Arbeitsmärkte im europäischen Vergleich – Österreichs Assets und Herausforderungen

17. Juli 2018

Die typischen Unterschiede zwischen den europäischen Ländern sind höchst interessant. Beim Vergleich der Arbeitsmärkte sind Arbeitslosen- und Beschäftigungsquoten gängige Werte. Doch diese greifen oft zu kurz. Der Arbeitsmarktmonitor – eine jährliche Auswertung von 58 wichtigen Arbeitsmarktindikatoren – ermöglicht ein differenzierteres Bild.

Es zeigt sich, dass Österreich im Vergleich der europäischen Arbeitsmärkte im Bereich der Erwerbsteilnahme im Spitzenfeld der 28 europäischen Länder liegt. Österreichs Platzierung im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist ebenfalls im europäischen Spitzenfeld. Empirisch lässt sich mehr Druck auf Arbeitslose, wie er in der aktuellen Debatte angedacht ist, also nicht begründen. Verbesserungsbedarf der österreichischen Arbeitsmarktperformance ist hingegen in den Bereichen Kinderbetreuung, Gesundheit (am Arbeitsplatz) und dem Verdienstgefälle zwischen Frauen und Männern gegeben.

Die Stärken des österreichischen Arbeitsmarktes

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Quelle: Eurostat, WIFO-Berechnungen. © A&W Blog
Quelle: Eurostat, WIFO-Berechnungen.
  • Österreichs Arbeitsmarkt liegt im europäischen Vergleich im Spitzenfeld unter den ersten drei EU-28-Ländern bei der Erwerbsteilnahme. Hier zeigt sich, wie gut es dem österreichischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsystem allgemein gelingt, die Menschen in die Erwerbsarbeit zu integrieren. Ausgewertet werden dazu 13 Indikatoren zu Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und aktiver Arbeitsmarktpolitik.

Österreich punktet hier mit sehr guten Platzierungen in den Bereichen der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenquote Jüngerer, Langzeitarbeitslosenquote, Beschäftigungsquote Jüngerer und dem geschlechtsspezifischen Beschäftigungsgefälle von Jüngeren.

  • Abermals im EU-28-Spitzenfeld, an fünfter Stelle, liegt Österreichs Arbeitsmarkt in der Umverteilung durch den Sozialstaat. Dank des Wirkungsgrades der Eingriffe der öffentlichen Hand und dank der Höhe der Ausgaben der öffentlichen Hand für Sozialschutzleistungen und Bildung erreicht Österreich diese gute Platzierung (Auswertungsbasis: zehn Indikatoren zu Sozialschutzleistungen, Armutsgefährdung und Bildungsausgaben).

Österreich tritt hier überaus positiv mit Spitzenplatzierungen aufgrund der Sozialschutzleistungen für Alter, Arbeitslosigkeit und Familie/Kinder in Erscheinung.

  • Nicht mehr im Spitzenfeld, aber im guten oberen Mittelfeld, liegt Österreich mit seiner allgemeinen Leistungskraft des Arbeitsmarktes. Sie zeigt das Zusammenspiel von Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Produktivität (Basis: sieben ausgewertete Indikatoren).

Hier zeichnet sich Österreich durch die hohe Arbeitsproduktivität der Beschäftigten, das reale BIP pro Kopf je Einwohner/in, die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosen- und hohen Beschäftigungsquoten aus.

Beispiel: Langzeitarbeitslosenquote (15–64 Jahre) von zwölf ausgewählten EU-Ländern.

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Hoher Wert … negativ Niedriger Wert … positiv Quelle: Eurostat, AK Wien. © A&W Blog
Hoher Wert … negativ
Niedriger Wert … positiv
Quelle: Eurostat, AK Wien.

Die Schwächen des österreichischen Arbeitsmarktes

  • Verteilung der Erwerbseinkommen. Weniger gut gelingt es Österreichs Arbeitsmarkt, die erwirtschafteten Erwerbseinkommen durch den Arbeitsmarkt gerecht zu verteilen. Hier ist Österreich nahe der Mitte innerhalb der EU-28-Ländern positioniert, allerdings mit einer höheren Wahrscheinlichkeit weiter abzusteigen (Auswertungsbasis: acht Indikatoren zu Einkommen/Lohn, Einkommensverteilung, Working Poor, Gender Pay Gap).

Österreichs Schieflage in seiner Abgabenstruktur, bei der über 80 Prozent der Arbeitnehmer/innen und Konsument/innen den Sozialstaat finanzieren, bildet sich im Arbeitsmarktmonitor mit dem vorletzten Platz mit der hohen Abgabenbelastung auf den Faktor Arbeit ab. Ebenso im Schlussfeld ist Österreich mit dem Gender Pay Gap, dem Verdienstgefälle zwischen Frauen und Männern.

  • Weiterhin in der Mitte der EU-Länder, aber mit einer höheren Wahrscheinlichkeit abzusteigen, liegt Österreich bei den Ausgrenzungsrisiken am Arbeitsmarkt. Der Zugang zu einer Beschäftigung und die Chancen auf einen dauerhaften Verbleib im Erwerbsleben sind für die Menschen in Österreich nur mittelmäßig. Ebenso sind die Menschen am österreichischen Arbeitsmarkt mehr von Ausgrenzungsrisiken bedroht (20 ausgewertete Indikatoren zu Bildung, Exklusion, Kinderbetreuung, Gesundheit).

Die österreichische Teilzeitbeschäftigung aufgrund von Betreuungspflichten liegt im Schlussfeld der EU-28; ebenso die Anzahl an tödlichen Arbeitsunfällen und gesunden Lebensjahren von Männern. Im unteren Mittelfeld liegt Österreich bei der Kinderbetreuung für unter Dreijährige, beim Anteil an Jüngeren mit Tertiärabschluss und bei den gesunden Lebensjahren von Frauen.

Beispiel: Formale Kinderbetreuung für unter Dreijährige über 30 Stunden/Woche von zwölf ausgewählten EU-Ländern (im EU-28-Vergleich liegt Österreich damit im unteren Mittelfeld an der schlechten 18. Position).

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Hoher Wert … positiv Niedriger Wert … negativ Quelle: Eurostat, AK Wien. © A&W Blog
Hoher Wert … positiv
Niedriger Wert … negativ
Quelle: Eurostat, AK Wien.

Österreichs Verbesserungspotenziale liegen damit klar auf der Hand:

  • Kinderbetreuung
  • Gesundheit (am Arbeitsplatz)
  • geschlechtsspezifisches Verdienstgefälle

Fazit: gewinnen durch die Unterschiede in Europa

Die Arbeitsmärkte der europäischen Länder befinden sich in Veränderung. Manche europäischen Länder starten von niedrigeren Entwicklungsniveaus, andere setzen sich an der Spitze sogar weiter ab. Die verschiedenen Ausgangsbedingungen, historischen und institutionellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaates werden im politischen Alltag allerdings aus den Augen verloren.

Dabei geht jedes europäische Land anders mit Fragen um, wie z. B. dem Stellenwert der sozialen und materiellen Absicherung, wie ausgeprägt die Institutionen der Arbeitsbeziehungen sind und dem Ausmaß an Umverteilung von Einkommen und Wirtschaftsleistung (vgl. Mau/Verwiebe 2010).

Österreich sollte emanzipiert seine Stärken in die Auslage stellen (Umverteilung, Arbeitsmarktintegration etc.) und gleichzeitig sich beim Abbau der bestehenden Defizite an den Besten orientieren. Eine „High-Road-Strategie“ in Europa basierend auf Qualität, Innovation und Qualifikation, die über hohe Standards in der Arbeitswelt auch den Wirtschaftsstandort stärkt, sollte dabei die Ausrichtung sein.