Im Zuge der Budgetplanung bis 2017 wurde von der Bundesregierung erstmalig eine langfristige Budgetprognose vorgelegt. Trotz aufwendiger Aufbereitung bleibt die Aussagekraft gering und die politische Debatte verzerrt: Obwohl ohne weitere Maßnahmen sowohl die Ausgaben- als auch die Staatsschuldenquote langfristig bereits relativ stabil wären, wird ein weiterer Handlungsbedarf abgeleitet. Dieser wird jedoch weder bei der Beschäftigungsentwicklung – der zentralen Bestimmungsgröße für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben – noch bei der Höhe der öffentlichen Einnahmen ausgemacht, sondern in erster Linie bei weiteren Ausgabenkürzungen.
Begründet wird diese Politikempfehlung mit den prognostizierten steigenden öffentlichen Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege, die in den nächsten 30 Jahren von derzeit etwa 22 auf 27 % des BIP steigen sollen. Ausgespart bleibt jedoch weitgehend, dass gleichzeitig die anderen Ausgaben etwa im gleichen Ausmaß zurückgehen: Die öffentlichen Aufwendungen insgesamt werden der Prognose nach das aktuelle – nicht zuletzt durch die mittelfristige Wirkung der beiden letzten Konsolidierungspakete gegenüber 2009/2010 bereits niedrigere – Niveau von knapp über 51 % des BIP nicht übersteigen.
Politische Schlussfolgerungen ohne Analyse
Damit wird deutlich, was der Kern der Debatte über die langfristige Entwicklung der Staatsfinanzen ist: eine durch scheinbare Sachzwänge legitimierte Umverteilungsdebatte. Die Bundesregierung beabsichtigt jedoch nicht einen höheren Beitrag besonders wohlhabender Haushalte, sondern weniger öffentliche Leistungen für Alte und Kranke. Angedeutet wird, dass Private dafür durch „angemessene betriebliche und private Vorsorge in Ergänzung zu den öffentlichen Systemen“ mehr zahlen sollen – was sich aber nicht alle leisten werden können.
Nur sehr bedingt gedeckt sind diese langfristigen politischen Ableitungen durch den weitgehend einwandfreien Analyseteil, der sich wesentlich auf eine ausführlichere Studie des WIFO stützt. Angesichts der – frei nach Karl Valentin – besonderen Schwierigkeiten von langfristigen Prognosen, insbesondere wenn sie die ferne Zukunft betreffen, ist eine sachliche Debatte nur schwer möglich. Obwohl nur wenige Szenarien mit geringen Unterschieden in den Annahmen erstellt wurden, ergibt sich für die zukünftige Entwicklung bereits eine Bandbreite von kontinuierlich sinkender bis ab 2025 langfristig nicht nachhaltiger wachsender Staatsverschuldung. Dementsprechend variabel bzw. schwierig sind Handlungsableitungen. Die Empfehlungen scheinen deshalb auch eher von der aktuellen Politik denn der langfristigen Prognose getrieben zu sein. Umso mehr ist es bedauerlich, dass gerade die Auswirkungen der aktuellen mittelfristigen Budgetstrategie (sowie möglicher Alternativen) auf die langfristige Entwicklung nicht systematisch dargestellt wird.
Verbesserungspotential der Langfristprognose
Will man die Relevanz der Langfristprognose für die politische Praxis steigern, so müsste noch klarer herausgearbeitet werden, was die zentralen Steuerungsgrößen sind. Das ist nämlich weniger die demographische Entwicklung, sondern mehr das Beschäftigungsniveau: Höhere Beschäftigung bedeutet u.a. geringere Ausgaben für Arbeitslosigkeit und – aufgrund höherer Sozialbeiträge – einen geringeren Zuschussbedarf zum Pensionssystem (ausführlicher in AK Wirtschaftspolitik – Standpunkt 01/2013, S. 10-13). Im WIFO-Bericht ist die sich daraus ableitende Handlungsoptionen skizziert: „Budgetschonende wachstumsstimulierende und beschäftigungsfördernde Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten. Die Beschäftigung kann durch Senkung der Arbeitslosigkeit, Ausdehnung der Erwerbsbeteiligung – insbesondere von Frauen und älteren Arbeitnehmern – sowie durch vermehrten Zuzug und bessere Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt erhöht werden.“ Statt scheinbaren demographischen Sachzwängen rückt so der politische Gestaltungsspielraum in den Mittelpunkt. Besonders hinsichtlich der Frauenbeschäftigung ist diese Leerstelle überraschend, ist doch die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern eigentlich eines der wichtigsten Elemente des neuen Haushaltsrechts.
Zweitens müssten die unterschiedlichen Annahmen genauer beleuchtet werden. Zu verbessern ist sowohl die qualitative Analyse als auch der Vergleich mit der tatsächlichen historischen Entwicklung. Eine wichtige Information wäre beispielsweise, ob die gleichen Schätzmethoden in den 1970ern die tatsächliche Situation 2010 gut prognostiziert hätten. Diesbezüglich erscheint etwa die angenommene über die Jahrzehnte sinkende Zahl an Erwerbspersonen wenig plausibel, wenn gleichzeitig im Süden und Osten Europas mit noch länger anhaltender Massenarbeitslosigkeit – und damit Auswanderungsdruck – gerechnet wird und bereits historisch massive demographische Prognosefehler auftraten (Mitte der 1970er ging man bis 2010 von einer Schrumpfung der Bevölkerung auf 6,8 Mio aus statt dem tatsächlich erfolgten Zuwachs auf 8,4 Mio).
Allgemein haben langfristige Prognosen basierend auf vergangenen Durchschnittswerten das Problem, dass sie tatsächliche Entwicklung gerade nicht wiedergeben. Auch in Zukunft wird es in den Zeitreihen kurz- und mittelfristige Ausschläge nach oben und unten geben, die ohne kurzfristige Eingriffen zu einem dauerhaft anderen Pfad führen würden. Nach wie vor gilt, dass die Zukunft in beträchtlichem Maß gestaltbar ist. Diese Kritik findet sich bereits bei Keynes, der sich in seinem berühmten Zitat „in the long run we are all dead“ eigentlich auf WissenschafterInnen bezog, die sich selbst eine zu leichte und nutzlose Aufgabe setzen würden „if in tempestuous seasons they can only tell us that when the storm is long past the ocean is flat again“ und kritisierte: “this long run is a misleading guide to current affairs”.
Wenn schon langfristige Projektionen angestellt werden, so sollten zB ähnlich wie in Neuseeland zumindest die zugrundeliegenden Datenreihen dargestellt bzw. für die Berechnung alternativer Annahmen zur Verfügung gestellt werden. Auch die Veröffentlichung des gesamten Modells würde die wissenschaftliche Überprüfbarkeit und damit auch die Transparenz deutlich erhöhen. Zudem wäre der oftmals bereits in den vergangenen Jahrzehnten diskontinuierlichen Verlauf der einzelnen Größen ersichtlich.
Ein weiteres Problem langfristiger Durchschnitte sind Trendbrüche. So fehlen in der Prognose Szenarien zu den finanziellen Effekten des Klimawandels, obwohl erhebliche Kostensteigerungen wissenschaftlich fundiert sind (wenn auch im unklaren Ausmaß). Weiters wird unterstelltet, dass die Zinssätze weiterhin über den Wachstumsraten liegen werden, wie das vor allem in der Hochzinsphase ab den 1980ern der Fall war. Gleichzeitig deuten aber nicht zuletzt die langfristigen Marktzinssätze darauf hin, dass die Finanzkrise einen Bruch markierte und wir vor einer langen Niedrigzinsphase stehen.
Budgetpolitische Grundsatzentscheidungen transparent machen
Die Langfristprognose würde an Wert gewinnen, wenn die budgetpolitische Handlungsoptionen transparent dargestellt statt vorweggenommen würden. Anstatt einfach Kürzungen in all jenen Ausgabenbereichen vorzuschlagen, die eine höhere Ausgabendynamik aufweisen, wäre zuerst zu klären, ob sich eine reichere Gesellschaft nicht auch zB eine bessere Gesundheits- und Pflegeversorgung etwas kosten lassen will. Zudem stellen Ausgaben für Gesundheit und Pflege auch Investitionen dar, die die Lebenserwartung verlängern und den Gesundheitszustand verbessern – und obendrein Beschäftigung schaffen.
Es ist Aufgabe der Politik bzw. der Bevölkerung zu entscheiden, ob sie bei Gesundheit und Pensionen sparen, das Leistungsniveau sichern bzw. ausbauen (bspw. durch höhere Beiträge besonders wohlhabender Haushalte) oder die Staatsverschuldung weniger rasch abbauen will. Hier lediglich auf hohe Staatsquoten sowie die Schuldenbremse zu verweisen, die eine Rückführung der Staatsverschuldung von derzeit über 73 auf langfristig rund 14 % des BIP als Priorität festschreibt, ist kurzsichtig und sowohl aus ökonomischer als auch gesellschaftspolitischer Sicht verfehlt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Konsequenzen solcher Maßnahmen in der Prognose selbst ausgespart bleiben.