Wer denkt, eine Mehrheit befürwortet eine progressive Besteuerung von Einkommen, irrt – liegt aber auch nicht ganz falsch. Richtig ist eher, dass eine Mehrheit der Bevölkerung nicht erklären kann, was eine progressive Besteuerung genau bedeutet. Beim Thema Steuern verschieben sich Meinungen je nach Darstellung. Das Framing entscheidet maßgeblich darüber, wie wir etwas wahrnehmen, und damit, ob wir eine Sache unterstützen oder nicht. Das gilt umso mehr, je weniger Wissen über die Thematik vorhanden ist.
Framing lenkt unser grundsätzliches Verständnis
Unser Denken und Verständnis der Welt ist geprägt von Bildern und Metaphern. Wir bedienen uns sogenannter „Frames“, um uns Kontexte verständlich zu machen. Jedes Framing enthält bestimmte moralische Werte. Damit beeinflusst es unsere Einstellung und Meinung zu Themen. Besonders bei abstrakten und komplexen Sachverhalten – wie dem Thema Steuern – hat Framing eine erhebliche Wirkung. Denn einen „quietschenden Fahrradreifen“ können wir uns direkt vorstellen: das Geräusch, den Geruch, wie er aussieht und sich anfühlt. Bei einer „progressiven Einkommensteuer“ fehlt uns das.
Dementsprechend macht es einen großen Unterschied für die Wahrnehmung, wie wir von Steuern reden: ob beispielsweise von einer Steuerschuld, einem zu zahlenden Steuerbetrag oder einem zu leistenden Steuerbeitrag. „Schuld“ ist etwas Negatives, das will niemand schultern müssen. Und wer etwas „zahlen“ muss, hat nachher weniger Geld zur Verfügung. „Einen Beitrag zu leisten“ ist hingegen etwas Positives. Alle Formulierungen beschreiben denselben Tatbestand, doch sie wirken sehr unterschiedlich. Die Sprache, die wir benutzen, prägt unser Denken – immer. Dessen sollten wir uns bewusst sein!
Komplexität des Steuersystems begünstigt falsche Auffassungen
Steuern und das Steuersystem sind durchaus keine einfache Materie. Ein niedriges Niveau an Wissen darüber ist deswegen ein fruchtbarer Boden für unrichtige Behauptungen, verzerrende Darstellungen, komplett falsche Erklärungen sowie irreleitendes Framing. Umso mehr, da politische Akteur:innen in der öffentlichen Debatte Meinungen zu ihren Gunsten verschieben wollen und vor falschen Behauptungen nicht zurückschrecken. Wer versucht der Komplexität des Systems gerecht zu werden, kommt schlicht nicht durch. Das Dilemma: Vereinfachungen sind beim Thema Steuern zwar notwendig, aber gleichzeitig Teil des Problems.
Die „Todessteuer“ bringt einen Beitrag der Reichsten
Vergleichen wir zwei entgegengesetzte Frames für ein und dasselbe: die Erbschaftssteuer. Sie wird von rechter Seite gerne als „Todessteuer“ dargestellt, bei der ein hart erarbeitetes Vermögen am Ende des Lebens abgetreten werden muss. Da kommt bei vielen Menschen verständlicherweise Widerstand auf. Niemand will das Haus der Oma, an dem so viele Emotionen hängen, in einer Phase der Trauer weggenommen bekommen. Folgende Frames wirken im Hintergrund: Selbst der Tod wird besteuert; Vermögen ist verdient; der Staat nimmt einem etwas emotional Wichtiges weg.
Dem gegenüber stehen Vorschläge für eine „Millionärssteuer“, bei der die Reichsten einen Beitrag leisten, indem sie einen Teil ihrer leistungslosen Erbschaftseinkommen der Gesellschaft zugutekommen lassen. Weil das extreme Ungleichheit reduziert, wird unsere Gesellschaft dadurch gerechter. Benutzte Frames: Nur die Reichsten werden besteuert; man tut nichts fürs Erben; Steuern bringen Gerechtigkeit; durch Steuern trägt man etwas bei.
Sosehr beide Beschreibungen auf denselben Vorschlag für eine Erbschaftssteuer passen könnten, so sehr widersprechen sich ihre sprachlichen Bilder. Da sich die wenigsten Personen mit den zugrunde liegenden Vorschlägen beschäftigen und auskennen, sind die vermittelten Bilder entscheidend für die Meinungsbildung.
Viele profitieren von der Steuersenkung
Von 2020 bis 2024 wurden bzw. werden die ersten drei Grenzsteuersätze der Einkommensteuer gesenkt. Während die Regierung behauptet, dass besonders Personen mit geringen und mittleren Einkommen entlastet werden, argumentierten einige, dass dadurch gut bezahlte Personen gewinnen. Als Laie hört sich das erst mal nach einer Steuersenkung für niedrige Einkommen an. Das ist auch nicht falsch, aber leider auch nicht ganz richtig. Es kommt auf die Perspektive an.
Der Clou liegt darin, wie ein „niedriges Einkommen“ definiert und ob die Steuerersparnis absolut (also in Euro) oder relativ (zum Einkommen) dargestellt wird. Hohe Einkommen profitieren absolut gesehen am meisten, mittlere Einkommen hingegen beim relativen Effekt (siehe Grafik). Man kann die Kommunikation also immer so anpassen, dass die Reform – rein sprachlich – der gewünschten Zielgruppe zugutekommt.