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Beschädigt ist inzwischen auch das Verhältnis der jungen Menschen zur Politik und zu öffentlichen Einrichtungen: Neun von zehn sind davon überzeugt, dass ihre Bedürfnisse in Hinblick auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht berücksichtigt wurden. Und zwei Drittel haben sich von öffentlichen Einrichtungen – allen voran den Schulen – allein gelassen gefühlt. Originalzitate aus der Befragung verdeutlichen die Probleme, mit denen sie zu kämpfen hatten, und was sie sich gewünscht hätten:
„Mehr Verständnis von Lehrern hätt ich mir gewünscht“, „Nicht so viel Druck von der Schule“, „Austausch mit anderen, um ein Gefühl der Gemeinsamkeit zu haben“, „an Geld hat’s gefehlt für einen Laptop zum Lernen“, „dass auch mal wer fragt, wie’s mir geht“.
Fehlende Information, zu hohe Kosten und schwierige Erreichbarkeit behindern den Zugang zu Unterstützung
Mit Blick auf die psychische Gesundheit berichten aktuell rund 250.000 Oberösterreicher:innen ab 16 Jahren – unter ihnen rund 29.500 junge Menschen in Ausbildung – Bedarf an Unterstützung. Die Mehrzahl von ihnen hat bislang jedoch keine Hilfe in Anspruch genommen bzw. in Anspruch nehmen können. Die meisten (44 Prozent der Personen mit Bedarf an Unterstützung) scheiterten an fehlender Information über zur Verfügung stehende Angebote. Für 72.500 Oberösterreicher:innen (ein Fünftel der Betroffenen) waren die vorhandenen Angebote schlicht zu teuer. Für ebenso viele Menschen war die Unterstützung zu weit weg oder nur umständlich erreichbar. Wobei hier erwartungsgemäß Städter:innen bessergestellt waren: Während 39 Prozent der Menschen aus urbanen Regionen psychosoziale Beratungsstellen gut erreichen, geben dies nur 26 Prozent der Befragten aus ländlichen Regionen an.
Zu wenige Versorgungsplätze auf Kassenkosten für psychisch Belastete
Die Umfrage zeigt deutlich, dass viel zu viele Betroffene keine adäquate Versorgung finden. Dieser Befund steht im klaren Gegensatz zur Idee eines solidarischen Sozialversicherungssystems, in dem alle Versicherten unabhängig von der Höhe ihres Einkommens gleichermaßen gut versorgt sein sollten. Psychisch kranke Menschen können sich nicht einfach per E-Card von Psychotherapeut:innen auf Kassenkosten behandeln lassen wie bei einem Arzt bzw. einer Ärztin bei körperlichen Beschwerden. In Oberösterreich müssen sie sich über eine Clearingstelle um einen von der Krankenkasse finanzierten Platz aus einem Kontingent bemühen. Da dieses auf 1,23 Prozent der Anspruchsberechtigten (88.662 Personen österreichweit!) begrenzt ist, betragen die Wartezeiten im Regelfall mehrere Monate.
Leider ist in Oberösterreich auch ein Ausweichen auf den stationären Bereich kaum möglich, da laut Statistik Austria der Bedarf an Krankenhausbetten in psychiatrischen Abteilungen das tatsächliche Angebot bereits vor Ausbruch der Pandemie überstiegen hat. Dieser permanente Überbelag hat sich durch den massiven Anstieg an Hilfesuchenden und die temporäre Verwendung von Kapazitäten für Covid-Patient:innen entsprechend verschärft. Die Wartelistenplätze sind voll, die Wartezeiten unberechenbar lang. Ein ganzheitlicher Pandemieplan, bei dem die zeitnahe Versorgung aller Patient:innen sichergestellt wird, fehlt bis heute.
Wer nicht so lange warten will oder kann und kein Geld für Wahltherapeut:innen hat, rutscht in eine Abwärtsspirale aus Depression, Suchtverhalten, familiären Problemen, Krankenstand, Arbeitsplatzverlust und oftmals Arbeitsunfähigkeit. Das verursacht neben unsäglichem Leid auch hohe volkswirtschaftliche Kosten.
Forderungen für einen gleichen Zugang zu psychischer Gesundheit
- Kein Unterschied bei der Versorgung von psychischer oder physischer Krankheit: Die medizinische Versorgung für psychisch Erkrankte muss ebenso sichergestellt sein wie bei körperlichen Beschwerden. Ein niederschwelliger, kostenfreier Zugang über die E-Card für alle Erkrankungen muss das Ziel sein. Zur Umsetzung braucht es einen massiven Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung in allen Settings. Eine bundesweite Planung über das Gesundheitsministerium unter Einbindung der Krankenkassen und Länder ist ohne weitere Zeitverzögerung anzugehen. Eine Finanzierung über Bundesmittel, beispielsweise die immer noch ausstehende Patienten-Milliarde, würde sich anbieten.
- One-Stop-Shop: Zur Erhebung des Bedarfs, Koordination der Angebote und Hilfestellung bei der Suche nach Unterstützung ist eine zentrale Anlaufstelle für Anbieter:innen und Patient:innen einzurichten.
- Jungen Menschen endlich Gehör schenken: Die junge Generation hat in den letzten Jahren besonders gelitten. Gleichzeitig wurde offensichtlich zu wenig getan, um Leistungsdruck von ihnen zu nehmen und sie bei ihrer Ausbildung zu unterstützen. Mehr Verständnis für ihre Anliegen und mehr psychosoziale Unterstützung vor Ort mit mehr Coaches und Betreuungslehrer:innen könnten schon viel bewirken. Eine Finanzierung nach dem AK-Chancenindex würde eine bedürfnisorientierte Förderung bewirken.
- Lehrlinge aktiv fördern: Besonders viel haben die Lehrlinge mitgemacht – neben den schulischen Herausforderungen wie Homeschooling mussten sie auch noch schauen, wie sie unter Corona-Bedingungen in den Betrieben zurechtkommen. Daher sollten sie bei der Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfungen durch Buddies in den Betrieben verstärkt unterstützt werden.
- Ein stärkerer Sozialstaat nutzt allen: Die finanzielle Absicherung von Menschen in schwierigen Lebenslagen wirkt präventiv gegen psychische Erkrankungen und weitere daraus entstehende Problemlagen. Daher sind eine Anhebung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf 70 Prozent sowie wirksame Maßnahmen gegen die Teuerung auf Bundesebene dringend angezeigt.
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