„Man stelle sich vor: Umdie Klimakrise einzudämmen, verkündet der Bundeskanzler – flankiert von derzuständigen Ministerin – tagtäglich neue drastische Einschnitte. Der gar nichtso zuständige Innenminister ist auch dabei und wird nicht müde zu erwähnen,dass nötigenfalls auch „Zwangsmaßnahmen“ ergriffen werden. DieBewegungsfreiheit und der Gestaltungsspielraum der Menschen wird extrembeschnitten: Grenzen werden gesperrt, der Flugverkehr geht stark zurück,globale Güterketten werden getrennt. Die Menschen sollen daheim bleiben, stattzu konsumieren. Venedig und Hallstatt gehören wieder den Einheimischen. Und alldas passiert in einer funktionierenden Demokratie und wird von gewähltenRegierungen verfügt!“
Mit diesem Absatz beginnt ein Gastkommentar eines der beiden Autoren dieses Beitrags in der „Wiener Zeitung“ vom 13. März 2020. Die Frage, wie Klimaschutz und die Bekämpfung der Corona-Pandemie zusammenhängen und ob die politischen Reaktionen auf die aktuelle Krise allenfalls sogar klimapolitisch genutzt werden können, beschäftigt dieser Tage zwar nur eine Minderheit, diese aber umso intensiver. Die Ökonomin Julia Steinberger hat in ihrem Blog bereits am 19. März 2020 einen ersten Überblick über einschlägige Artikel aus angelsächsischen oder internationalen Medien zusammengestellt (und am 21. März aktualisiert). Hierzulande stellte Nora Laufer im „Standard“ vom 24. März 2020 fest, dass die Corona-Krise langfristig für das Klima mit Gefahren verbunden sein könnte – nämlich dann, wenn die Mittel, die jetzt für die Stützung der Wirtschaft dringend benötigt werden, für den Klimaschutz verloren gehen. Auch im Online-Nachrichtenportal des ORF wird in einem Beitrag vom 27. März der langfristige Nutzen für das Klima kritisch hinterfragt.
In vielen der von Julia Steinberger zusammengestellten Artikeln werden hingegen stärker positive Lerneffekte, Chancen und politische Verantwortung in den Vordergrund gerückt. So meint ein Autorenkollektiv des Future Earth Knowledge-Action Network on Systems of Sustainable Consumption and Production, dass die aktuelle Situation in wohlhabenden Staaten auch Chancen für eine Nachhaltigkeitstransformation eröffnet. Als Beispiele werden positive Erfahrungen mit reduzierten Arbeitsstunden, neu aufgestellte und umfassendere Systeme der Einkommenssicherung, weniger Pendelzeiten und Reisetätigkeit sowie die Besinnung auf lokale Versorgungsstrukturen ins Treffen geführt. Mittelfristig könnten sich nicht nur Verhaltensmuster, sondern auch Handelsstrukturen verändern. Alternative Systeme der Wohlstandsmessung – wie der AK-Wohlstandsbericht – könnten in der staatlich verordneten Rezession zeigen, wie abseits des BIPs Lebensqualität bewertet werden kann.
Durchstartennach der Corona-Krise – aber wie?
Daneben können öffentlich finanzierte Rettungs- und Stützungsaktionen direkt einen Beitrag zu einer grünen Transformation leisten. So besteht in den USA mancherorts die Hoffnung, dass sich mit den im Bundesbudget freigemachten Mitteln in den Gemeinden dringend benötigte Investitionen in klimaschonende Infrastrukturen finanzieren lassen, beispielsweise in öffentliche Verkehrsmittel. Zwar besteht die Gefahr, dass die Stützungsmaßnahmen zu einem guten Teil emissionsintensiven Industrien und damit verbundenen Wertschöpfungsketten zugutekommen und damit den Kampf gegen den Klimawandel zusätzlich erschweren. Umso vehementer müsse daher nach der ersten Welle an Notfallmaßnahmen eingefordert werden, dass die weitere Unterstützung der Konjunktur im Kern an sozialen und ökologischen Zielen ausgerichtet wird.
Das gilt auch für die internationale Dimension der Krisenbewältigung. Beobachter internationaler Politik betonen, dass die Zeit nach der Corona-Pandemie – mit neuen Herausforderungen an multilaterale Innovation und Kooperation zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren – dabei unbedingt im Blick behalten werden muss. Chancen für die Verwirklichung eines gerechteren und klimaschonenderen Wirtschaftssystems, die in der Architektur zur wirtschaftlichen Stabilisierung im Zuge der großen Finanzkrise 2008 weitgehend ungenutzt blieben, sollten nun beim Schopf gepackt werden. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Zeiten für international akkordierte Maßnahmen schon einmal besser waren – nicht zuletzt angesichts einer Trump-Administration in den USA, die in zentralen Feldern internationaler Politik auf nationale Alleingänge setzt. Auch in der EU haben in den letzten Jahren nationale Interessen – Stichworte: Brexit, Flüchtlingskrise – deutlich mehr Gewicht bekommen.
Zumindest nationale Rettungsaktionen für Schlüsselindustrien – wie die Luftfahrt – sind daher an klare Kriterien zu knüpfen. Neben der Wahrung von Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand müssen – im Sinne einer Just Transition – Arbeitnehmer*innen und ihre Interessenvertretungen systematisch in Entscheidungen eingebunden werden. Ähnliche Forderungen stellt auch die renommierte Innovationsökonomin Mariana Mazzucato. In einem Gastbeitrag mit dem Titel „The Covid-19 crisis is a chance to do capitalism differently“, der am 18. März 2020 im „Guardian“ veröffentlicht wurde, schreibt sie:
„Conditionscan be attached to make sure that bailouts are structured in ways thattransform the sectors they’re saving so that they become part of a new economy– one that is focused on the green new deal strategy of lowering carbon emissionswhile also investing in workers, and making sure they can adapt to newtechnologies. It must be done now, while government has the upper hand.“
Corona-oder Klimakrise: Die Armen zahlen besonders drauf
Welche politischen Lehren wird die Corona-Krise also für die Klimakrise bereithalten? COVID-19 gefährdet die Gesundheit und kann tödlich sein. Das trifft auf den Klimawandel ebenso zu. In beiden Fällen gibt es Gruppen von Menschen, die von der Katastrophe oder den politischen Maßnahmen dagegen besonders betroffen sind. Das Corona-Virus gefährdet insbesondere Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, die politischen Maßnahmen treffen derzeit Arbeitnehmer*innen und Gewerbetreibende in bestimmten Sektoren sowie Bewohner*innen dicht bebauter Stadtviertel und Alleinerziehende besonders hart. Generell haben ärmere Menschen – nicht zuletzt im globalen Süden – weniger Möglichkeiten, sich vor den Folgen einer Viruserkrankung oder des Klimawandels zu schützen. Sie können sich im Allgemeinen auch schlechter an eine neue Situation anpassen, sei es durch die Verlegung des Arbeitsplatzes ins Home-Office, den Rückzug in den eigenen Garten oder – im Falle klimapolitischer Maßnahmen – durch Investitionen in Passivhäuser und Elektrofahrzeuge.
Obwohl sich die Wohlhabenden am besten vor den Folgen des Klimawandels schützen können, verursachen sie unverhältnismäßig hohe CO2-Emissionen, wie folgende Grafik der Hilfsorganisation Oxfam eindrucksvoll beweist: