Ja zu Vermögenssteuern? Eine Frage des Narra­tivs!

03. September 2024

Verteilungspolitische Debatten und im Speziellen Vermögenssteuern sind ein fester Bestandteil des politischen Diskurses. Der Erfolg eines solchen politischen Vorhabens hängt davon ab, wie sehr die Öffentlichkeit diese akzeptiert. Diese Akzeptanz wird wiederum durch die über Vermögenssteuern verbreiteten Narrative beeinflusst. Anders ausgedrückt: Ob Menschen Vermögenssteuern befürworten, hängt davon ab, wie sie darüber informiert werden. Genau das wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht: die Rolle der Berichterstattung in Zeitungen.

Vermögensungleichheit und mediale Debatten

Die Vermögensverteilung in Österreich befindet sich in einer enormen Schieflage. Nach neuesten Schätzungen der DWA (Distributional Wealth Account der EZB) besitzen die reichsten fünf Prozent der Haushalte mehr als 50 Prozent des gesamten Nettovermögens. Lediglich ein Anteil von 3,5 Prozent des Nettovermögens verteilt sich dagegen auf die unteren fünfzig Prozent der Haushalte. Österreich reiht sich damit ins Spitzenfeld der Vermögensungleichheit innerhalb der Eurozone ein. Trotz dieser bemerkenswerten Zahlen wird Vermögen in Österreich äußerst gering besteuert – und dies bereits seit vielen Jahrzehnten. Seit der Abschaffung der Vermögenssteuer 1993 sowie der Aufhebung der Erbschafts- und Schenkungssteuer 2008 gab es keine Mehrheiten im Nationalrat für die Einführung einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer. Angesichts der deutlichen Vermögensungleichheit und der fehlenden politischen Initiativen zur Einführung vermögensbezogener Steuern stellt sich die Frage, wie Vermögenssteuern in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden.

Wie alle politischen Vorhaben muss sich auch die Forderung nach Vermögenssteuern einer öffentlichen Debatte unterziehen. Ein Großteil dieser Auseinandersetzung findet in den Medien statt, die als zentrale Plattform für den politischen Diskurs dienen.

Unsere Studie konzentriert sich nicht darauf, ob die Argumente für oder gegen Vermögenssteuern überzeugen und einer kritischen Betrachtung standhalten. Stattdessen haben wir untersucht, welche Narrative über vermögensbezogene Besteuerung in der medialen Berichterstattung verbreitet werden. Narrative gelten als in sich geschlossene Erzählungen, die keine alternativen Darstellungen von Sachverhalten zulassen und daher stets kritisch zu hinterfragen sind, weil sie oft vereinfachend und einseitig sind. Neben ihrer Verbreitung war es für uns wichtig zu verstehen, wie sich Narrative im Laufe der Zeit verändern und welche Grundüberzeugungen sie vermitteln.

Um diese Fragen zu beantworten, wurden über 20.000 Artikel, über einen Zeitraum von dreißig Jahren, aus ausgewählten Qualitätszeitungen der DACH-Region mithilfe einer integrierten quantitativen und qualitativen Textanalyse ausgewertet.

Dominante Narrative

Insgesamt wurden in der Studie zehn verschiedene Narrative über vermögensbezogene Steuern identifiziert (siehe Grafik). Die Analyse offenbart ein klares Ungleichgewicht zugunsten von Narrativen, die der Vermögensbesteuerung ablehnend gegenüberstehen. Im Folgenden werden die am dominantesten vertretenen Narrative näher beleuchtet.

Ideologisches Projekt der Linken

Eines der am häufigsten wiederkehrenden Narrative stellt die Forderung nach Vermögenssteuern als ideologisch motiviert und irrational dar. Abseits pragmatischer Politik dienten sie der Selbstvergewisserung der eigenen Identität linker Parteien und kreieren Feindbilder (die Reichen). Die Forderung nach Vermögenssteuern wird daher als ideologisch motiviert und wirtschaftlich belanglos dargestellt.

Mehr Last als Ertrag

Ähnlich häufig wird berichtet, dass Vermögenssteuern wirtschaftliche Fehlanreize (Abwanderung von Kapital) setzen und zu einer unzumutbaren Belastung für Bürger:innen und Staat würden, die im Ergebnis lediglich mehr Aufwand als Ertrag bringen. Vermögenssteuern wird daher attestiert, dass diese unter keinen Umständen profitabel für die Gesellschaft sein könnten. Ebenso wenig wird auf positive Mitnahmeeffekte verwiesen, wie beispielsweise die Erhöhung der Vermögenstransparenz oder die Förderung von Steuergerechtigkeit.

Alle Macht dem Markt

Ein drittes häufiges Narrativ warnt, dass Vermögenssteuern Marktmechanismen stören würden und damit zu gesamtwirtschaftlichen Schäden führen. Im Gegensatz zum Staat gelten Unternehmen als besser befähigt, Investitionsentscheidungen zu treffen, weshalb eine Vermögensminderung ihre Fähigkeit, in Innovationen zu investieren und ihre Marktstellung zu sichern, beeinträchtigen würde. Durch die Erhebung von Vermögenssteuern stört der Staat somit das freie und faire Spiel der Marktkräfte, das andernfalls die größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile bringen würde.

Die Reichen zur Kasse bitten

Diese drei ablehnenden Narrative dominieren die mediale Berichterstattung weitgehend. Lediglich ein Narrativ, welches die Vermögenssteuer befürwortet, hat eine ähnliche Verbreitung, bleibt jedoch über die Zeit deutlich weniger präsent.

Dieses Narrativ beschreibt Vermögenssteuern als Instrument zur Schaffung größerer Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich, indem die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden. Extreme Vermögensungleichheit sowie die Abwesenheit einer Vermögenssteuer werden im Narrativ als moralisch verwerflich betrachtet.

Entwicklung der Narrative über die Zeit

Wie aus der Grafik hervorgeht, sind insgesamt die ablehnenden Narrative im untersuchten Zeitraum tonangebend. Allerdings verschiebt sich die Relevanz der unterschiedlichen Narrative im Zeitverlauf. Die beiden Narrative „Mehr Last als Ertrag“ und „Alle Macht dem Markt“ werden mit der Zeit von dem Narrativ „Ideologisches Projekt der Linken“ abgelöst. Nach dessen Höhepunkt im Jahr 2007 nimmt das Marktnarrativ kontinuierlich ab. Diese Entwicklung könnte auf die zahlreichen Krisen der folgenden Jahre zurückgeführt werden. Der Glaube an den Markt hat nachgelassen und man vertraut weniger auf die Selbstregulierung des Marktes. Der Staat hat eine zentrale Rolle in der Bewältigung der Krisen übernommen, somit wurde gezeigt, dass staatliche Eingriffe von entscheidender Bedeutung sind. Nichtsdestotrotz bleibt in den Folgejahren das Ideologienarrativ am dominantesten.

© A&W Blog


Das Narrativ „Die Reichen zur Kasse bitten“ spielte zu Beginn der 1990er Jahre noch eine bedeutende Rolle, seine Relevanz nahm jedoch im Laufe der Zeit deutlich ab. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass sich das Ungleichgewicht hin zu stärker wirtschaftsliberal geprägten Stimmen über den Zeitraum weiter verstärkt hat. Vermögenssteuer befürwortende Stimmen werden in der Berichterstattung nur marginal berücksichtigt.

Diesem Trend wirkt lediglich der leichte Anstieg des Narrativs „Daten sprechen für sich“ entgegen. Dabei rücken die verfügbaren Daten zur Vermögensungleichheit in den Vordergrund, um die Sinnhaftigkeit von Vermögenssteuern zu begründen. Dieser Anstieg kann darauf zurückzuführen sein, dass die Datenlage (wie zum Beispiel durch die regelmäßig stattfindende Household Finance and Consumptions Survey [HFCS] der OeNB) zur Vermögensverteilung sich in den letzten Jahren eklatant verbessert hat, wenngleich Expert:innen immer noch berechtigterweise über massive Datenlücken klagen.

Verteilung nach Zeitungshäusern und Ländern

In der untenstehenden Visualisierung wird die Verteilung und das Gewicht der verschiedenen Narrative in der Berichterstattung unterschiedlicher Zeitungshäuser dargestellt. Dadurch wird deutlich, wie stark bestimmte Narrative in den einzelnen Medien vertreten sind.


© A&W Blog


Besonders auffällig für Österreich ist hierbei die Dominanz des Narrativs „Ideologisches Projekt der Linken“, welches weit häufiger wiedergegeben wird als in den anderen Ländern und dadurch die Berichterstattung prägt. Grundsätzlich berichten die heimischen Zeitungshäuser „Der Standard“ und „Die Presse“ fast deckungsgleich; die österreichische Berichterstattung zu vermögensbezogenen Steuern unterscheidet sich in diesen Qualitätszeitungen nicht signifikant.

Im Vergleich dazu berichten deutsche Zeitungen deutlich differenzierter über Vermögenssteuern. Wenig überraschend thematisiert die eher linke „taz“ das vermögenssteuerpositive Narrativ am häufigsten, deutlich vor den zuvor genannten, vermögensbesteuerungsskeptischen Positionen.

Ebenso Deutschland-spezifisch ist das häufigere Vorkommen des Narrativs „Vermögen steht der Familie zu“. Hierbei wird Vermögensbesteuerung im Erbfall als Gefahr für den Fortbestand von Familienunternehmen beschrieben. Da Deutschland im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz Erbschaftssteuern (wenn auch in geringem Ausmaß) erhebt, bildet sich dies in der Berichterstattung offenbar demensprechend ab.

Fazit

Die mediale Berichterstattung über Vermögenssteuern war in den vergangenen Jahren durchgehend von negativen Narrativen geprägt. Obwohl diese Narrative in verschiedenen Variationen dargestellt wurden, blieb der Grundton stets ablehnend. Besonders in Österreich wird häufig der Ideologievorwurf erhoben, während die weiteren ablehnenden Narrative vor allem wirtschaftliche Risiken betonen und durch eine grundlegende Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen geprägt sind.

Eine solche konstante negative Darstellung erschwert die Schaffung eines positiven Bildes von Vermögenssteuern erheblich. Umso bemerkenswerter ist es, dass dennoch ein Großteil der Österreicher:innen grundsätzlich für die Besteuerung hoher Vermögen ist. Sobald jedoch über die konkrete Umsetzung dieser Steuer diskutiert wird, stellen sich verfestigte Narrative als scheinbar unüberwindbare Barrieren dar und verhindern eine sachliche Auseinandersetzung sowie die Entwicklung tragfähiger Lösungsansätze. Falls die Forderung nach Vermögenssteuern im diesjährigen Wahlkampf sowohl in der breiten Bevölkerung als auch innerhalb der politischen Elite zu einem zentralen Thema wird, muss die politische Kommunikation darauf abzielen, bestimmte Glaubenssätze, die häufig auf einer brüchigen Faktenbasis beruhen, gezielt zu entkräften.

Zum Projekt

Das Projekt DNIE (Disturbing Narratives in Economics. Wealth (Re-)Distribution and Media) wurde von Mai 2023 bis September 2024 am Department für Volkswirtschaft der WU Wien durchgeführt.

Leitung: Andrea Grisold mit Stellvertreter Hendrik Theine

Forscher:innen: Magdalena Maad, Alexander Stäudelmayr, Moritz Gartiser


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