Bemerkenswerte Innovation: Die Freizeitoption im Kollektivvertrag

08. Januar 2014

Den Gewerkschaften ist in einer Reihe von Kollektivvertragsvereinbarungen 2013 eine der bemerkenswertesten sozialen Innovationen der letzten Jahre gelungen: Die Lohnerhöhung kann in zusätzliche Freizeit umgewandelt werden. Diese Maßnahme wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, die Lebenszufriedenheit erhöhen und einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die Sicherung von Beschäftigung leisten.

Die Kollektivvertragsverhandlungen fanden im abgelaufenen Jahr unter für die Gewerkschaften sehr schwierigen Rahmenbedingungen statt: Die Konjunktur matt, die Arbeitslosigkeit hoch  und dazu noch Arbeitgeber, die den Wert des Kollektivvertrages nicht mehr erkennen können und möglichst dezentral verhandeln wollen. Angesichts dieser ungünstigen Ausgangsbedingungen waren die Lohn- und Gehaltsabschlüsse mit 2½% bis 3% erfreulich, sie werden merkliche Reallohnzuwächse nach sich ziehen. Ärgerlich nur, wenn in der Öffentlichkeit den ArbeitnehmerInnen einzureden versucht wird, die Hälfte der Gehaltssteigerung käme gar nicht bei ihnen an, sondern verschwinde im Staatshaushalt. Als ob von den Steuer- und Beitragseinnahmen nicht die ArbeitnehmerInnen in Form von Sozialleistungen (vom Arbeitslosengeld bis zu den Pensionen) und öffentlichen Dienstleistungen (von den Schulen bis zum Gesundheitssystem) profitieren würden.

In der Diskussion um die Höhe der Lohnabschlüsse ist ein Detail nahezu untergegangen, das vielleicht die bemerkenswerteste Innovation und den größten sozialen Fortschritt darstellt, die in den letzten Jahren gelungen sind. Im Rahmen der Abschlüsse neuer Kollektivverträge wurde im Frühjahr 2013 in der Elektro- und Elektronikindustrie und im Herbst 2013 in der Stahlindustrie und im Bergbau eine Freizeitoption vereinbart. Sie sieht auf Basis eines Abschlusses einer Betriebsvereinbarung und zusätzlicher individueller Vereinbarungen die Möglichkeit einer Umwandlung der Ist-Lohnerhöhung in konsumierbare Freizeit vor. Die vereinbarte Lohnerhöhung von jeweils knapp 3% entspricht einer Reduktion der Jahresarbeitszeit um 60 Stunden und damit einer Ausweitung des Jahresurlaubs um 1½ Wochen.

Positive Resonanz

Diese Option stieß, obwohl sie erst seit kurzem besteht, auf erstaunlich hohe Resonanz: In der Elektroindustrie wurde sie von etwa einem Zehntel der Beschäftigten in Anspruch genommen und zwar recht gleich verteilt über alle Gehalts- und Altersgruppen. Der Flaschenhals besteht primär in der Zustimmung der Geschäftsführung. Mit der Freizeitoption ist den Gewerkschaften eine bemerkenswerte Innovation gelungen, mit der sie auf dem richtigen Weg sind: Wird die Option über mehrere Kollektivvertragsrunden eingesetzt, so sind nennenswerte Wohlfahrtsgewinne für die ArbeitnehmerInnen erreichbar. Zudem kann sich das Instrument als eines der erfolgversprechendsten Elemente einer Politik der Sicherung der Beschäftigung in der Industrie erweisen, wo trotz der günstigen Produktionsentwicklung aufgrund des gleichzeitigen starken Anstiegs der Produktivität die Zahl der Beschäftigten tendenziell zurückgeht.

Von einer Verringerung der Wochenarbeitszeit in den genannten Branchen profitieren überwiegend Männer. Gleichzeitig bildet diese Maßnahme jedoch eine notwendige Voraussetzung für die Verringerung der unbezahlten und die Erhöhung der bezahlten Arbeitszeit von Frauen.

Innovative Formen der Arbeitszeitpolitik, vom Recht auf Teilzeit während der Kinderbetreuungsphase über den Ausbau der Bildungskarenzen bis zur Freizeitoption im Kollektivvertrag leisten einen wesentlichen Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für den Aufbau der Wissensgesellschaft, sie ermöglichen eine Umverteilung des Lebensarbeitsvolumens und geben entscheidende Impulse für mehr Lebenszufriedenheit; nicht zuletzt stellen sie ein unverzichtbares Instrument der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dar. Mit der Freizeitoption ist den österreichischen Gewerkschaften ein großer Wurf gelungen, der im Rahmen kommender Kollektivvertragsverhandlungen fortgesetzt und auf andere Branchen ausgeweitet werden sollte.

Dieser Beitrag erschien zunächst in Heft 12/2013 der Zukunft: http://diezukunft.at/