Kunststoffe sind allgegenwärtig und aus unserem Leben schwer wegzudenken. Dass sie mittlerweile überall in der Umwelt sind, ist keinesfalls die Kreislaufwirtschaft, die wir wollen. Die Europäische Kommission hat ein mutiges Zukunftsbild der Kunststoffwirtschaft entworfen. Ohne Regulierung wird da nicht viel gehen. Doch der Weg dahin ist noch steinig, wie die Grabenkämpfe ums Einwegpfand auf Plastikflaschen in Österreich lehren.
Plastik – Siegeszug seit den 1950er-Jahren
Würden auf einen Schlag alle Kunststoffe in unserem Umfeld verschwinden, es sähe rundum ziemlich leer aus: Vom Computer blieben ein paar Drähte; vom Sperrholzmöbel ein Häuflein roher Holzspäne; von der Brille nichts als zwei kleine Metallscharniere; vom Surfboard, von der Gießkanne, von der Trinkflasche – nichts. Die ungeordneten Haufen Lebensmittel im Supermarkt wollen wir uns gar nicht vorstellen. Wir stünden auch im Dunkeln, denn fehlt die Isolation aus Kunststoff, lässt sich durch Kabel kein Strom leiten, lassen sich keine Elektromotoren bauen. Manche von uns stünden auch ziemlich nackt da.
Dabei blickt Kunststoff als Massenprodukt nicht auf eine lange Geschichte zurück. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat Plastik den Siegeszug an. Moderne Kunststoffe ermöglichen heute Anwendungen, die vor hundert Jahren nicht vorstellbar waren. Damit stieg auch die produzierte Menge an Kunststoffen rasant an. 2015 waren es weltweit 380 Millionen Tonnen, doppelt so viel wie 17 Jahre zuvor. Auf jeden auf der Welt lebenden Menschen kommen knapp 50 Kilogramm Plastik pro Jahr: mehr als ein Drittel davon für Verpackungen, je ein Sechstel für langlebige Konsumprodukte (inklusive Fahrzeuge), Bauwirtschaft und Textilien und der Rest für andere Anwendungen.
Plastik als Problemstoff
Doch die immer weitere Verbreitung führt auch zu Problemen: Gesundheits- und Umweltbelastungen durch Schadstoffe, Gefährdung von Meereslebewesen sowie steigende Müllmengen und Mikroplastik, von dessen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit man bisher nur sehr wenig weiß. Die Länder, aus denen 50 Prozent der Weltproduktion von Plastik stammen – China, Vietnam, Indonesien, Thailand und die Philippinen –, sind etwa auch für 50 Prozent des unkontrollierten Kunststoffeintrags in die Weltmeere verantwortlich. Mikroplastik – das sind winzige Plastikteilchen, kleiner als fünf Millimeter – findet sich aufgrund von Wind und Wetter mittlerweile überall auf dem Planeten. Beklemmend sind die Bilder von verendeten Seevögeln und Walen, die Plastik mit Nahrung verwechselt haben. Der unschöne Anblick von weggeworfenen Plastikgegenständen am Wegesrand, an Flussufern oder Stränden ist offenbar erst der Anfang einer noch unschöneren Geschichte. Beklemmend sind auch die Bilder aus der „Plastikprovinz“ Shandong im Nordosten Chinas, wo lange Zeit 90 Prozent von Europas Kunststoffabfällen zum Recycling angekommen sind und aus Bäuerinnen und Bauern sowie WanderarbeiterInnen Plastik-RecyclerInnen gemacht haben. Ganze Familien leben dort zwischen Plastikabfallhaufen, aus denen sie unter unvorstellbaren Arbeits- und Lebensbedingungen Verwertbares herausholen. Dass China 2018 die Einfuhren drastisch gestoppt hat, hat zwar den politischen Druck aufs Recycling in Europa erhöht, vor allem aber den Run auf Ausweichdestinationen in Fernost und Afrika eröffnet. Dazu trägt bei, dass die USA die Verschärfungen in der Basel-Konvention für den Export von Kunststoffabfällen nicht umsetzen wollen. Wohlgemerkt: Die schmutzigen Geschäfte bei den internationalen Plastikabfallexporten sind nur eine Facette, warum die in Europa proklamierte Förderung des Recyclings noch lange nicht die Lösung ist.
Plastik braucht verbindliche Regulierung
Es braucht ganzheitliche Lösungen, ein neues Denken von der Wiege bis zur Bahre, einen deutlich sorgsameren Umgang mit dem Werkstoff und seinen Produkten, um den unkontrollierten Eintrag in die Umwelt zu unterbinden. Ohne verbindliche Regulierungen wird da wenig gehen. Recycling passiert nur so weit, wie staatliche Regulierungen (z. B. Verpackungsverordnungen, Deponierungsverbote oder -abgaben oder CO2-Abgaben) das verlangen. Vor allem werden die Hersteller den Einsatz von Recyclat signifikant steigern müssen. Doch die Begeisterung dafür hält sich in Grenzen, weil der Einsatz von Primärkunststoff – der ist fast zu 100 Prozent aus Erdöl hergestellt – unendlich billiger als das Recycling ist.
Europäische Kommission macht Plastik zu einem Schwerpunkt
Gerne präsentiert sich die Kunststoffbranche als boomende Wachstumsbranche. Doch der Werkstoff ist ins Gerede gekommen. Mittlerweile ist in der Öffentlichkeit angekommen, dass Plastik eine Bedrohung für Gesundheit und Umwelt darstellt. Es ist erfreulich, dass die Europäische Kommission Kunststoffe zu einem der Schwerpunkte in ihrem Bemühen für mehr Kreislauforientierung in Produktion und Konsum gemacht hat. Dabei haben sich die großen, international aufgestellten Konzerne wie z. B. Coca Cola, Nestlé und Unilever redlich bemüht, effektive rechtliche Maßnahmen mit wohlklingenden Initiativen und freiwilligen Selbstverpflichtungen möglichst zu unterbinden. Die 2018 veröffentlichte EU-Kunststoffstrategie benennt die Probleme und zeichnet das anzustrebende Zukunftsbild für die Kunststoffwirtschaft. Sie beschreibt die Ansatzpunkte für mehr Kunststoffrecycling, zur Eindämmung der Kunststoffabfälle und gegen die Vermüllung der Umwelt vor allem mit Mikroplastik, will u. a. kompostierbare, biologisch abbaubare Kunststoffe fördern und identifiziert den Handlungsbedarf auf der globalen Ebene. Ein erster Probelauf für mehr Verbindlichkeit war dann gleich die EU-Richtlinie zur Verringerung von Einwegplastik (Single-Use-Plastics- oder SUP-Richtlinie), die sich die zehn am meisten an Europas Stränden weggeworfenen Einwegkunststoffartikel vorgeknöpft hat.
Der Weg ist steinig
Wie steinig der Weg vom Zukunftsbild der Kunststoffwirtschaft bis hin zu wirksamen Maßnahmen ist, zeigen die mühsamen Grabenkämpfe um die Einführung eines Pflichtpfands auf Einwegkunststoffflaschen in Österreich, wie dies auch die SUP-Richtlinie fordert. Denn die Großformen des Lebensmittelhandels, die sich gern als Hüter der Nachhaltigkeit geben, setzen hier auf maximale Verhinderung. Sie behaupten ungeniert vermeintliche Kostensteigerungen durch ein Pfandsystem, ohne dafür bisher Nachweise vorgelegt zu haben. Stattdessen wird ein Zehn-Punkte-Programm der Wirtschaft als „Chance für die Kreislaufwirtschaft“ inszeniert, das in Wahrheit über business as usual kaum hinausgeht und nur maximalen Eigennutz im Auge hat, und zwar gegen den erklärten Wortlaut der SUP-Richtlinie. Denn man will kein Pfandsystem, gleichzeitig aber auch keinesfalls die Kosten des Wegräumens der gelitterten Getränkeflaschen und -dosen in Österreich tragen, die bei den Kommunen und Verkehrsunternehmen anfallen. Und für die notwendige massive Intensivierung der Getrenntsammlung, damit die Sammelziele der SUP-Richtlinie doch eingehalten werden können, sollen die Kommunen selber sorgen. Mit einer faktenbasierten Debatte hat ein solches Ansinnen schon länger nichts mehr zu tun und ist zuletzt zu Wahlkampfrhetorik verkommen: „Wenn Wien besser Müll trennen würde, hätten wir das Problem nicht“. Dabei wäre ein Pfandsystem ja nur ein erster Schritt unter vielen … Das Plastozän, das Plastikzeitalter, wäre damit auch noch lange nicht abgewendet.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den Schwerpunkt „Problemstoff Plastik“ in der Zeitschrift Wirtschaft und Umwelt 3/2020. Im ersten Beitrag folgt Christoph Streissler dem Werdegang des neuen Werkstoffes und beschreibt, welche Probleme sich heute zeigen. Im zweiten Beitrag widmet sich Iris Strutzmann der Entstehung und den Folgen von Mikroplastik, während Annette Kraus die Break-Free-From-Plastic-Bewegung vorstellt, die sich seit 2016 der Plastikkrise entgegenstemmt. Der dritte Beitrag von Werner Hochreiter beschäftigt sich mit Licht und Schatten der EU-Kunststoffstrategie, die ein Umdenken einleiten und mehr Kreislauforientierung in Produktion und Konsum bringen will. Im Interview schildert der Filmemacher Werner Boote seine Beweggründe für den Film „Plastic Planet“ und was sich seither getan hat.