Im September startet mit dem Auftakt im Metallsektor die Herbstlohnrunde. Die Verhandlungen gestalteten sich in den letzten Jahren immer schwieriger: Zum einen, weil die ArbeitgeberInnen das Ziel der Dezentralisierung auf Fachverbandsebene verfolgen und dabei auf heftigen – und erfolgreichen – Widerstand der Gewerkschaften treffen; zum anderen, weil die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prägt. Die Produktion in der Sachgütererzeugung erhöhte sich – nach der zunächst raschen Erholung aus der Krise – seit Beginn des Jahres 2011 nur noch mäßig.
Österreichs Industrie steht relativ gut da
Im Mai 2013 lag der Produktionsindex der Industrie nach ÖNACE um 17% über dem Wert des Jahres 2005. Damit erreicht er das Niveau vor Ausbruch der Finanzkrise, die mit einem tiefen Einbruch in der Nachfrage und Produktion verbunden war. Die österreichische Industrie hat sich dank guter Produktstruktur, hoher preislicher und qualitativer Wettbewerbsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft der Facharbeitskräfte rasch aus der Krise erholt. Rascher als die meisten anderen EU-Länder: In der Eurozone liegt die Produktion im Mai um mehr als 10% unter dem Niveau vor der Krise, in Italien sogar um 25% und in Spanien um 30%. Die Industrieproduktion in Österreich schlug sich auch besser als jene Deutschlands, das sich so gerne selbst weltmeisterliche Rollen zuschreibt. Nun weicht seit dem II. Quartal 2013 die Stagnation der Produktion der Vorquartale einer leichten Erholung, die laut Vorausindikatoren auch das III. Quartal prägen dürfte.
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In der alles in allem dennoch nicht leichten Ausgangslage für die Lohnverhandlungen kommt der Metalllohnrunde enorm hohe Bedeutung zu. Dies vor allem deshalb, weil in der Konzeption des österreichischen Lohnverhandlungssystems der Metallabschluss traditionell die Rolle der Lohnführerschaft und damit eine zentrale Aufgabe in der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung der Lohnpolitik übernimmt.
Gesamtwirtschaftlich bewährte Lohnleitlinie
Seit Jahrzehnten lautet die gewerkschaftliche Lohnleitlinie: Inflationsrate, das wäre die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von knapp 2%, plus mittelfristiges Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, das etwa 1% bis 1 ½ % pro Jahr beträgt. Wie diese Marke auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung aufgeteilt wird, ist eine Frage der Prioritäten von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaft.
Wird diese Lohnleitlinie in solidarischer Weise in allen Branchen gleichermaßen eingehalten, dann erfüllt die Lohnpolitik in idealer Weise ihre gesamtwirtschaftlichen Aufgaben, weil damit die Löhne ihrer wirtschaftlichen Doppelrolle gerecht werden:
Löhne und Gehälter sind einerseits Kosten für die Unternehmen und damit ist Rücksicht auf deren Wettbewerbsfähigkeit zu nehmen, andererseits sind sie Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit die Konsumnachfrage. Bei einem Anstieg der Löhne und Gehälter in der Gesamtwirtschaft im genannten Ausmaß würden somit zum ersten die realen Lohnstückkosten nicht steigen, Arbeit würde also gesamtwirtschaftlich nicht teurer werden. Weil in der Exportindustrie das Wachstum der Arbeitsproduktivität im langfristigen Durchschnitt allerdings bei etwa 4% pro Jahr liegt, führt das dort zu stark sinkenden Lohnkosten pro erzeugter Einheit und zu steigender preislicher Wettbewerbsfähigkeit. Zum zweiten würden gleichzeitig in der Gesamtwirtschaft die Realeinkommen pro Kopf steigen. Damit ist die Basis für einen Anstieg der Konsumnachfrage gelegt. Die Leitlinie der österreichischen Lohnpolitik ist also in idealer Rücksichtnahme auf gesamtwirtschaftliche Bedürfnisse darauf ausgerichtet, sowohl die Exportnachfrage, als auch die Konsumnachfrage zu beleben, die zusammen 85% der Gesamtnachfrage ausmachen. Sie ist damit auch in besonderem Ausmaß auf möglichst starke Beschäftigungsförderung orientiert.
Die europäische Dimension der Lohnpolitik
Diese Lohnleitlinie sollte auch Vorbild für die Europäische Union sein. Sie wäre die Voraussetzung für ein gleichgewichtiges Wachstum von Export- und Binnennachfrage und könnte so jene hohen Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz vermeiden, die die Währungsunion vor eine Zerreißprobe stellen. Zudem würde das mit der Lohnleitlinie verbundene Wachstum der Reallöhne und der Konsumnachfrage in Deutschland, Österreich und anderen Ländern mit Außenhandelsüberschuss den Import an Gütern und Dienstleistungen fördern und so den Defizitländern helfen, nachfrageschonend aus der Krise zu kommen. Die fehlgeleitete Politik der EU in den Krisenländern verunmöglicht eine derartige gesamtwirtschaftliche Ausrichtung der Lohnpolitik aber. Die EU ist dabei, die für eine gesamtwirtschaftliche ausgerichtete Lohnpolitik notwendigen Institutionen zu zerschlagen und die Lohnverhandlungen auf Betriebsebene zu verlagern. Sie ist in diesem neoliberalen Bemühen in Griechenland, Portugal und Spanien, aber auch in Italien und Rumänien weit vorangekommen. Nicht nur die sozialen, sondern auch die makroökonomischen Folgen dieser falschen Politik werden für ganz Europa verheerend sein.
Exportindustrieunternehmen: Profitieren vom Kollektivvertragssystem, ohne das zu erkennen
Von der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung der Lohnpolitik profitiert in Österreich ein Sektor in besonderem Ausmaß: die Exportindustrie. Für sie wird Arbeit gemessen an den Lohnstückkosten immer billiger, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Handelspartnern stieg in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich. Umso unverständlicher, dass gerade von den exportorientierten Branchen im Metallbereich im Zuge der Herbstlohnrunde 2012 der Versuch unternommen wurde, eine geordnete Dezentralisierung durch Verhandlungen auf Fachverbandsebene zu starten. Zwar ist es den Gewerkschaften mit erheblicher Kraftanstrengung gelungen, einen einheitlichen Abschluss für alle Fachverbände der Metallindustrie zu erreichen. Doch die Unternehmen dürften auch dieses Jahr bei ihrer Strategie der Dezentralisierung bleiben.
Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, weil es für die Unternehmen selbst erhebliche Zusatzkosten mit sich bringt. Zum ersten weil die Gewerkschaften, je stärker dezentral verhandelt wird, desto weniger auf gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen Rücksicht nehmen können. Tendenziell würden die Abschlüsse in den Betrieben mit hohen Produktivitätszuwächsen, die auf den Export ausgerichtet und meist gewerkschaftlich gut organisiert sind, höher ausfallen als in der Vergangenheit. Zweitens bedeuten dezentralisierte Verhandlungen hohe Kosten für die Unternehmen und die Gesamtwirtschaft. Dezentralisierte Verhandlungen haben für die Unternehmen den Nachteil, dass sie sich bezüglich der Löhne erst kundig machen müssen, was die Konkurrenz zahlt. Sie müssten Billigkonkurrenz ebenso fürchten, wie einen Lohnwettlauf um Facharbeitskräfte; in jeder Richtung ein erhebliches Risiko. Diese Transaktionskosten entfallen beim Abschluss eines Kollektivvertrages und die Unternehmen können sich somit auf volkswirtschaftlich vernünftige Aktivitäten konzentrieren: Entwicklung, Erzeugung und Verkauf hochwertiger und innovativer Güter und Dienstleistungen.
Vom Kollektivvertrag und der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung der Lohnpolitik profitieren alle: Die Gesamtwirtschaft von einer ausgewogenen Expansion von Export- und Konsumnachfrage; die Beschäftigten von Reallohnzuwächsen und stabiler Arbeitsmarktlage und die UnternehmerInnen von gesicherter Wettbewerbsfähigkeit und stabilen Rahmenbedingungen. Bliebt zu hoffen, dass Letztere bald im Stande sind, das zu erkennen.
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