Warum eine Investitionsbremse keine gute Idee ist

22. November 2019

Neoliberale Politik setzt immer darauf, den Staat mit starren Regeln in seinen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Ganz in dieses Muster fallen sogenannte Schuldenbremsen, die die öffentliche Neuverschuldung begrenzen sollen. Diese können aber weder mit Verantwortung noch mit wirtschaftlicher Vernunft plausibel begründet werden.

ÖVP, FPÖ und NEOS wollten im Herbst 2019 per Verfassungsbestimmung den Staat in seinen Gestaltungsmöglichkeiten einschränken. Die Bestimmung dazu nennen sie Schuldenbremse. SPÖ und Grüne haben das im Nationalrat bzw. Bundesrat abgelehnt. Da diese Bestimmung auch die Länder einschränkt, wäre auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen. Die Schuldenbremse kommt nun also nicht in die Verfassung.

Die Verfassungsbestimmung hätte das Defizit des Bundes mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt, jenes der Länder und Gemeinden insgesamt mit höchstens 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Als einfaches Gesetz sowie als Bund-Länder-Gemeinden-Vereinbarung wurde die Schuldenbremse bereits Ende 2011 beschlossen.

An der verfassungsrechtlichen Verankerung gab es starke Kritik. Denn die Schuldenbremse ist wohlstandsmindernd, insbesondere wenn sie eine Investitionsbremse wird. Das zeigen schlechte Erfahrungen mit der Schuldenbremse aus Deutschland – wo es jetzt aber zu einem Umdenken kommt. So forderte erst letzten Montag der DGB gemeinsam mit der dortigen Industriellenvereinigung eine Investitionsausnahme. Auch die US-amerikanische Schuldenbremse, die alle Jahre zur vorübergehenden Schließung öffentlicher Einrichtungen führt, ist alles andere als Ausdruck des Hausverstands.

Kann man nicht mehr ausgeben, als man einnimmt?

Beginnen wir aber bei der Begründung der Schuldenbremse, wonach man nicht mehr ausgeben als einnehmen kann. Stimmt das überhaupt?

Wenn man nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt, wäre vieles auf der Welt nicht möglich.

  1. Es gäbe keine Kredite. Denn jeder, der einen Kredit aufnimmt und das Geld für eine Anschaffung ausgibt, hat mehr ausgegeben, als er eingenommen hat.
  2. Es gäbe keine Banken und keinen Finanzsektor. Deren Kernaufgabe ist die Kreditvergabe und das Anbieten von Sparmöglichkeiten.
  3. Es gäbe kaum Unternehmensneugründungen. Wer eine Geschäftsidee hat, braucht ein Startkapital. D. h. ohne anfängliche Schulden gibt es keine wirtschaftliche Dynamik. Innovationen gibt es nur mit Unternehmen, die Finanzierung bekommen.
  4. Ohne Schulden gibt es keine Zinsen für SparerInnen. Zinsen für Ersparnisse kann es nur geben, wenn den SparerInnen SchuldnerInnen gegenüberstehen, die Zinsen zahlen, um Geld auszuborgen. Gibt es keine SchuldnerInnen, dann gibt es auch niemanden, der Zinsen zahlt. Banken können an SparerInnen nur dann Zinsen zahlen, wenn es Menschen, Unternehmen oder Staaten gibt, die Kredite aufnehmen und Zinsen zahlen.

Diese Aufzählung zeigt, dass es natürlich schon möglich ist, mehr Geld auszugeben, als man einnimmt. Die nächste Frage ist, ob das auch vernünftig ist. Da kommt es darauf an, wofür man sich verschuldet. Relativ unstrittig ist das bei Investitionen. Wenn Investitionen sinnvoll sind und man sie nicht gleich voll finanzieren kann, macht es Sinn, sich für die Finanzierung einen Teil zu borgen. Das machen Unternehmen, private Haushalte und eben auch der Staat.

Kreditfinanzierte Investitionen sind sinnvoll

Private Haushalte verschulden sich, etwa um ein Eigenheim zu finanzieren. Und das ist klug – denn den Schulden steht ein Sachvermögen gegenüber. Es kommt darauf an, was man mit dem geliehenen Geld macht. Baut man ein Haus, schafft man einen entsprechenden Vermögenswert, der beispielsweise auch Kindern hinterlassen werden kann. Wäre es klüger, ein Haus aus Ersparnissen zu finanzieren statt per Kredit? Diese Frage stellt sich für viele Menschen nicht. Es ist nicht klug, ein Leben lang zu sparen und sich ein eigenes Haus erst dann leisten zu können, wenn man in Pension geht und die Kinder seit Langem ausgezogen sind.

Auch private Unternehmen finanzieren sich zu einem großen Teil mit Fremdkapital, also „Schulden“. Die Eigenkapitalquote österreichischer Unternehmen liegt im Mittelwert (Median) bei 36 Prozent. Niemand fordert von privaten Unternehmen, grundsätzlich nur mit Eigenkapital finanziert zu sein. Zu keinem Zeitpunkt sind die Unternehmen schuldenfrei, und das ist auch gar nicht notwendig oder sinnvoll. Die Vorstellung, alle Schulden von Unternehmen oder Staaten müssen bis zu einem Zeitpunkt vollständig zurückgezahlt werden, ist völlig realitätsfremd. Denn Unternehmen und Staaten bestehen langfristig.

Dasselbe Prinzip gilt für einen Staat: Finanziert man mit den Schulden Investitionen, von denen viele Generationen profitieren, dann ist das generationsgerecht und sinnvoll. Wer etwa Investitionen in moderne Krankenhäuser oder schnellere Eisenbahnverbindungen und Klimaschutz tätigt, hinterlässt künftigen Generationen eine lebenswerte und intakte Gesellschaft. Wer hingegen bei Investitionen spart, schadet künftigen Generationen. Denn diese leiden unter einer heruntergekommenen Infrastruktur und dem Investitionsstau.

Hinzu kommt, dass es beim derzeit geringen Zinsniveau besonders günstig ist, Investitionen zu finanzieren. Auch private Unternehmen setzen bei Investitionen Kredite ein. Das Dogma, keine Schulden zu machen, gilt bei UnternehmerInnen nicht, denn diese denken ökonomisch. Ein Unternehmen wird dann eine Investition fremdfinanzieren, wenn die erwartete Rendite über den Finanzierungskosten liegt. Dieselbe Logik sollte auch für öffentliche Investitionen gelten: Liegt der gesellschaftliche Nutzen über den Finanzierungskosten, sollten diese finanziert werden. Der Staat Österreich kann sich derzeit so günstig finanzieren wie noch nie. In der Grafik ist ersichtlich, dass die Rendite der österreichischen Anleihen mittlerweile die Nulllinie unterschritten hat. Wer da Finanzierung durch Schuldengrenzen stark einschränkt, verhindert die Durchsetzung von sinnvollen Projekten.

Emissionsrenditen von österreichischen Bundesanleihen © A&W Blog
© A&W Blog

Investitionen versus laufende Ausgaben

Öffentliche Investitionen schaffen Werte, die Bestand haben. Wenn man diese schuldenbasiert finanziert, steigen nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch öffentliche Vermögen. Bei dem niedrigen Zinsniveau für die Republik Österreich würden die Vermögen übrigens stärker steigen als die Schulden. Eine Schuldenquote nimmt aber keine Rücksicht darauf, wofür die Verschuldung eingegangen wird. Hier sind Investitionen und laufende Ausgaben zu unterscheiden.

Es wäre in der Tat bedenklich, wenn laufende Ausgaben für Pensionen, Familienbeihilfen oder etwa die BeamtInnenbezüge dauerhaft nur durch Kreditaufnahmen finanziert würden. Laufende regelmäßige Ausgaben sollen durch regelmäßige Einnahmen aus Steuern (oder Sozialversicherungsbeiträgen) finanziert werden. Anders verhält es sich bei Investitionen. Ein Projekt wie den Semmeringtunnel aus dem laufenden Budget zu finanzieren wäre nicht möglich. Hätte man die österreichische Infrastruktur aus laufenden Budgets ohne Kreditaufnahmen finanzieren wollen, hätten wir heute keine Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsbahnen. Deswegen ist es notwendig, öffentliche Zukunftsinvestitionen wie Infrastrukturmaßnahmen aus den Defizitregeln auszunehmen.

Gegensteuern

Die Wirtschaft entwickelt sich nicht gleichmäßig. Phasen hohen Wachstums wechseln mit Perioden schwachen Wachstums oder gar Einbrüchen der Wirtschaftsleistung. Es ist Aufgabe der Wirtschaftspolitik, mit öffentlichen Ausgaben Einbrüchen gegenzusteuern.

Eine starre Schuldenbremse verhindert, dass Staaten einer Wirtschaftskrise wirksam gegensteuern können. Somit ist die Bremse das Gegenteil von wirtschaftspolitischer Vernunft. In einer Krise sinken die Steuereinnahmen und die Ausgaben steigen wegen steigender Arbeitslosigkeit an. Wenn nun der Staat aufgrund einer Schuldenbremse die Ausgaben weiter kürzt, verschärft er die Wirtschaftskrise: Folglich schrumpft die Wirtschaft, und noch mehr Menschen verlieren ihre Arbeit. Die Schuldengrenze kann dann aber trotzdem nicht eingehalten werden. Denn mit der schrumpfenden Wirtschaft sinken auch die Steuereinnahmen noch weiter.

Logik kann man nicht abschaffen

Auch eine Schuldenbremse in der Verfassung kann solche wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht außer Kraft setzen. Da der Staat zwar die Budgets beschließen kann, aber nicht die Höhe des Wirtschaftswachstums und die Höhe des BIP, ist die Schuldenquote (Relation öffentlicher Schulden zum BIP) nur begrenzt steuerbar. Es macht daher wenig Sinn, Größen in der Verfassung zu fixieren, die die Politik nicht in ihrem Einflussbereich hat.

Man kann in die Verfassung auch schreiben, dass jeden zweiten Tag gutes Wetter herrschen muss, nur wird das deswegen nicht eintreten. Zusammenhänge, die auch ohne unser Wohlwollen gelten, können wir nicht außer Kraft setzen.

Die negative Wirkung starrer Regelungen zeigt die Schuldenbremse in den USA. Diese führt in schöner Regelmäßigkeit dazu, dass die gesetzlichen Grenzen für die Schulden erhöht werden müssen. Bis es dazu kommt, werden öffentliche Einrichtungen geschlossen („Shutdown“), und die Parteien erpressen sich gegenseitig. Das endet meist teuer, und die Schulden steigen stärker, als sie sich ohne die Schuldenbremse entwickelt hätten.

Ausgewogene Wirtschaftspolitik

Eine den vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik muss sich am wirtschaftspolitischen Vieleck aus Lebensqualität, Verteilungsgerechtigkeit, stabiler Staatstätigkeit, Vollbeschäftigung, intakter Umwelt, Außenhandelsgleichgewicht, Preisstabilität und stabilen Finanzmärkten orientieren. Eine Schuldenbremse garantiert dies nicht und führt wieder zu einer einseitigen wirtschaftspolitischen Architektur, die Krisen nicht verhindern und nicht bewältigen kann.

Es war ein Riesenfehler (vor der Finanzkrise 2008), dass die EU-Wirtschaftspolitik nur auf niedrige Inflation und Begrenzung der Staatsschulden (Maastricht-Kriterien) ausgerichtet war. Dem lag die absolut falsche Vorstellung zugrunde, dass eine niedrige Inflation und niedrige Staatsdefizite eine stabile Wirtschaft garantieren. Die Finanzkrise 2008 sollte zeigen, wie weit weg von der Realität das ist. Mit der Ausnahme von Griechenland waren von der Finanzkrise insbesondere Staaten betroffen, die eine sehr niedrige öffentliche Verschuldung hatten, wie etwa Irland, Spanien und die baltischen Staaten. Warum das? Der Anstieg der privaten Verschuldung (Immobilienblase in Spanien, Immobilien- und Bankenkrise in Irland) und das Eingehen exzessiver Risiken auf den Finanzmärkten durch (private) SchuldnerInnen führten zur größten Finanzkrise der letzten Jahrzehnte. Mit Spanien und Irland waren zwei Staaten massiv von der Krise betroffen, die zuvor besonders niedrige öffentliche Schulden hatten. Es bedarf daher eines ausgewogenen Blicks auf mehrere Größen. Eine Staatsschuldenbremse hätte daher gar nichts zur Vermeidung der Finanzkrise beigetragen. Sie hätte aber verunmöglicht, die Krise abzufedern und gegenzusteuern. Bankenrettungen und Konjunkturpakete verhinderten einen Totalabsturz der Wirtschaft. Mit der Schuldenbremse wäre das nicht möglich gewesen.

Wirtschaft stabilisieren statt destabilisieren

Wenn durch Schuldenbremsen wieder nur die öffentliche Verschuldung begrenzt wird, wird derselbe Fehler wiederholt, die Wirtschaft völlig einseitig zu regeln. Sollte es wieder zu einer Finanz- und Wirtschaftskrise kommen, die vom Finanzsektor ausgeht, wären die Staaten wegen der Schuldenbremse nicht mehr in der Lage, effektiv gegenzusteuern. Das ist verantwortungslos.