Daten: Internationaler Währungsfonds (World Economic Outlook, Oktober 2015); eigene Berechnungen. © A&W Blog
Daten: Internationaler Währungsfonds (World Economic Outlook, Oktober 2015); eigene Berechnungen.Die Austeritätspolitik hatte also starke negative Wachstumseffekte: Im Zeitraum 2011-2013 führte ein Anstieg in der fiskalischen Konsolidierung von einem Prozentpunkt (des BIP) durchschnittlich zu einem kumulativen Rückgang des BIP-Wachstums von etwa 1,9 Prozentpunkten. Die Fiskalmultiplikatoren in der Eurozone waren demnach deutlich höher als 1,0. Laut diesen Schätzergebnissen verursachte die Budgetkonsolidierung in der Eurozone einen BIP-Verlust in einer Bandbreite zwischen 5,5% und 8,4%.
Zur Rolle der wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen
Die konkreten Folgen der Austeritätspolitik sind jedoch nicht immer gleich, sondern hängen von der aktuellen wirtschaftlichen Lage und den konkreten Institutionen einer Volkswirtschaft ab. In der ökonomischen Fachliteratur werden folgende Bedingungen für hohe Fiskalmultiplikatoren genannt, die in der Eurozone in den Jahren 2011-2013 erfüllt waren:
- Die EZB konnte nur in begrenztem Ausmaß Zinssenkungen vornehmen, um die Eurozonenwirtschaft anzukurbeln, da ihre Zinsen bereits sehr nahe an der Nullzinsgrenze lagen. Die geldpolitischen Möglichkeiten zur Kompensation der negativen fiskalpolitischen Nachfrageimpulse waren also begrenzt.
- Aufgrund des fixen Wechselkursregimes stand den Eurozonenländern das Instrument einer Währungsabwertung nicht zur Verfügung, um den kontraktiven Effekten der Sparpolitik entgegenzuwirken.
- In weiten Teilen der Eurozone herrschte eine erhebliche wirtschaftliche Unterauslastung vor. Die Erholung von der globalen Finanzkrise 2008/2009 war alles andere als abgeschlossen: unzureichende Nachfrage und hohe Arbeitslosigkeit charakterisierten das makroökonomische Umfeld und machten Budgetkonsolidierungsmaßnahmen besonders kostspielig.
- Zudem war der Schuldenabbau im Privatsektor („Deleveraging“) in vollem Gang, weshalb sich in vielen Eurozonenländern die Unternehmen mit Investitionen und die Haushalte mit Konsumausgaben zurückhielten, um den in der Vorkrisenzeit aufgebauten privaten Schuldenüberhang zu reduzieren. In einer solchen Situation hat der Staat eine besonders wichtige Stabilisierungsfunktion für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was hohe Fiskalmultiplikatoren zur Folge hat.
Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
Ein weiteres Mal zeigt sich: Die einseitige Austeritätspolitik der Jahre 2011-2013 war verfehlt. Sie hat die Krise weiter verschärft und die Arbeitslosigkeit noch stärker ansteigen lassen. VerfechterInnen eines harten Sparkurses würden wohl einwenden, dass die Inkaufnahme negativer Wachstumseffekte der Sparmaßnahmen „alternativlos“ war, weil die Budgetdefizite sofort reduziert werden mussten, um „die Finanzmärkte zu beruhigen“.
Dieser Einwand lässt jedoch drei zentrale Aspekte außer Acht. Erstens ist da die Bedeutung von Timing und Tempo der fiskalischen Konsolidierung: Wie gezeigt waren die Rahmenbedingungen für ein simultanes Konsolidierungsexperiment in der Eurozone 2011-2013 besonders ungünstig, weil keine wirtschaftspolitischen Instrumente zur Verfügung standen, um die kontraktiven Effekte der Austeritätspolitik auszugleichen. Die Mindestanforderung an eine gesamtwirtschaftlich koordinierte Politik wäre deshalb eine schrittweise, weniger drastische und zeitlich verzögerte Konsolidierungsstrategie in der Peripherie gewesen, die durch zusätzliche fiskalpolitische Stimulierungsmaßnahmen insbesondere in Deutschland hätte flankiert werden müssen.
Zweitens ist mittlerweile empirisch nachgewiesen, dass die Finanzmärkte die starke Haushaltskonsolidierung keinesfalls wie erhofft honorierten – es waren nicht die Sparmaßnahmen, sondern erst das Einschreiten der EZB als „Kreditgeberin letzter Instanz“, das die angespannte Lage an den Staatsanleihemärkten ab dem Sommer 2012 beruhigte.
Drittens ist da das Faktum, dass die Austeritätspolitik die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte in mehreren Eurozonenländern nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Die problematische Wachstumsentwicklung in der Peripherie der Eurozone führte zu weiteren Anstiegen in den Staatsschuldenquoten. Die einseitigen Sparmaßnahmen verschärften die makroökonomischen Probleme durch Nachfragerückgänge und lösten so eine Schuldendeflationsspirale im Euroraum aus – gekennzeichnet durch sehr niedrige Inflation, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und steigende reale Schuldenlast. Die Austeritätspolitik war somit weitgehend kontraproduktiv, ein Schuss ins eigene Knie.
Umso dringlicher erscheint angesichts dieser schmerzhaften Erfahrungen die Umsetzung eines fiskalpolitischen Kurswechsels. Nur die Rückbesinnung auf eine aktive Rolle der Fiskalpolitik kann eine wirkungsvolle Bekämpfung der bereits eingesetzten Spirale aus niedrigem Wachstum und Deflationsdruck in der Eurozone ermöglichen. Die EZB alleine ist mit dieser Aufgabe überfordert. Eine koordinierte Ausweitung öffentlicher Investitionen würde Wachstum und Beschäftigung stärken und der Deflation entgegenwirken.
Jene Eurozonenländer, deren wirtschaftspolitischer Spielraum am größten ist – das sind vor allem Deutschland, Österreich und einige andere „Kernländer“ wie die Niederlande – müssten durch eine kräftige Ausweitung der öffentlichen Investitionen eine Vorreiterrolle einnehmen. Dies würde – neben den positiven Wachstums- und Beschäftigungsimpulsen für die Eurozone – auch zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte in der Eurozone beitragen.
Die Erhöhung der öffentlichen Investitionen in Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen sollte mit einer neuen europäischen Industriepolitik-Agenda für die Peripherieländer der Eurozone kombiniert werden, die darauf abzielt, die wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedsländern des Währungsraumes zu stärken. Darüber hinaus sollten auch Änderungen der kontraproduktiven europäischen Fiskalregeln in Angriff genommen werden. Praktikable und detaillierte Vorschläge dafür gibt es inzwischen viele (zu nennen sind etwa die Konzepte von Achim Truger und die des Bruegel-Instituts).
Allerdings wäre es zunächst einmal nötig, dass sich die verantwortlichen europäischen PolitikerInnen das Scheitern ihrer bisherigen Strategie (zumindest insgeheim) eingestehen. Die empirische Evidenz wird diesem Erkenntnisprozess wie gezeigt jedenfalls nicht im Wege stehen.
Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit dem wirtschaftspolitischen Online-Magazin Makronom und ist dort zeitgleich erschienen.