(Finanzielle) Unsicherheiten auf dem Weg zur Invaliditätspension

11. Oktober 2021

Personen in langem Krankenstand müssen sich spätestens mit Ende ihres Krankengeldanspruchs die Frage nach ihrer weiteren finanziellen Absicherung stellen. Der nächste Schritt ist bei andauernder Arbeitsunfähigkeit in der Regel der Antrag auf Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension. Die finanzielle Versorgung während des Pensionsverfahrens sorgt seit 2013 für Verunsicherung und Verwirrung unter den Betroffenen und weist in bestimmten Konstellationen sogar Lücken auf.

Früher hat der Arbeitstag für Anton um 7.30 Uhr begonnen und nicht selten um 19.30 Uhr geendet. Krankenstände gab es nicht. Dann wurde die Firma neu übernommen, der Druck wurde massiv erhöht. Er hat sein Leistungspensum immer weiter erhöht, doch irgendwann hat sein geschundener Körper kapituliert. Das ist jetzt über ein Jahr her, er befindet sich seitdem im Krankenstand. Sein Leben hat sich komplett verändert und dreht sich nur mehr um Arzttermine, Therapien, Geldsorgen und Existenzängste. Anton hat inzwischen den Status „begünstigt behindert“ und ist kündigungsgeschützt. Seine Firma hat beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung gestellt, das Verfahren läuft. Sie üben massiven Druck aus, das Dienstverhältnis einvernehmlich zu beenden. Heute hat Anton von der Gesundheitskasse (im Folgenden ÖGK) einen Brief bekommen, in sechs Wochen ist er ausgesteuert: Sein Anspruch auf Krankengeld ist dann erschöpft. Von welchem Versicherungsträger erhält er danach eine finanzielle Unterstützung? Er ist nach wie vor arbeitsunfähig. Inwiefern ist es von Belang, dass sein Dienstverhältnis aufrecht ist?

Ein Viertel aller Pensionsanträge wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Insgesamt 44.318 Personen haben im Jahr 2020 einen Erstantrag auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gestellt, je nach Berufsgruppe heißt sie für Arbeiter Invaliditätspension, für Angestellte Berufsunfähigkeitspension (IP/BUP). Damit waren mehr als 25 Prozent aller Pensionsanträge auf eine IP/BUP gerichtet. In einem Drittel der im Jahr 2020 bearbeiteten Fälle wurde tatsächlich eine Pension zuerkannt. Psychiatrische Erkrankungen machen den Hauptgrund für die Gewährung einer Leistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit aus, gefolgt von Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes.

Mehr als 11.000 Personen haben Klage erhoben

Von den fast 30.000 Ablehnungen führten aber nicht alle zu einer Nichtleistung. Für Geburtsjahrgänge ab 1964 kann eine Ablehnung der Pension auch wegen Gewährung von Rehabilitationsgeld oder beruflicher Rehabilitation (Umschulungsgeld) erfolgen. Ersteres wurde im Jahr 2020 in rund 7.200 Fällen gewährt, zweitere 40-mal.Gegen einen ablehnenden Bescheid steht der Klagsweg beim Sozialgericht offen. 11.346 Personen haben im Jahr 2020 ihren negativen Bescheid bei Gericht bekämpft.

Pensionsvorschuss vom AMS schaffte früher lückenlose finanzielle Absicherung

Vor dem 1.1.2013 konnten Personen während des laufenden IP/BUP-Verfahrens beim Arbeitsmarktservice (AMS) unter Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Pensionsvorschuss beziehen, unabhängig davon, ob sie zu diesem Zeitpunkt arbeitslos waren oder in einem aufrechten Dienstverhältnis ohne Entgeltfortzahlungsanspruch standen. Sie mussten bis zur Entscheidung über ihren Antrag, somit auch während eines etwaigen Gerichtsverfahrens, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und waren (trotz Erschöpfens ihres Krankengeldanspruchs) finanziell abgesichert.

Pensionsvorschuss ab 1.1.2013 zunächst de facto abgeschafft

Mit 1.1.2013 wurden die Voraussetzungen für den Pensionsvorschuss während des IP/BUP-Verfahrens extrem verschärft. Ziel der Reform war gemäß den Erläuterungen die raschere Eingliederung und Betreuung der für arbeitsfähig befundenen Personen und eine damit einhergehende deutlichere Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters für die betreffende Personengruppe: Arbeitslose sollten während des IP/BUP-Verfahrens weiterhin Arbeitslosengeld beziehen, bis zum Vorliegen des ärztlichen Gutachtens, längstens jedoch für zwei Monate (seit 1.1.2014 für drei Monate), wurden die Verfügbarkeitsvoraussetzungen für sie ausgesetzt. Personen im aufrechten Dienstverhältnis sahen sich hingegen gezwungen, ihre (zum Teil kündigungsgeschützten) Dienstverhältnisse aufzulösen, mussten sich, soweit medizinisch überhaupt vertretbar, gesundschreiben lassen und arbeitslos melden, um irgendeine finanzielle Absicherung zu erhalten. Der Pensionsvorschuss sollte nämlich erst ab einem positiven Gutachten über die vorliegende Arbeitsunfähigkeit (und auch nur dann) zustehen und nicht mehr – wie früher – ab dem Antrag auf IP/BUP.

Massive Intervention bewirkte leichte Verbesserung beim Pensionsvorschuss

Erst eine massive Intervention, insbesondere vonseiten der Arbeiterkammer, führte zu einer rückwirkenden Erweiterung des Adressatenkreises für den Pensionsvorschuss, um in der Praxis aufgetretene Härtefälle abzufedern, nämlich:

  • Personen im aufrechten Dienstverhältnis ohne Entgeltfortzahlungsanspruch und nach der Aussteuerung vom Krankengeld und
  • ausgesteuerte Arbeitslose, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe wegen eines Aufenthalts in einer Heil- und Pflegeanstalt ex lege ruht

Der Pensionsvorschuss endet aber nach der strengen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch in diesen „privilegierten“ Fällen bereits ab Erstellung des negativen Gutachtens und nicht erst, wie früher, mit Rechtskraft der Entscheidung (Bescheid bzw. Urteil). Die Versicherten erfahren in der Regel aber erst einige Woche später durch Zustellung des Bescheids vom Ergebnis der Begutachtung. Der Pensionsvorschuss wird rückwirkend vom AMS eingestellt.

Jedenfalls kein Pensionsvorschuss mehr während des Gerichtsverfahrens, Sonderkrankengeld nur für Personen im aufrechten Dienstverhältnis

Bei Bekämpfung des negativen Bescheids der PVA vor dem Sozialgericht sind die Versicherten erneut mit der Frage der finanziellen Absicherung konfrontiert. Für Arbeitslose gibt es während des Gerichtsverfahrens keinerlei Sonderbestimmungen mehr. Sie müssen sich gegenüber dem AMS für arbeitsfähig erklären und gleichzeitig im Gerichtsverfahren ihre Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit beweisen. Für Personen, die nach wie vor in einem aufrechten Dienstverhältnis stehen, wurde (erst) ab 1.1.2016 eine finanzielle Absicherung geschaffen: das Sonderkrankengeld, welches von der ÖGK ab Klagseinbringung für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, längstens bis zur rechtkräftigen Beendigung des Gerichtsverfahrens, ausgezahlt wird. Zwischen Vorliegen des negativen Gutachtens der PVA und Einbringung einer Klage beim Sozialgericht liegt allerdings eine finanzielle Versorgungslücke vor. Im Jahr 2020 haben über 2.000 Personen Sonderkrankengeld bezogen.

Fazit

Was ist von den Reformen rund um den Pensionsvorschuss geblieben? Aufseiten der Arbeitslosen eine erzwungene Janusköpfigkeit, die zu großen Verunsicherungen unter den Betroffenen führt: Während sie sich gegenüber dem AMS für arbeitsfähig erklären müssen, um überhaupt eine Leistung zu bekommen, müssen sie vor Gericht ihre ArbeitsUNfähigkeit beweisen. Die Arbeitslosenzahlen unter gesundheitlich beeinträchtigten Menschen steigen im Übrigen seit Jahren (auch vor Beginn der COVID-19-Pandemie) konsequent an. Für Betroffene im aufrechten Dienstverhältnis wurden die Leistungslücken, die durch die Reform des Pensionsvorschusses aufklafften, zwar großteils gestopft, allerdings führen die neuen Regelungen regelmäßig zu Überforderungen für die rechtlichen Laien. (Stellen Sie sich vor, Sie müssten Anton vom Eingangsfall über seine weiteren finanziellen Versorgungsmöglichkeiten beraten.) Die restriktive Interpretation der konkreten Bestimmungen durch die Gerichte verschärft die Thematik darüber hinaus. Eine Evaluierung der herrschenden Rechtslage wäre daher begrüßenswert.

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