Wachstum ist seit Jahrzehnten eine Eigenschaft unserer Wirtschaft und das Ziel des Wirtschaftens. In Zeiten des Klimawandels, des Kollapses der Biodiversität, der Ungleichheit und des Krieges gilt es, dies zu hinterfragen. Unsere ökologischen Fußabdrücke müssen verringert werden, damit wir Kipppunkte nicht übertreten. Gleichzeitig fordern Gewerkschaften richtigerweise, dass unser Wohlergehen wieder steigen und die Ungleichheit reduziert werden soll. Um dies zu erreichen, müssen die Ursachen unserer Krisen direkt angegangen werden. Wir können nicht darauf hoffen, dass das Wirtschaftswachstum unsere Probleme von allein löst.
Die Limitationen des BIP
Das Bruttoinlandsprodukt misst den monetären Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land in einem Jahr produziert wurden. In Österreich hat sich diese Zahl in den letzten drei Jahrzehnten mehr als verdreifacht. Hat sich in dem gleichen Zeitraum der Wohlstand und das Wohlergehen in Österreich auch verdreifacht? Nein. Das Ausgeben von Geld ist in jedem Fall gut für das BIP, nicht jedoch für das Wohlergehen. So haben zum Beispiel die Beseitigung eines Öllecks oder der Verkauf von Holz aus einem Urwald positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum.
Andererseits sind Gesundheit und Bildung nur sehr schwer im BIP abbildbar und werden somit unterbewertet. Die Privatisierung der Gesundheitsversorgung, die hohe Gesundheitsausgaben mit sich bringt, kann somit sogar zu Wirtschaftswachstum führen, obwohl der gesellschaftliche Wohlstand sinkt. Das gleiche gilt für die Privatisierung der Natur. Ein frei zugänglicher Wald ist für das BIP weniger wert als das Holz, aus dem dieser Wald besteht. Obendrein ist das BIP blind hinsichtlich der Abbildung jeglicher ökonomischen, ökologischen oder sozialen Ungleichheiten. Daher ist es für die Vertretung der Arbeitenden-Interessen wichtig, eine ganzheitliche Analyse des Wohlstands vorzunehmen.
Ein natürliches Ende des Wachstums?
Die Klimakrise ist bereits in vollem Gange: Deren Folge zeigt schon heute in Österreich Kosten auf. Der Biodiversitätskollaps sowie das Überschreiten der anderen planetaren Grenzen kommen uns auch teuer zu stehen. In Folge dieser ökologischen Krisen stellen viele Ökonom:innen die europäischen Wachstumsaussichten in Frage. Jedoch gibt es auch weitere verwandte Krisen wie die Corona-Pandemie, die Energiekrise, der demografische Wandel sowie durch Massentierhaltung sich entwickelnde Antibiotikaresistenz. Diese liefern einige Gründe, weshalb zukünftiges Wachstum immer fragiler, gar unmöglich scheint. Hinzu kommt die Tatsache, dass schon so viele Ressourcen erschlossen wurden, dass nur wenig Natur und Land für weiteres extensives Wachstum zur Verfügung bleiben.
Dies wird auch durch den Genuine Progress Indicator, der die durch wirtschaftliche Aktivitäten verursachten sozialen und ökologischen Verluste berücksichtigt, bestätigt. Das Wachstum an echtem Wohlstand ist demnach bereits zum Stillstand gekommen.
Eine notwendige Repolitisierung der Umverteilung
Es wird oft argumentiert, dass Umverteilung in einem Postwachstums-Kontext schwieriger zu erreichen sei. Dieses Verständnis beruht jedoch auf der Überzeugung, dass die Umverteilung hauptsächlich in Bezug auf neues Einkommen stattfindet. Allerdings haben sich in den letzten Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum und die Medianeinkommen immer weiter voneinander entkoppelt.
Ein weiterer Teil der neoliberalen Erzählung ist, dass Ungleichheit für Wachstum notwendig sei. In Wirklichkeit ist es jedoch ungleichheitsgetriebenes Wachstum, welches Armut verursacht. So wurde Wachstum zur Rechtfertigung von Ungleichheit verwendet, wie in der berüchtigten Kuznets-Kurve. Eine Abkehr vom Wachstum ermöglicht es den politischen Entscheidungsträger:innen daher, das Wohlbefinden direkt zu verbessern. Da Ungleichheit in reichen Ländern ein besserer Prädiktor als das BIP für viele soziale Gegebenheiten ist, muss die Verringerung der Ungleichheit ein zentrales Ziel werden. Gleichzeitig ist das Verringern an Ungleichheit Schlüssel für eine Reduktion beim Energieverbrauch.
Ökologische Krisen und das Wirtschaftswachstum
Angesichts des bevorstehenden Erreichens von Kipppunkten und kaskadenartigen, miteinander verknüpften ökologischen Krisen müssen die Fußabdrücke der Wirtschaft rasch und erheblich zurückgehen. Fossile Sektoren müssen entweder rapide transformiert oder zurückgebaut werden. Effizienz und technische Lösungen allein reichen aufgrund von Rebound-Effekten nicht aus, um Emissionen, Ressourcenverbrauch und Flächenverbrauch ausreichend zu reduzieren. Es ist daher nicht mehr möglich, Wachstum innerhalb der erforderlichen Zeitspanne ausreichend von den ökologischen Auswirkungen zu entkoppeln.
Daher gibt es sowohl ökologische als auch soziale Gründe für die Abkehr vom Wirtschaftswachstum. Dies muss jedoch nicht Austeritätspolitik bedeuten, die regelmäßig mit dem Wunsch nach Wachstum begründet wird. Alternativ können Arbeitszeitverkürzung, Mitbestimmung, Umverteilung und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge es ermöglichen, aus der Arbeitsplätze-Wachstum Tretmühle auszubrechen. Hierfür sind Allianzen für einen gerechten sozial-ökologischen Umbau notwendig, in denen Gewerkschaften eine Schlüsselrolle zukommt.