Meinungen zu Steuern: Das Framing ist entscheidend, nicht der Inhalt

12. Oktober 2023

Wer denkt, eine Mehrheit befürwortet eine progressive Besteuerung von Einkommen, irrt – liegt aber auch nicht ganz falsch. Richtig ist eher, dass eine Mehrheit der Bevölkerung nicht erklären kann, was eine progressive Besteuerung genau bedeutet. Beim Thema Steuern verschieben sich Meinungen je nach Darstellung. Das Framing entscheidet maßgeblich darüber, wie wir etwas wahrnehmen, und damit, ob wir eine Sache unterstützen oder nicht. Das gilt umso mehr, je weniger Wissen über die Thematik vorhanden ist.

Framing lenkt unser grundsätzliches Verständnis

Unser Denken und Verständnis der Welt ist geprägt von Bildern und Metaphern. Wir bedienen uns sogenannter „Frames“, um uns Kontexte verständlich zu machen. Jedes Framing enthält bestimmte moralische Werte. Damit beeinflusst es unsere Einstellung und Meinung zu Themen. Besonders bei abstrakten und komplexen Sachverhalten – wie dem Thema Steuern – hat Framing eine erhebliche Wirkung. Denn einen „quietschenden Fahrradreifen“ können wir uns direkt vorstellen: das Geräusch, den Geruch, wie er aussieht und sich anfühlt. Bei einer „progressiven Einkommensteuer“ fehlt uns das.

Dementsprechend macht es einen großen Unterschied für die Wahrnehmung, wie wir von Steuern reden: ob beispielsweise von einer Steuerschuld, einem zu zahlenden Steuerbetrag oder einem zu leistenden Steuerbeitrag. „Schuld“ ist etwas Negatives, das will niemand schultern müssen. Und wer etwas „zahlen“ muss, hat nachher weniger Geld zur Verfügung. „Einen Beitrag zu leisten“ ist hingegen etwas Positives. Alle Formulierungen beschreiben denselben Tatbestand, doch sie wirken sehr unterschiedlich. Die Sprache, die wir benutzen, prägt unser Denken – immer. Dessen sollten wir uns bewusst sein!

Komplexität des Steuersystems begünstigt falsche Auffassungen

Steuern und das Steuersystem sind durchaus keine einfache Materie. Ein niedriges Niveau an Wissen darüber ist deswegen ein fruchtbarer Boden für unrichtige Behauptungen, verzerrende Darstellungen, komplett falsche Erklärungen sowie irreleitendes Framing. Umso mehr, da politische Akteur:innen in der öffentlichen Debatte Meinungen zu ihren Gunsten verschieben wollen und vor falschen Behauptungen nicht zurückschrecken. Wer versucht der Komplexität des Systems gerecht zu werden, kommt schlicht nicht durch. Das Dilemma: Vereinfachungen sind beim Thema Steuern zwar notwendig, aber gleichzeitig Teil des Problems.

Die „Todessteuer“ bringt einen Beitrag der Reichsten

Vergleichen wir zwei entgegengesetzte Frames für ein und dasselbe: die Erbschaftssteuer. Sie wird von rechter Seite gerne als „Todessteuer“ dargestellt, bei der ein hart erarbeitetes Vermögen am Ende des Lebens abgetreten werden muss. Da kommt bei vielen Menschen verständlicherweise Widerstand auf. Niemand will das Haus der Oma, an dem so viele Emotionen hängen, in einer Phase der Trauer weggenommen bekommen. Folgende Frames wirken im Hintergrund: Selbst der Tod wird besteuert; Vermögen ist verdient; der Staat nimmt einem etwas emotional Wichtiges weg.

Dem gegenüber stehen Vorschläge für eine „Millionärssteuer“, bei der die Reichsten einen Beitrag leisten, indem sie einen Teil ihrer leistungslosen Erbschaftseinkommen der Gesellschaft zugutekommen lassen. Weil das extreme Ungleichheit reduziert, wird unsere Gesellschaft dadurch gerechter. Benutzte Frames: Nur die Reichsten werden besteuert; man tut nichts fürs Erben; Steuern bringen Gerechtigkeit; durch Steuern trägt man etwas bei.

Sosehr beide Beschreibungen auf denselben Vorschlag für eine Erbschaftssteuer passen könnten, so sehr widersprechen sich ihre sprachlichen Bilder. Da sich die wenigsten Personen mit den zugrunde liegenden Vorschlägen beschäftigen und auskennen, sind die vermittelten Bilder entscheidend für die Meinungsbildung.

Viele profitieren von der Steuersenkung

Von 2020 bis 2024 wurden bzw. werden die ersten drei Grenzsteuersätze der Einkommensteuer gesenkt. Während die Regierung behauptet, dass besonders Personen mit geringen und mittleren Einkommen entlastet werden, argumentierten einige, dass dadurch gut bezahlte Personen gewinnen. Als Laie hört sich das erst mal nach einer Steuersenkung für niedrige Einkommen an. Das ist auch nicht falsch, aber leider auch nicht ganz richtig. Es kommt auf die Perspektive an.

Der Clou liegt darin, wie ein „niedriges Einkommen“ definiert und ob die Steuerersparnis absolut (also in Euro) oder relativ (zum Einkommen) dargestellt wird. Hohe Einkommen profitieren absolut gesehen am meisten, mittlere Einkommen hingegen beim relativen Effekt (siehe Grafik). Man kann die Kommunikation also immer so anpassen, dass die Reform – rein sprachlich – der gewünschten Zielgruppe zugutekommt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Progressive Besteuerung? – Nicht immer erwünscht

Bei der Frage, wie die Einkommensteuer gestaltet sein soll, finden Studien höchst unterschiedliche Ergebnisse. Ein dabei oft vernachlässigter Faktor ist die Fragestellung. Bei einer dieser Untersuchungen wurden 17- bis 19-jährige Wiener:innen mit verschieden geframten Fragen zu ihren Meinungen befragt. Das Ergebnis: Bei Fragen, die in Euro formuliert sind, wünscht sich der Großteil ein regressives Steuersystem (58 Prozent), wohingegen dieselbe Gruppe zum selben Zeitpunkt ein progressives System bei in Prozent gestellten Fragen bevorzugt (86 Prozent). Das Framing beeinflusst die geäußerten Meinungen also maßgeblich mit.

Jährliche Rekorde bei den Staatseinnahmen

Fast jedes Jahr gibt es Meldungen über die „höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten“. Das mag faktisch stimmen, erzeugt aber ein absolut falsches Bild der Realität. In Euro gemessen steigen die Steuereinnahmen Österreichs so gut wie jedes Jahr. Das ist bei einer wachsenden Wirtschaft sowie vorhandener Inflation das Normalste auf der Welt. Sie behaupten schließlich auch nicht jeden Morgen: „Heute habe ich ein Rekordalter erreicht. So alt war ich noch nie!“ Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung liegt der Anteil des österreichischen Staates (gemessen an den Einnahmen bzw. Ausgaben) seit 40 Jahren stabil bei etwa 50 Prozent. Keine seriöse Ökonomin würde davon reden, dass der Staat jedes Jahr auf eine neue Rekordgröße anwächst. Genau dieses Bild wird allerdings mit Wörtern wie „Rekord“, „höchste“ und „wie noch nie“ erzeugt. Und das beeinflusst gewolltermaßen die Einstellungen zu dem Thema: Der Staat soll schrumpfen. Die Wahl eines Referenzpunktes ist also genauso entscheidend.

Gezielte Isolation von Informationen

Durch das Weglassen von spezifischen Aspekten wird die Meinungsbildung ebenso beeinflusst. An der obenstehenden Grafik können Sie zum Beispiel nicht ablesen, wie hoch ihre Steuerersparnis durch die Steuerreform wirklich ist. Wichtige, nicht inkludierte Aspekte mit enormem Einfluss sind die fehlenden Sozialversicherungsbeiträge, nicht angesetzte Absetz- und Freibeträge, andere wichtige Reformmaßnahmen wie die Erhöhung der Negativsteuer bei geringem Einkommen sowie der Umstand, dass gewisse Einkommenstypen einer anderen Form der Besteuerung unterliegen (z. B. Kapitaleinkommen sowie das 13. und 14. Gehalt). Deren Inklusion würde die Grafik unverständlich machen bzw. manche Aspekte sind schlicht nicht darstellbar.

Es ist jeweils eine (un-)bewusste Entscheidung der kommunizierenden Person, welche Aspekte in sprachliche Bilder und grafische Darstellungen über Steuern einfließen und welche nicht. Reden wir zum Beispiel über Steuern und Staatseinnahmen, ohne die Ausgabenseite zu erwähnen, entsteht leicht das Bild eines Staates, der Geld einsammelt und es irgendwo verbuddelt. Die Frage, warum überhaupt besteuert wird und welchen Zweck Steuern erfüllen, gerät dadurch in den Hintergrund. Forderungen nach Steuersenkungen finden in diesem Kontext mehr Unterstützung. Die Wirkung besteht genauso umgekehrt: Reden wir über Staatsausgaben (z. B. Sozialausgaben), ohne die Einnahmenseite zu betrachten, erhöhen sich die Zustimmungswerte bzw. verschiebt sich der Fokus von fiskalischen Fragen zu Fairnessfragen. Dieser Framing-Effekt tritt in dieser Form ebenso in der Debatte um Vermögenssteuern auf. In nahezu jedem Konzept einer Vermögenssteuer ist ein Freibetrag enthalten. Ob dieser in Diskussionen darüber weggelassen, erwähnt oder betont und – wichtig – seine Wirkung verstanden wird, ist wesentlich für die Meinungsbildung.

Fazit und vier Vorschläge für einen Umgang

Ob Sprachbilder, Vergleiche, Wahl eines Referenzpunktes oder die Isolation von Informationen: Framing prägt unsere Wahrnehmung von Steuern. Es existiert, wirkt und wird ge- sowie missbraucht. Die Komplexität des Steuersystems und das weit verbreitete Unwissen darüber verstärken seine Bedeutung. Vier Vorschläge, wie man als progressiver Akteur mit Framing im Bereich Steuern (sowie in anderen Bereichen) umgehen sollte:

1. Framing und seine Wirkung erkennen

    Der erste Schritt ist das Erkennen von Framing und seiner Wirkung in der eigenen und fremden Kommunikation. Der zweite Schritt beinhaltet die Erkenntnis, dass Sprachbilder bedeutender sein können als Inhalte – insbesondere in abstrakten Kontexten. Framing ist inhärenter Bestandteil unserer Kommunikation und grundsätzlich weder als gut noch als schlecht zu bewerten. Frame-freies, vermeintlich neutrales Sprechen über Steuern ist schlicht nicht möglich. Wer sich nicht damit beschäftigt, übernimmt meist unbewusst die dominanten Frames.

    2. Bildung im Steuerbereich fördern

    Steuerbildung reduziert den Effekt von Framing, da Personen weniger auf erklärende Bilder angewiesen sind und relevante Punkte selbstständig erkennen. Das Herausfiltern und Einschätzen wichtiger Aspekte ist beim Thema Steuern von besonderer Bedeutung, um bei der Vielzahl an Informationen und Details mitzukommen.

    3. Eigenes Framing bewusst wählen

    Ein gutes Framing gibt die Realität korrekt wieder und schafft so ein Verständnis für den Sachverhalt. Gleichzeitig sollte es den Werten der eigenen Aussage entsprechen. Wer fordert, „Steueroasen“ zu schließen oder die „Steuerlast“ zu erhöhen, untergräbt seinen eigenen Standpunkt. Oasen sind überlebenswichtige Zufluchtsorte, also etwas Positives. Eher sollten wir „Steuersümpfe“ trockenlegen sowie einen gerechten „Steuerbeitrag“ von allen fordern.

    4. Falsches Framing überschreiben

    Essenziell dafür ist eine alternative Darstellung („Steuersumpf“ statt „Steueroase“). Verneinungen funktionieren nicht, da sie dieselben Bilder und Gefühle hervorrufen („Steuern sind keine Last“). Zudem hilft es, falsche Sprachbilder explizit zu machen, ihre Problematik zu erläutern und sie neu einzuordnen – zum Beispiel mit Vergleichen („tägliches Rekordalter“). Damit eigene Darstellungen und Erklärungen angenommen werden, sollten sie intuitiv verständlich und nachvollziehbar sein.

    Dieser Artikel enthält Aspekte der Masterarbeit des Autors zum Thema „Der Einfluss von konzeptuellem Steuerwissen auf Steuerpräferenzen“.

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