Die vom Beratungsunternehmen MERCER publizierte Pensions-Studie will zeigen, „dass die künftige Finanzierung der Pensionen fast nirgendwo so wackelig ist wie hierzulande.“ Tatsächlich kann diese in Zusammenarbeit mit Agenda Austria erstellte Publikation keine Aussagen über die Qualität eines Pensionssystems liefern. Indikatoren zur wichtigsten Säule – den öffentlichen Pensionen – spielen nur eine völlig untergeordnete Rolle, zentrale Annahmen sind unplausibel und viele wichtige Qualitätsmerkmale werden gar nicht erfasst.
Themenverfehlung
Ehrlicherweise sollte MERCER die Publikation als das präsentieren was sie ist: bestenfalls eine Bewertung von privaten Pensionssystemen anhand von vielen Indikatoren, bei dem das öffentliche Pensionssystem lediglich am Rande vorkommt. Für ein Beratungsunternehmen zu betrieblicher Altersvorsorge ist das auch das interessantere Thema. Für Aussagen über die Qualität des öffentlichen Pensionssystems kann diese Studie aber keinesfalls herangezogen werden, weil sich von insgesamt über 30 Indikatoren nur 3 dem öffentlichen Pensionssystem widmen.[1]
Schlussfolgerungen im Interesse des Herausgebers
Die zentrale Schlussfolgerung von Mercer Österreich Geschäftsführer Papousek aus der eigenen Studie ist auch wenig überraschend, dass die betriebliche Altersvorsorge dringend stärker gefördert werden müsse. Dies liegt auch ganz im Interesse eines Anbieters von diesbezüglichen Beratungsdienstleistungen.
Wie kommt nun aber der schlechte Wert für Österreich zustande? Das liegt u.a. darin, dass für MERCER ein Pensionssystem dann nachhaltig ist, wenn es auf der Kapitaldeckung und weit verbreiteten privaten Pensionen beruht und nicht nachhaltig, wenn es im Umlageverfahren finanziert wird. Die Studie behauptet, die Altersversorgungssysteme im Hinblick auf drei Fragenstellungen zu analysieren: Angemessenheit der Pensionen, künftige Finanzierbarkeit und Vertrauenswürdigkeit der privaten Pensionsvorsorge. Zu den drei Themenbereichen Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Integrität werden aus vielen Indikatoren 3 Indizes gebildet, die zu einem Gesamtindex zusammengesetzt werden.
Dimension Angemessenheit: Wie man zentrale Fragen ignoriert.
Die Indikatorenreihe zur Angemessenheit des Pensionssystems sollte ehrlicherweise „Angemessenheit von privaten und betrieblichen Pensionen“ bezeichnet werden, da sich nur 2 von 11 Fragen auf das öffentliche Pensionssystem beziehen. Da dieses aber in nahezu allen Ländern die wichtigste Rolle in der Alterssicherung spielt, ist das eine seltsame Indexkonstruktion.
Es wurden folgende Merkmale erhoben: Höhe der Mindestpension in Relation zum Durchschnittslohn, Höhe der Nettoersatzrate für MedianverdienerIn, Höhe der Sparquote eines Haushalts, steuerliche Förderung freiwilliger Arbeitnehmerbeiträge in kapitalgedeckten Systemen, Mindestalter in privaten Pensionssystemen, Erfordernis einen Teil eines privaten Pensionsanspruchs als laufende Rente zu beziehen und nicht als Einmalzahlung, Möglichkeit bei Arbeitgeberwechsel in privaten Pensionssystemen die ganzen Ansprüche übertragen zu lassen, Aufteilung der Pensionsansprüche im Fall einer Scheidung, Verbreitung von Wohneigentum, Anteil des Pensionsvermögens, der in Wachstumswerte investiert wird, Erfordernis der Beitragszahlung in kapitalgedeckten Systemen bei Karenzurlaub oder Krankheit.
Es fehlen in dem Angemessenheitsindex etwa solche wichtigen Fragen wie: Welcher Anteil der Beschäftigten hat eine soziale Altersabsicherung und erreicht einen Pensionsanspruch? Wie hoch ist der Anteil von Menschen über 65 Jahren, die von Altersarmut betroffen sind? Wie gut ist soziale Altersabsicherung für Zeiten bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Kindererziehungszeiten? Das wird zwar bei Betriebspensionen abgefragt, nicht jedoch bei den öffentlichen Pensionen, obwohl diese die stärkste und am weitesten verbreitete Säule der Alterssicherung darstellen. Diese seltsame Indexbildung führt dann dazu, dass etwa Deutschland bei der Angemessenheit der Pensionen mit einem Wert von 75,8 Punkten weit vor Österreich mit 67,5 Punkten rangiert. Das ist angesichts des weitaus schlechteren Leistungsniveaus der öffentlichen Rentenversicherung in Deutschland ein seltsames Ergebnis. So liegt laut OECD die Bruttoersatzrate, wenn man 45 Jahre das Durchschnittseinkommen verdient, in Österreich bei 76,6% und in Deutschland nur bei 42%. Die völlig untergeordnete Rolle von angemessenen öffentlichen Pensionen im Angemessenheitsindex bringt solche absurden Resultate. Die Bewertungen der Indizes sind aber an sich zu hinterfragen. So wird etwa die Sparquote erhoben. Je höher diese ist, desto angemessener wird das Pensionssystem gewertet. Die Sparquote wird dabei nicht in Relation zu den Nettoersatzraten aus dem Pensionssystem in Beziehung gesetzt. Das heißt, dass eine möglichst hohe Sparquote immer und unter allen Umständen als sinnvoll erachtet wird, unabhängig davon, ob das Pensionssystem lebensstandard- bzw.- existenzsichernde Leistungen erbringt, oder nicht. Das ist ökonomisch keine sinnvolle Herangehensweise. Ein weiteres erfragtes Merkmal ist Verbreitung von Wohneigentum. Auch dies lässt sich nur vor dem Hintergrund des Mietenniveaus und der Frage, ob man die Mieten von der Pension zahlen kann oder nicht sinnvoll beantworten.
Dimension Nachhaltigkeit: Wie man riskante Systeme schönrechnet.
Der Nachhaltigkeitssubindex soll die langfristige Finanzierbarkeit des bestehenden Pensionssystems abbilden. Hier bilden Österreich und Italien in den Studienergebnissen das Schlusslicht.
Der Index wird auf Basis folgender Fragen konstruiert:
Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter die in private Pensionssysteme einbezogen ist, Höhe der veranlagten Mittel von kapitalgedeckten Pensionsvolumina (private Pensionen, öffentliche Reservefonds, Rückstellungen) in Relation zum BIP. Höhe der Differenz zwischen der Lebenserwartung bei Geburt und dem gesetzlichen Pensionsalter jetzt und 2035, Entwicklung der Altenbelastungsquote (Anteil der über 65 Jährigen zur Bevölkerung im Erwerbsalter) und der Fertilität, Anteil an den Löhnen der als Pflichtbeitrag in kapitalgedeckte Systeme fließt, Arbeitsmarktbeteiligung der 55 – 64 Jährigen, Anteil der öffentlichen Schulden (abzgl. allfälliger Reservefonds) in Relation zum BIP, gleitender Übergang in die Pension in privaten Pensionssystemen.
Dass Österreich im Nachhaltigkeitssubindex schlecht rangiert, ist keineswegs überraschend, da dieser so konstruiert ist, dass Pensionssysteme automatisch umso nachhaltiger sind, je höher der Anteil und das Ausmaß der Kapitaldeckung ausfällt. Hier zählt Österreich – mit einem starken umlagefinanzierten System und einem veranlagten Volumina von unter 10% naturgemäß zu den Schlusslichtern. Es ist aber ein Trugschluss zu glauben, dass das Pensionssystem umso sicherer ist, je mehr Geld auf Kapitalmärkten veranlagt wird. Für die künftige Finanzierbarkeit des Pensionssystems kommt es nicht darauf an, ob man Pensionen aus Umlage- oder kapitalgedeckten Systemen erhält, sondern ob man heute die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass künftig eine hohe Erwerbsbeteiligung und Wertschöpfung pro Kopf erzielt werden, um die Umverteilung von Erwerbstätigen zu PensionistInnen, auf der jedes Pensionssystem basiert, ermöglichen zu können. Die Frage der generellen Erwerbsbeteiligung, der Entwicklung der Wertschöpfung je Kopf und des Bildungssystems sind dafür zentrale Faktoren, die aber allesamt nicht erhoben werden. Zu glauben, dass ein Pensionssystem volkswirtschaftlich nachhaltiger sei, wenn die Pensionen aus kapitalgedeckten Pensionsplänen kommen als wenn sie aus umlagefinanzierten Pensionssystemen stammen, ist gelinde gesagt seltsam. Niemand würde auf die Idee kommen, zu behaupten, dass das US-amerikanische Gesundheitssystem, das bei den Pro Kopf Gesundheitsausgaben beim 2,5 fachen des OECD Schnitts liegt, nachhaltiger sei, weil die Ausgaben überwiegend privat getragen werden und private Versicherungen dafür kapitalgedeckte Rückstellungen bilden müssen. Gerade die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass kapitalgedeckte Pensionssysteme in erheblichem Umfang krisenanfällig und prozyklisch sind und damit im Gegensatz zu umlagefinanzierten Systemen automatische Destabilisatoren darstellen können.
Die Tatsache, dass in einem Umlagesystem die Beiträge nicht veranlagt werden, impliziert übrigens keineswegs, dass sich die Finanzierung auf die Lohnsumme beschränken muss. Denn neben den Arbeitseinkommen können auch andere Einkommensquellen besteuert werden, etwa indem Kapitaleinkommen besteuert werden. Dafür muss man nicht selbst Kapital veranlagen.
Letztlich müssen auch Finanzwerte durch die reale Wertschöpfung „gedeckt“ sein, sonst erweist sich die „Kapitaldeckung“ von Pensionsansprüchen als höchst fiktive Deckung. PensionistInnen benötigen in der Pensionsphase einen möglichst stetigen – die Kaufkraft erhaltenden – Einkommensstrom, es nützen ihnen keine zeitweilig hoch bewerteten Wertpapiere. Besonders bizarr ist es, wenn ignoriert wird, dass die „Kapitaldeckung“ zu einem erheblichen Anteil auf Staatsanleihen beruht. Diese hängen aber hinsichtlich ihrer Finanzierbarkeit von denselben Faktoren ab, wie umlagefinanzierte Pensionen: Sie sind nicht durch irgendein Kapital gedeckt, sondern durch die Fähigkeit des emittierenden Staat Steuern einzuheben und sich zu refinanzieren. Auch bei diesem Subindex ist es unverständlich, dass die Frage der Möglichkeit eines gleitenden Übergangs in die Pension nur in Bezug auf private, nicht jedoch auf die öffentlichen Pensionssysteme gestellt wird.
Dimension Integrität: Das Umlagesystem bleibt außen vor.
Der Dritte Subindex widmet sich nur privaten Systemen hinsichtlich Governance, Aufsicht, Risikomanagement und Kostenstrukturen. Die Fragestellungen sind plausibel und geeignet, die Qualität eines privaten Pensionssystems zu erfassen, beschränken sich aber auf dieses.
Fazit: Tendenziös & unseriös.
Die vorliegende Pensionsstudie von MERCER und Agenda Austria ist völlig ungeeignet die Qualität eines Pensionssystems zu bewerten, dessen wichtigste Säule, die öffentlichen Pensionen sind. Das gewählte Indikatorenset ist (bewusst?) tendenziös und bevorzugt kapitalgedeckte Systeme, manche Annahmen sind unplausibel und viele wichtige Qualitätsmerkmale von Pensionssystemen werden gar nicht erfasst. Auf Grundlage dieser Studie zu behaupten, dass „die künftige Finanzierung der Pensionen fast nirgendwo so wackelig ist wie hierzulande“ ist schlicht unseriös.
[1] Mindestpension in Relation zum Durchschnittslohn und deren Valorisierung, Nettoersatzrate für den/die MedianverdienerIn, Differenz zwischen der Lebenserwartung bei Geburt und dem gesetzlichen Pensionsalter aktuell und 2035.