbeit, Lebensqualität, intakte Umwelt und ökonomische Stabilität.

Zur Bewertung des materiellen Lebensstandards der Menschen in der Mitte einer Gesellschaft ist das real verfügbare Einkommen der geeignetere Indikator als das BIP. Das mediane Äquivalenzgesamtnettoeinkommen zu Kaufkraftstandards zeigt das verfügbare Einkommen nach Abzug der Abgaben und Hinzurechnung von Transfers für den Haushalt in der Mitte der Verteilung – bereinigt um unterschiedliche Preisniveaus, um die tatsächliche Kaufkraft vergleichen zu können.

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Österreich wies 2016 mit 22.524 Euro (kaufkraftstandardbereinigt) den höchsten materiellen Lebensstandard in der Mitte der Haushalte in der gesamten EU auf, wenn man vom Sonderfall Luxemburg abstrahiert. Der Vorsprung gegenüber Deutschland und der Eurozone ist hier deutlich größer als etwa bei der durchschnittlichen Pro-Kopf-Produktivität. Das ist auf den deutlich besser ausgebauten Sozialstaat (v. a. durch monetäre Transfers) und die egalitärere Einkommensverteilung zurückzuführen.

Für den aktuellen Verlauf sind durch eine Änderung in der Erhebungsmethode von Eurostat keine aktuellen Daten für die EU insgesamt für die Vergangenheit verfügbar. Im Vergleich mit anderen Staaten zeigt sich jedoch, dass Österreich seine Spitzenposition beim verfügbaren Einkommen in der Mitte der Gesellschaft seit Beginn der Finanzkrise wohl weiter ausbauen konnte. Darauf deuten auch erste Daten für 2017 hin, die einen Zuwachs um 3,1 % auf 23.230 KKS-Euro ergeben (für die meisten anderen Länder liegen die Daten für 2017 noch nicht vor). Die relativ gute Entwicklung nach der Krise ist auch auf die im EU-Vergleich ausgewogenere Form der Budgetkonsolidierung zurückzuführen. Mit der weiteren Senkung der Lohn- und Einkommensteuer, dem kräftigen Beschäftigungswachstum und den bemerkenswerten Exporterfolgen bzw. dem kräftigen Konjunkturaufschwung sollte sich der materielle Lebensstandard der Haushalte weiterhin überdurchschnittlich gut entwickeln.

Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen

In der Wirtschaftsleistung pro Kopf kommen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes zum Ausdruck: Für hoch entwickelte Volkswirtschaften wie die österreichische spielen das Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem, die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, das Institutionensystem und die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage eine entscheidende Rolle. Alle diese Faktoren gilt es von hohem Niveau ausgehend weiterzuentwickeln.

Die Lebensbedingungen in der Mitte der Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle in der Messung des materiellen Wohlstandes. Sie werden auch von den sozialen Transfers und sozialen Dienstleistungen des Wohlfahrtsstaates entscheidend geprägt. Radikale Steuersenkungen drohen, die wirtschaftliche und soziale Stellung der breiten Masse der Haushalte zu gefährden.

Österreich gehört zu den wirtschaftlich und sozial erfolgreichsten Ländern der EU und der Welt. Der AK Wohlstandsbericht 2018 zeigt, mit welchen wirtschaftspolitischen Maßnahmen dieser erfolgreiche Weg weitergegangen werden kann. Dazu zählen insbesondere:

  • der weitere Ausbau sozialer Dienstleistungen v. a. in den Bereichen Kinderbetreuung, Ganztagsschule, Bildungsangebote, Sozialarbeit und Pflege, der für faire Verteilung und gute Arbeit besonders wichtig ist;
  • die Ausweitung öffentlicher Investitionen v. a. in den Bereichen sozialer Wohnbau, Energienetze, Forschung und öffentlicher Verkehr, die für hohe Lebensqualität, ökonomische Stabilität, Vollbeschäftigung und intakte Umwelt wichtig sind;
  • die innovative Verkürzung der geleisteten Arbeitszeit, die sich in hoher Lebensqualität und guter Arbeit bezahlt macht;
  • die Weiterentwicklung des hohen Standards des österreichischen Institutionensystems vom Sozialstaat bis zu den Kollektivvertragsverhandlungen, die ökonomische Stabilität und fair verteilten Wohlstand sicherstellen;
  • die globale Verankerung hoher Sozial- und Umweltstandards, die helfen, die globalen Klimaziele und den Wohlstand weltweit wie auch in Österreich zu erreichen.