Neoliberale Politik setzt immer darauf, den Staat mit starren Regeln in seinen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Ganz in dieses Muster fallen sogenannte Schuldenbremsen, die die öffentliche Neuverschuldung begrenzen sollen. Diese können aber weder mit Verantwortung noch mit wirtschaftlicher Vernunft plausibel begründet werden.
ÖVP, FPÖ und NEOS wollten im Herbst 2019 per Verfassungsbestimmung den Staat in seinen Gestaltungsmöglichkeiten einschränken. Die Bestimmung dazu nennen sie Schuldenbremse. SPÖ und Grüne haben das im Nationalrat bzw. Bundesrat abgelehnt. Da diese Bestimmung auch die Länder einschränkt, wäre auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen. Die Schuldenbremse kommt nun also nicht in die Verfassung.
Die Verfassungsbestimmung hätte das Defizit des Bundes mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt, jenes der Länder und Gemeinden insgesamt mit höchstens 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Als einfaches Gesetz sowie als Bund-Länder-Gemeinden-Vereinbarung wurde die Schuldenbremse bereits Ende 2011 beschlossen.
An der verfassungsrechtlichen Verankerung gab es starke Kritik. Denn die Schuldenbremse ist wohlstandsmindernd, insbesondere wenn sie eine Investitionsbremse wird. Das zeigen schlechte Erfahrungen mit der Schuldenbremse aus Deutschland – wo es jetzt aber zu einem Umdenken kommt. So forderte erst letzten Montag der DGB gemeinsam mit der dortigen Industriellenvereinigung eine Investitionsausnahme. Auch die US-amerikanische Schuldenbremse, die alle Jahre zur vorübergehenden Schließung öffentlicher Einrichtungen führt, ist alles andere als Ausdruck des Hausverstands.
Kann man nicht mehr ausgeben, als man einnimmt?
Beginnen wir aber bei der Begründung der Schuldenbremse, wonach man nicht mehr ausgeben als einnehmen kann. Stimmt das überhaupt?
Wenn man nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt, wäre vieles auf der Welt nicht möglich.
- Es gäbe keine Kredite. Denn jeder, der einen Kredit aufnimmt und das Geld für eine Anschaffung ausgibt, hat mehr ausgegeben, als er eingenommen hat.
- Es gäbe keine Banken und keinen Finanzsektor. Deren Kernaufgabe ist die Kreditvergabe und das Anbieten von Sparmöglichkeiten.
- Es gäbe kaum Unternehmensneugründungen. Wer eine Geschäftsidee hat, braucht ein Startkapital. D. h. ohne anfängliche Schulden gibt es keine wirtschaftliche Dynamik. Innovationen gibt es nur mit Unternehmen, die Finanzierung bekommen.
- Ohne Schulden gibt es keine Zinsen für SparerInnen. Zinsen für Ersparnisse kann es nur geben, wenn den SparerInnen SchuldnerInnen gegenüberstehen, die Zinsen zahlen, um Geld auszuborgen. Gibt es keine SchuldnerInnen, dann gibt es auch niemanden, der Zinsen zahlt. Banken können an SparerInnen nur dann Zinsen zahlen, wenn es Menschen, Unternehmen oder Staaten gibt, die Kredite aufnehmen und Zinsen zahlen.
Diese Aufzählung zeigt, dass es natürlich schon möglich ist, mehr Geld auszugeben, als man einnimmt. Die nächste Frage ist, ob das auch vernünftig ist. Da kommt es darauf an, wofür man sich verschuldet. Relativ unstrittig ist das bei Investitionen. Wenn Investitionen sinnvoll sind und man sie nicht gleich voll finanzieren kann, macht es Sinn, sich für die Finanzierung einen Teil zu borgen. Das machen Unternehmen, private Haushalte und eben auch der Staat.
Kreditfinanzierte Investitionen sind sinnvoll
Private Haushalte verschulden sich, etwa um ein Eigenheim zu finanzieren. Und das ist klug – denn den Schulden steht ein Sachvermögen gegenüber. Es kommt darauf an, was man mit dem geliehenen Geld macht. Baut man ein Haus, schafft man einen entsprechenden Vermögenswert, der beispielsweise auch Kindern hinterlassen werden kann. Wäre es klüger, ein Haus aus Ersparnissen zu finanzieren statt per Kredit? Diese Frage stellt sich für viele Menschen nicht. Es ist nicht klug, ein Leben lang zu sparen und sich ein eigenes Haus erst dann leisten zu können, wenn man in Pension geht und die Kinder seit Langem ausgezogen sind.
Auch private Unternehmen finanzieren sich zu einem großen Teil mit Fremdkapital, also „Schulden“. Die Eigenkapitalquote österreichischer Unternehmen liegt im Mittelwert (Median) bei 36 Prozent. Niemand fordert von privaten Unternehmen, grundsätzlich nur mit Eigenkapital finanziert zu sein. Zu keinem Zeitpunkt sind die Unternehmen schuldenfrei, und das ist auch gar nicht notwendig oder sinnvoll. Die Vorstellung, alle Schulden von Unternehmen oder Staaten müssen bis zu einem Zeitpunkt vollständig zurückgezahlt werden, ist völlig realitätsfremd. Denn Unternehmen und Staaten bestehen langfristig.
Dasselbe Prinzip gilt für einen Staat: Finanziert man mit den Schulden Investitionen, von denen viele Generationen profitieren, dann ist das generationsgerecht und sinnvoll. Wer etwa Investitionen in moderne Krankenhäuser oder schnellere Eisenbahnverbindungen und Klimaschutz tätigt, hinterlässt künftigen Generationen eine lebenswerte und intakte Gesellschaft. Wer hingegen bei Investitionen spart, schadet künftigen Generationen. Denn diese leiden unter einer heruntergekommenen Infrastruktur und dem Investitionsstau.
Hinzu kommt, dass es beim derzeit geringen Zinsniveau besonders günstig ist, Investitionen zu finanzieren. Auch private Unternehmen setzen bei Investitionen Kredite ein. Das Dogma, keine Schulden zu machen, gilt bei UnternehmerInnen nicht, denn diese denken ökonomisch. Ein Unternehmen wird dann eine Investition fremdfinanzieren, wenn die erwartete Rendite über den Finanzierungskosten liegt. Dieselbe Logik sollte auch für öffentliche Investitionen gelten: Liegt der gesellschaftliche Nutzen über den Finanzierungskosten, sollten diese finanziert werden. Der Staat Österreich kann sich derzeit so günstig finanzieren wie noch nie. In der Grafik ist ersichtlich, dass die Rendite der österreichischen Anleihen mittlerweile die Nulllinie unterschritten hat. Wer da Finanzierung durch Schuldengrenzen stark einschränkt, verhindert die Durchsetzung von sinnvollen Projekten.