Wundermittel „kapitalgedeckte“ Pensionen? Die kreative Infragestellung der Logik

09. April 2025

In den letzten Monaten wurden nun einige Publikationen in Stellung gebracht, die vorgeben zu zeigen, dass die Gesellschaft die Alterung besser bewältigen könne, wenn man die Rolle „kapitalgedeckter“ Pensionssäulen stärken würde. Bei der Lektüre dieser „Studien“ kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Kapitalgedeckte Pensionen haben demnach nur positive Effekte: Sie erhöhen angeblich die Pensionen, reduzieren die Armut und Ungleichheit, sie fördern die Beschäftigung, die Investitionen, die Innovation, die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum. Und weil das alles noch nicht genug ist, ermöglichen sie das schier Unmögliche: Wenn man auf kapitalgedeckte Pensionen setzt, könne man den Menschen höhere Pensionen zahlen und gleichzeitig das System gesamtgesellschaftlich günstiger machen. Also auch Grundgesetze der Mathematik gehen vor dem Wundermittel der Kapitaldeckung in die Knie. Wenn dem so wäre, fragt man sich: Warum hat man dann das Offensichtliche noch nicht gemacht?

Bei Studien im Auftrag von Finanzinstitutionen ist Skepsis angebracht

Bei den zuletzt medial verbreiteten Studien hielt sich die angebrachte Skepsis in Grenzen, obwohl es Finanzinstitutionen waren, die die Studien beauftragt und finanziert haben und das Ergebnisinteresse offensichtlich war. Seitens Finanzinstitutionen wurden folgende Studien beauftragt:

WIFO: „Der Einfluss einer breiten Nutzung von Betriebspensionen auf die Pensionshöhe“
Im Auftrag des Fachverbands Pensions- und Vorsorgekassen der WKO. Hier von Erik Türk und mir auf diesem Blog kritisiert.

Economica 2023: „Vorsorge für einen angemessenen Lebensstandard im Ruhestand“
Studie im Auftrag des Fachverbands Pensions- und Vorsorgekassen der WKO

Eco Austria 2024: „Pension systems in Europe: challenges and best practices”
Im Auftrag von Erste Foundation und Vienna Insurance Group

Die Studien von Economica und Eco Austria arbeiten teils mit Behauptungen und mitunter wenig mit nachvollziehbaren Argumentationen! Hier gibt es bei den Aussagen durchaus Parallelen, wie die folgenden Zitate zeigen:

Pensionssysteme, die auch stärker auf kapitalgedeckte Pensionselemente setzen, (leisten) ein gleiches oder zum Teil sogar höheres Einkommensniveau, dies aber zu niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Kosten.

Dieselbe Geschichte erzählte auch Vienna Insurance Group-CEO Hartwig Löger anlässlich der PR-Arbeit um die von seinem Institut mitbeauftragte Eco-Austria-Publikation im „Kurier“:

„Daher sehen wir es als legitim, darüber zu diskutieren, Möglichkeiten für höhere Pensionen zu prüfen und gleichzeitig das System volkswirtschaftlich deutlich günstiger zu gestalten.“

Dass geringere Gesamtausgaben als in Österreich mit vergleichbaren Pensionshöhen in Einklang gebracht werden, zeigt Wolfgang Panhölzl hier. Das liegt aber nicht an der Kapitaldeckung, sondern simpel daran, dass in den Vergleichsländern das Pensionsantrittsalter auf zwischen 70 und 74 Jahre angehoben wird. Wenn man erst viel später in Pension gehen kann und dadurch weniger Menschen in Pension sind, ist das System natürlich günstiger, bietet den Betroffenen aber nur für einen kürzeren Zeitraum Leistungen. Demgegenüber wird aber suggeriert, mit Einbeziehung kapitalgedeckter Pensionen können bessere Leistungen günstiger erbracht werden.

Ideologie, nicht Fakten prägen die Erzählung der Kapitalmarktfans

Economica argumentiert so: „Länder mit deutlich höheren Pensionseinkünften aus betrieblichen sowie privaten Pensionsvorsorgen sind damit für die demografischen Herausforderungen wesentlich besser vorbereitet. Im renommierten Mercer Global Pension Index liegt Österreich 2022 nur auf dem 33. Platz unter 44 Staaten, während Island, Niederlande und Dänemark die Top-3-Positionen innehaben.“ Hier erfolgt also der vermeintliche Beweis durch einen Verweis auf einen Index, der von Vornherein so strukturiert ist, dass ein öffentliches Pensionssystem schlecht und ein privates gut bewertet wird. Dieses untaugliche Konstrukt haben Erik Türk und ich hier und hier analysiert.

In der Studie wird darauf verwiesen, dass Länder mit mehr privaten Pensionen oft geringere öffentliche Pensionen haben. Das ist zwar für die Finanzindustrie erfreulich, aber weder überraschend noch macht es das System volkswirtschaftlich günstiger. Gesellschaftlich muss man die Gesamtkosten, also öffentliche und private betrachten, wie das etwa bei den internationalen Vergleichen der Gesundheitsausgaben üblich ist.

Die Eco-Austria-Publikation aus dem Jahr 2024 „Pension systems in Europe: challenges and best practices“ ist mit über 300 Seiten umfangreich angelegt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass damit vorgegeben werden soll, was für ein enormes Ausmaß an Recherchetätigkeit hinter den Aussagen steht. Aber auch hier wurde die Methodik und Darstellung so gewählt, dass gar kein anderes Ergebnis herauskommen konnte. Wie „unideologisch“ die Studienautoren der von der Erste Foundation und der Vienna Insurance Group finanzierten Studie an die Sache gingen, merkt man bereits rasch an den Zwischenüberschriften der Einleitung:

  • Umlagesysteme treiben öffentliche Verschuldung und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit
  • Kapitalgedeckte Pensionsfonds treiben Innovation und Produktivität und gesamtwirtschaftliche Entwicklung

Dieser „unideologische“ Zugang beruht also auf Annahmen und nicht auf empirisch überprüfbaren Fakten. Die Aussage, dass Länder mit kapitalgedeckten Pensionssystemen wirtschaftlich besser performen würden, beruht auf der Behauptung, dass der Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge ein Motor für Innovation und Produktivität sei (S. 15).

„Die makroökonomische Simulationsanalyse zeigt, dass die Ausweitung der kapitalgedeckten Altersversorgung positive makroökonomische Effekte hat. Das Angebot an finanziellen Vermögenswerten steigert die nationalen Investitionen und in der Folge die Arbeitsnachfrage, das Arbeitseinkommen und das BIP.“

Größe des Pensionsfonds hat keine positive Wirkung für Investitionen

Die Simulationsanalyse von Eco Austria mag das zeigen, die Realität zeigt das nicht. Die Argumentation beruht auf der Annahme, dass reale Investitionen gesteigert werden können, wenn Pensionsfonds über mehr Mittel verfügen. Das zeugt von einer beachtenswerten Unkenntnis über die Veranlagungspolitik von Pensionsfonds und die Bestimmungsgrößen der Investitionen.

Die Höhe der Investitionen hängt vor allem davon ab, ob die Unternehmen mit steigenden Absätzen rechnen und ob diese Erträge erwarten lassen, die über den Finanzierungskosten liegen. Dass Pensionsfonds für die Finanzierung notwendig sind, ist angesichts der ausgeprägten Finanzmärkte eine realitätsferne Annahme. Die private Geldschöpfung des Bankensektors macht es nicht erforderlich, dass Menschen für die Pension sparen und Pensionsfonds diese Mittel Unternehmen zur Verfügung stellen. Das passiert auch kaum. Pensionsfonds veranlagen ihre Mittel überwiegend in bereits bestehende Aktien oder Wertpapiere. Das führt zu keinem Mittelzufluss in Unternehmen. Und: Österreichische Pensionskassen veranlagen de facto nicht in Österreich.

Der aktuelle Bericht der FMA 2024 zur Lage der österreichischen Pensionskassen analysiert die Veranlagungspolitik der Pensionskassen: „Im Durchschnitt investieren die PK weniger als 2% des Gesamtvermögens in österreichische Aktien und weniger als 5% in österreichische Unternehmens- bzw. Staatsanleihen. Der Home Bias gemessen am Anteil österreichischer Aktien und Anleihen am Pensionskassen-Vermögen insgesamt beträgt weniger als 3%.“

Wenn mehr Geld in österreichische Pensionskassen investiert werden würde, würde daher mehr Geld an den internationalen Finanzmärkten veranlagt werden. Die österreichischen Investitionen wären davon also nahezu gar nicht tangiert. Diese Tatsache zu ignorieren, wie es Eco Austria macht, und zu unterstellen, dass mehr Geld an österreichische Pensionskassen mehr Investitionen in österreichische Unternehmen bedeuten würde, zeugt von Ignoranz und blanker Unkenntnis über den Untersuchungsgegenstand der eigenen Studie.

Österreich bei Kapitalstock im Spitzenfeld - trotz kleiner Pensionsfonds

Wenn es einen positiven Zusammenhang zwischen dem Realkapitalstock einer Wirtschaft und dem Finanzvermögen der Pensionsfonds geben würde, müsste man das in Statistiken bemerken. Betrachten wir die beiden Größen für Österreich.

Österreich liegt, was das von Pensionsfonds verwaltete Vermögen betrifft, am unteren Ende der OECD-Länder. Das ist darauf zurückzuführen, dass das österreichische Alterssicherungssystem auf das stabile Umlagesystem aufbaut, um die Alterssicherung nicht Finanzmarktrisiken auszusetzen. Gäbe es einen Zusammenhang zum Realkapitalstock, müsste Österreich ein Land sein, das einen der niedrigsten Sachkapitalstöcke hat.

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Betrachten wir nun den Kapitalstock je beschäftigter Person, bewertet zu Kaufkraftparitäten, um es international vergleichbar zu machen. Hier liegt Österreich ganz vorne und weit vor vielen Ländern, in denen es Pensionsfonds gibt, die enorm hohe Vermögenswerte veranlagen.

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Auch wenn Österreich bei den Volumina der in Pensionsfonds veranlagten Mittel (Finanzkapital) weit unterdurchschnittlich liegt, liegt der Realkapitalstock pro Kopf im Spitzenfeld und etwa weit vor den Niederlanden, deren Pensionsfonds über enorme Vermögenswerte verfügen. Es ist offenkundig, dass die Frage, wie viel Mrd. Euro in Pensionsfonds verwaltet werden, dafür irrelevant ist. Der hohe Kapitalstock liegt an vielen Faktoren wie politischer und rechtlicher Stabilität, stabilen industriellen Beziehungen, gut ausgebildeten Arbeitnehmer:innen usw. Für die Investitionsfinanzierung steht ein ausgebauter Finanzsektor zur Verfügung.

Mehr Sachkapital sorgt für Produktivität - mehr Finanzvermögen für Aufblähung

Im Zusammenhang mit der Diskussion um vermeintlich „kapitalgedeckte“ Pensionssäulen ist es wesentlich, zwischen Sachkapital und Finanzvermögen zu unterscheiden.

Eine vermehrte Sachkapitalbildung hilft der Gesellschaft tatsächlich, die „Kosten der Alterung“ besser tragen zu können, weil sie sich positiv auf die künftige Wertschöpfung auswirkt. Ein höherer Sachkapitalstock ermöglicht eine höhere Arbeitsproduktivität, d. h. je Erwerbstätigem können mehr Güter bzw. Dienstleistungen hergestellt werden und dadurch kann der Gesellschaft ein größeres reales Volumen an Gütern und Leistungen zur Verfügung gestellt werden, das zwischen den Generationen verteilt werden kann. Zusätzliche Investitionen in Sachkapital sind allerdings etwas gänzlich anderes als die Anhäufung von Finanzvermögen in Pensionsfonds.

Die Zunahme des Finanzvermögens bewirkt allenfalls eine Aufblähung der finanziellen Bewertung von Sachkapital, ohne jedoch dieses selbst auszuweiten. Eine Aufblähung von Aktien- bzw. Wertpapierkursen macht weder Pensionen finanzierbarer noch die Wirtschaft produktiver.

Tatsächlich kann forciertes Vorsorgesparen für eine Ausweitung des Sachkapitals sogar hinderlich sein, denn die Realinvestitionen hängen vor allem von der Höhe der effektiven Nachfrage ab, die durch forciertes Sparen gedämpft wird. Zusätzliches Sparen des Haushaltssektors bedeutet eine Einschränkung der Ausgaben und damit einen Einnahmenentfall für die Unternehmen. Die naheliegende Reaktion des Unternehmenssektors wäre wohl eher eine Einschränkung der Investitionen als deren verschuldungsfinanzierte Ausweitung.

Dass Pensionsfonds zu höherem Wachstum führen, ist deswegen unplausibel, weil sie nicht stark neue Investitionsprojekte finanzieren, sondern vor allem bereits bestehende Aktien oder Wertpapiere kaufen. Pensionsfondsveranlagungen erhöhen nicht die reale Investitionsquote, denn die meisten ausgegebenen Staatsanleihen dienen der Refinanzierung auslaufender Anleihen und nicht unbedingt neuer Anleihen, die neue Investitionen finanzieren könnten. Dasselbe gilt für den Kauf von bestehenden Aktien, die die Finanzierung von Neuemissionen bei Weitem übertrifft.

Finanzmärkte generieren keine Erträge - sie verteilen sie nur

Finanzmärkte sind Handelsplätze, auf denen erwirtschaftetes Einkommen (um)verteilt wird, und keine Institutionen, auf denen Erträge erwirtschaftet werden. Hier werden Finanzströme zwischen Schuldnern und Gläubigern bzw. zwischen Realwirtschaft und Finanzsektor verteilt. Einkommen entstehen dabei nur bei den Finanzintermediären selbst, und zwar auf Kosten der Veranlagenden und der Schuldner.


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Ein Blick in die österreichische Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen zeigt, dass die von den privaten Haushalten empfangenen Vermögenseinkommen im Saldo nahezu gleich hoch sind wie die von den (nichtfinanziellen) Unternehmen gezahlten Vermögenseinkommen. Der Zufluss von Vermögenseinkommen an Haushalte entspricht also weitgehend dem Abfluss von Vermögenszahlungen der Unternehmen. Diese Einkommen werden in Unternehmen erwirtschaftet und über die Finanzmärkte an die Haushalte bezahlt.

Pensionist:innen sollen profitieren, nicht Fondsmanager

Auch in finanzmarktabhängigen Systemen kann nur verteilt werden, was erwirtschaftet wurde. Alterssicherungssysteme haben alle dieselbe Funktion: die Pensionist:innen mit einem Geldeinkommen auszustatten. Der Aufrechterhaltung der Konsummöglichkeiten der nicht mehr erwerbstätigen Generationen muss ein entsprechender Konsumverzicht der jeweils „aktiven“ Generationen gegenüberstehen. Die Anhäufung von Vermögenswerten während der Erwerbsphase stellt den Versuch dar, sich einen Anspruch auf einen Teil der zukünftigen Wertschöpfung zu sichern.

In finanzmarktabhängigen Systemen ist diese Funktion sehr teuer organisiert. Dierk Bezemer hat in einer Studie analysiert, wie hoch die Kosten sind, die in den Niederlanden an die Pensionsfonds für Verwaltung und Veranlagung gezahlt werden: Es waren 2020 9,8 Mrd. Euro – eine unvorstellbar hohe Summe. Dies entspricht 29 Prozent der von den Pensionsfonds ausgezahlten Renten. Zum Vergleich: In Österreich liegt der Verwaltungsaufwand der gesetzlichen Pensionsversicherungsträger 2023 bei 1,3 Prozent der Ausgaben.

Im Umlageverfahren wird die Kernaufgabe eines Pensionssystems, die Pensionist:innen mit einem Einkommen abzusichern, also mit einem viel geringeren Verwaltungsaufwand erzielt als in finanzmarktabhängigen Systemen. Das öffentliche System ist viel effizienter. Die oben angeführten Studien sind daher keine wertvollen Beiträge zur Versachlichung der Diskussion, sondern unsachliche PR-Publikationen, die ein funktionierendes System zurückdrängen wollen, um sich einen Markt aufzubauen, bei dem die Funktion des Pensionssystems für die Gesellschaft teurer und für die Finanzwirtschaft lukrativer wird.

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