Systemrelevant und trotzdem am Arbeitsplatz benachteiligt

24. Mai 2023

Kolleg:innen mit einer anderen Staatsangehörigkeit als der österreichischen arbeiten besonders oft in systemrelevanten Branchen wie Pflege, Reinigung, Einzelhandel oder Zustelldienst. Sie stellen ein Fünftel aller Arbeitskräfte und tragen maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei. – Ohne sie geht nichts. Ihre Arbeit verdient Respekt und Anerkennung. Trotzdem sind sie vielfach benachteiligt und verdienen deutlich weniger als viele Österreicher:innen. Wie gestalten wir unsere Arbeitswelt gerecht?

Respekt für einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft

Arbeitnehmer:innen mit anderen Staatsbürgerschaften weisen sowohl häufiger einen Hochschulabschluss auf als auch eher Pflichtschulabschluss als solche mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Dabei arbeiten sie oft unter ihrer Qualifikation. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen ist in Österreich äußerst komplex geregelt und gleicht einem Hürdenlauf.

Frauen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind häufig in Pflege, Reinigung und Handel berufstätig – sie bilden in diesen Branchen sogar oftmals die Mehrheit der Arbeitnehmer:innen. In den Paket- und Zustelldiensten arbeiten überwiegend Männer. Arbeitnehmer:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind überproportional oft als Arbeiter:innen und doppelt so oft als Leiharbeiter:innen beschäftigt. Vor allem Frauen sind trotz Beschäftigung von Armut betroffen – 21 Prozent geben an, dass sie von ihrem Einkommen nicht leben können (bzw. ihre Pension nicht ausreichen wird).

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Schlechtere Position von Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten und Diskriminierung in der Arbeitswelt

Die Erhebung „Kolleginnen und Kollegen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen am Arbeitsmarkt (2022)“ von SORA zur Erwerbssituation, Arbeitszufriedenheit und Diskriminierung in der Arbeit zeigt viele Aspekte der Benachteiligung. Fünf davon werden nachfolgend beschrieben. Sie enthält auch deutliche Hinweise auf Diskriminierung aufgrund der Herkunft. So geben 24 Prozent der Befragten mit anderen Staatsbürgerschaften an, trotz gleicher beruflicher Position und Aufgaben ein niedrigeres Einkommen als ihre Kolleg:innen mit österreichischer Staatsangehörigkeit zu erhalten.

Naheliegende Erklärungen für die gezeigten Benachteiligungen sind:

  • schlechtere Rahmenbedingungen in den Branchen, in denen Arbeitnehmer:innen mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind (mittelbare Diskriminierung) und
  • direkte Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund.

(1) Unter Druck am Arbeitsplatz: Jobunsicherheit

Die Arbeitsplätze von Kolleg:innen mit anderen Staatsbürgerschaften sind durch ein hohes Ausmaß an Druck gekennzeichnet: Arbeitgeber verfolgen häufig das Prinzip „Hire and Fire“, zahlen unterdurchschnittliche Einkommen, muten eine große Arbeitslast und ungesunde Arbeitsbedingungen zu. Dazu ist das gesellschaftliche Ansehen der ausgeübten Berufe geringer.

Häufig sind Kolleg:innen mit anderen Staatsbürgerschaften die Ersten, die bei einem Abschwung ihre Arbeit verlieren – zum Beispiel, weil sie wegen fehlender Anerkennung ihrer Ausbildungen und wegen unsicherem Aufenthaltsstatus öfters in Jobs mit schlechterer Absicherung arbeiten. Die vergleichsweise geringere Jobsicherheit wird auch deutlich bei den Arbeitslosenzahlen: Die Arbeitslosenquote bei Arbeitnehmer:innen mit österreichischer Staatsangehörigkeit liegt deutlich niedriger als bei den Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten.

(2) Geschäftsmodell Lohn- und Sozialabgabenbetrug

In allen Branchen verdienen Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten weniger als die Kolleg:innen mit österreichischer Staatsangehörigkeit. Dass das Einkommen nicht zum Leben reicht (Working Poor), ist bei Arbeitnehmer:innen mit anderen Staatsbürgerschaften mehr als doppelt so häufig der Fall wie bei solchen mit österreichischer (wie auch der Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich belegt).

Neben direkter Diskriminierung (siehe Punkt 4) finden sie auch häufiger Arbeit in Branchen, in denen Arbeitgeber teils systematisch mit Lohn- und Sozialabgabenbetrug arbeiten; allen voran die Bauwirtschaft. Unternehmen dieser Branchen haben die Ausnutzung der gesellschaftlich und rechtlich unsicheren Position der Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen praktisch zum Geschäftsmodell erhoben. Arbeitgeber scheinen die unsichere aufenthaltsrechtliche Situation auszunutzen. Den Schaden trägt neben den betroffenen Arbeitnehmer:innen die Allgemeinheit (Lohn- und Sozialdumping, unlauterer Wettbewerb, Insolvenzkosten).

(3) Ungesunde Arbeitsplätze

Jede:r fünfte Arbeitnehmer:in mit einer anderen Staatsangehörigkeit als der österreichischen ist von ungesunden Arbeitsbedingungen betroffen – doppelt so oft wie die mit der österreichischen. Die Unfall- und Verletzungsgefahr bei der Arbeit ist für Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten um die Hälfte höher als für Kolleg:innen mit österreichischer Staatsangehörigkeit.

(4) Arbeitsrecht nicht eingehalten

Alarmierend ist, dass ein Fünftel der Kolleg:innen mit anderen Staatsbürgerschaften als der österreichischen angeben, dass Arbeitsrecht nicht eingehalten wird. Das ist doppelt so häufig wie bei Arbeitnehmer:innen mit österreichischer Staatsangehörigkeit.

Die Erfahrungen aus der AK-Arbeitsrechtsberatung zeigen, dass ihnen häufiger Mehr- oder Überstunden nicht ausbezahlt werden. Derzeit müssen Arbeitgeber aber nur nachzahlen, was ohnehin hätte bezahlt werden müssen. Strafen für Unternehmen wurden nicht verschärft, sondern sogar gemildert. Die Abschaffung des Kumulationsprinzips, nach dem für jeden von Lohndumping betroffenen Arbeitnehmer bzw. jede betroffene Arbeitnehmerin eine Strafzahlung vorgesehen war, wirkt wie eine Betrugspauschale. Egal, wie viele Kolleg:innen ein Unternehmen hintergeht, der Strafrahmen bleibt nun immer gleich. Aus Angst vor Jobverlust machen die Betroffenen jedoch selten ihre Rechte geltend.

(5) Benachteiligung bei Weiterbildung und Aufstieg

Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen sind weniger oft zufrieden mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung (46 vs. 61 Prozent) und den Aufstiegs- und Entwicklungschancen im Betrieb (40 vs. 53 Prozent). Leiharbeiter:innen, unter denen Menschen mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind, arbeiten oft jahrelang im selben Betrieb ohne Teil der Stammbelegschaft zu sein. Mitbestimmung und die Teilnahme an Weiterbildung sind so nahezu unmöglich.

„Weil ich mich als Österreicher:in fühle“ – Wunsch nach österreichischer Staatsbürgerschaft

Ein Teil der Kolleg:innen ohne österreichische Staatsbürgerschaft wurde in Österreich geboren oder lebt bereits Jahre bis Jahrzehnte im Land. Der Bezug zu Österreich ist oft viel stärker ausgeprägt als zum Land der Staatsangehörigkeit. 39 Prozent der hier lebenden Menschen mit anderen Staatsbürgerschaften streben an, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Unter den im Land Geborenen gibt diesen Wunsch fast jede:r Zweite an. Ihre Hauptbeweggründe dafür sind:

1) dass sie sich als Österreicher:in fühlen,

2) ihr Aufenthaltsrecht sicherer wird

3) Wahlrecht (siehe Studie zum Staatsbürgerschaftserwerb).

Allerdings ist es schwierig, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, Österreich hat eines der restriktivsten Staatsbürgerschaftsgesetze der Welt. Für Menschen mit niedrigen Einkommen, wie sie in vielen systemrelevanten Berufen leider häufig vorkommen, ist es nahezu unmöglich, die Einkommensvorgaben zu erfüllen.

In Österreich haben 1,5 Millionen Menschen bzw. 18 Prozent der Wohnbevölkerung keine österreichische Staatsbürgerschaft. Dazu zählt auch jedes fünfte im Land geborene Kind – 250.000 Kinder und Jugendliche sind „im Inland geborene Ausländer“. Die Einbürgerungsquote beträgt in Österreich nur 0,6 Prozent.

Demokratiepolitisches Problem – die Stimme der Arbeitnehmer:innen wird immer leiser

Kolleg:innen, die sich entscheiden, dauerhaft in Österreich zu bleiben, kommen immer schwerer zu einer österreichischen Staatsbürgerschaft – und damit zum Wahlrecht. Der systematische Ausschluss von immer größeren Teilen der Bevölkerung erinnert an das Klassenwahlrecht der Monarchie: Ein Fünftel der Arbeitnehmer:innen Österreichs darf grundsätzlich nicht an Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen teilnehmen. Die Stimme der Arbeitnehmer:innen hat damit im Nationalrat und bei der Regierungsbildung nicht das Gewicht, das ihrem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg, der Bedeutung ihrer Leistungen im Land ihres Lebensmittelpunkts entspricht.

Was getan werden kann, um unsere Arbeitswelt für Arbeitnehmer:innen mit anderen Staatsangehörigkeit zu verbessern:

  • Erleichterung bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse
  • Raus aus der Leiharbeitsfalle: Nach sechs Monaten der Überlassung sollen Leiharbeiter:innen in den Stammbetrieb übernommen werden
  • Wirksame Strafen für Unternehmen bei Lohndrückerei und Sozialabgabenbetrug
  • Generalunternehmerhaftung für Löhne
  • Gerechterer Zugang zur Staatsbürgerschaft

Maßnahmen zielen auf die Branchen ab, in denen Kolleg:innen mit anderen Staatsangehörigkeiten häufig beschäftigt sind. Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen und ein besserer Zugang zur Staatsbürgerschaft verbessern ihre Position am Arbeitsmarkt!

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