Just Transition am Mietwohnungsmarkt

21. August 2023


Die konsequente Dekarbonisierung des Gebäudebestands in Österreich ist nicht nur eine planerische, sondern auch eine sozialpolitische Herkulesaufgabe. Daher braucht es eine Just Transition am Wohnungsmarkt dringender denn je: Das bedeutet, den Gebäudebestand schnellstmöglich zu dekarbonisieren, ohne dabei Mieter:innen zusätzlich zu belasten. Um dies zu erreichen, muss die Devise beim Wohnen sein: Mehr öffentlich, weniger privat. Gerade für energiearme und einkommensschwache Haushalte ist eine Just Transition dabei unerlässlich, da sonst die Gefahr besteht, diese Gruppe auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft auf der Strecke zu lassen.

Klimaschutz und Wohnen: zentral für die strukturelle Bekämpfung von Energiearmut

Im Wohnungswesen liegen große Stellschrauben für den Klimaschutz. Mehr als ein Viertel des österreichischen Energieverbrauchs ging im Jahr 2021 auf private Haushalte zurück und kann damit überwiegend dem Bereich Wohnen zugeordnet werden. Das ist fast so hoch wie der Energieverbrauch des gesamten Industrie- und Produktionssektors. Um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, ist eine drastische Senkung der CO2-Emissionen im Gebäudesektor alternativlos. Als zentrale Maßnahmen dafür gelten für bestehende Gebäude die Umstellung der Heizungssysteme auf erneuerbare Energien und eine Wärmedämmung der Häuser.

Thermisch-energetische Sanierungen sind aber nicht nur aus Klimaschutzperspektive zentral. Sie gelten auch als Schlüsselmaßnahme, um Energiearmut strukturell zu bekämpfen: Armutsgefährdete Menschen wohnen häufiger in Wohnungen, die schlecht isoliert sind, und besitzen ältere und ineffiziente Elektrogeräte. Diese Menschen werden von explodierenden Energiepreisen besonders hart getroffen. Solange Mietkosten im Zusammenhang mit thermisch-energetischen Sanierungen jedoch nicht verlässlich gedeckelt sind, sind sie als Antwort auf Energiearmut ambivalent. Es besteht die Gefahr, dass es durch Sanierungen zu weiteren Mieterhöhungen kommt, die nicht durch sinkende Energiekosten ausgeglichen werden können. Das kann zu einer Verdrängung der Bewohner:innen in Wohnungen führen, die energetisch in noch schlechterem Zustand sind. Damit thermisch-energetische Sanierungen also auch im Sinne der Armutsbekämpfung wirken, braucht es effektiven Mieter:innenschutz. Dieser muss sicherstellen, dass Sanierungen nicht zu einer „energetischen Gentrifizierung“ führen.

Gewinnorientierung verhindert sozial-ökologische Lösungen am privaten Mietmarkt

Den Mieter:innen ist die Durchsetzung von energiesparenden Maßnahmen gegen Vermieter:innen gesetzlich erschwert. Andererseits fehlen – wenn Eigentümer:innen die Mieten nach einer Sanierung nicht anheben dürfen – Anreize, diese aus ökologischer Sicht notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Dieses sozial-ökologische Dilemma ist vor allem ein strukturelles Problem des privaten Mietmarkts. Dort hängt die Durchführung umfassender Sanierungen im Sinne des Klimaschutzes vom guten Willen der Eigentümer:innen ab. Gemeinnützige oder kommunale Wohnungseigentümer:innen sind dagegen verpflichtet, Einnahmen durch Mieterträge zu reinvestieren, zum Beispiel in die bauliche Verbesserung des bestehenden Gebäudebestands. Das spiegelt sich auch in den Sanierungszahlen wider: Während die allgemeine Sanierungsrate in Österreich seit Jahren nicht über die 1,5-Prozent-Marke hinauskommt, wurde der Gebäudebestand, der von gemeinnützigen Bauvereinigungen errichtet wurde, nach Eigenauskunft fast vollständig thermisch saniert.

Es scheint also nicht verwunderlich, dass mehr als zwei Drittel der von Energiearmut betroffenen Haushalte in privat vermieteten Wohnungen leben. Das liegt zum einen an der geringen Sanierungsrate in diesem Segment. Zum anderen werden armutsgefährdete Gruppen oftmals auf den privaten Mietmarkt gedrängt. Dieser birgt geringere formale bzw. finanzielle Eintrittsbarrieren als Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen (siehe Grafik), bietet aber auch weniger Schutz vor prekären Mietverhältnissen. Im Altbau am privaten Mietmarkt gibt es zwar klare mietrechtliche Regelungen zur erlaubten Höhe der Miete, diese werden aber systematisch missachtet. Solange also mietrechtliche Regelungen zum Schutz der Mieter:innen nicht effektiv durchgesetzt werden, fehlen die sozialpolitischen Voraussetzungen für Klimaschutz im Mietwohnungsbestand.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Just Transition am Wohnungsmarkt

Folglich müssen die sozialen und klimapolitischen Ziele beim Wohnsektor konsequent integriert gedacht werden. Der Begriff „Just Transition“ wurde ursprünglich von US-amerikanischen Gewerkschaften geprägt. Dahinter steckt die Forderung, dass umweltpolitische Maßnahmen nicht auf Kosten von Beschäftigten umgesetzt werden dürfen. Oft wird mittlerweile auch im generellen Zusammenhang von verteilungspolitischen Konsequenzen der Dekarbonisierung auf das Konzept verwiesen. Die Dekarbonisierung von Mietwohnungen stellt nach diesem Verständnis dann eine Just Transition dar, wenn ihre Geschwindigkeit die Dringlichkeit der Bekämpfung der Klimakrise widerspiegelt und gleichzeitig Aspekte sozialer Gerechtigkeit bei der Umsetzung priorisiert werden. Aufbauend auf dem Konzept der Energiegerechtigkeit kann sich eine Just Transition des Mietwohnungsmarkts an folgenden Dimensionen sozialer Gerechtigkeit orientieren (siehe Grafik).

1) Transitionale Gerechtigkeit → Werden Bedingungen für eine rasche Transition geschaffen?

2) Distributionale Gerechtigkeit → Werden die Kosten und Nutzen der Transition sozial gerecht verteilt?

3) Prozedurale Gerechtigkeit → Werden Betroffene in die Dekarbonisierung miteinbezogen?

4) Anerkennende Gerechtigkeit → Werden alle Stimmen gehört und berücksichtigt?

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Transitionale Gerechtigkeit bedeutet, dass die Dekarbonisierung von Mietwohnungen in einem der Klimakrise angemessenen Tempo passiert. Betrachtet man diesen Aspekt, wird deutlich, dass aktuell eine Reihe rechtlicher, planerischer und baulicher Hindernisse existieren, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Es bräuchte unter anderem einen verbindlichen, räumlich ausdifferenzierten Phasenplan für thermisch-energetische Sanierungen im Zuge der Energieraumplanung. Anreize für Gebäudeeigentümer:innen allein werden nicht reichen, um die erforderliche Sanierungsrate zu erreichen. Eine Sanierungspflicht mit ausreichend Vorlaufzeit könnte zumindest für Eigentümer:innen eingeführt werden, die eine Sanierung aus den Erträgen durch Mieteinnahmen der letzten zehn Jahre, der sogenannten Mietzinsreserve, finanzieren können. Dies trifft wohl auf die Mehrheit der Gebäudeeigentümer:innen zu. So schätzt die AK, dass die Kosten für die thermische Sanierung von fast neunzig Prozent des Altbauwohnungsbestands in Österreich aus der Mietzinsreserve gedeckt werden könnten. Wo aufseiten der Eigentümer:innen keine ausreichenden Mittel vorhanden sind, müssen Modelle und Ansatzpunkte für eine sozial gerechte Kostenverteilung der Dekarbonisierung entwickelt und etabliert werden, etwa Warmmiet-Modelle oder Modelle von Energiespar-Contracting. Des Weiteren könnten Mietzinsabschläge bei schlechtem energetischem Gebäudezustand zu mehr Gerechtigkeit bei der Mietpreisbildung führen und einen finanziellen Anreiz für Vermieter:innen darstellen, Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.

Eine gesellschaftlich faire Verteilung von Kosten und Nutzen der Dekarbonisierungsmaßnahmen steckt hinter dem Stichwort der distributionalen Gerechtigkeit. Um die fraglos teure Sanierung des Wohnungsbestands zu finanzieren, braucht es eine grundsätzliche Debatte über Vermögensungleichheiten, denn Vermieten ist ein Geschäft der Einkommensstarken: 70 Prozent der Mieteinnahmen werden von den einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung eingenommen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Klagen der Eigentümervertreter:innen über die fehlende Leistbarkeit der Sanierungsmaßnahmen durchaus zynisch, wenn derzeit jeder fünfte Haushalt, der in einer privaten Mietwohnung wohnt, über 40 Prozent des Haushaltseinkommens nur für Wohnen ausgeben muss.

Ein weiterer Aspekt einer Just Transition ist prozedurale Gerechtigkeit. Ein Recht auf Mitbestimmung der Mieter:innen bei Sanierungsmaßnahmen ist in Österreich in keinem Gesetz verankert. Diese Unzulänglichkeit wird nicht zuletzt bei der aktuellen Ausgestaltung der CO2-Steuer sichtbar: Während Mieter:innen in Österreich 100 Prozent der zusätzlichen Steuerlast aufgrund eines fossiles Heizungssystems tragen müssen, können sie dieses nicht beeinflussen. Diese Regelung ist folglich nicht nur sozial problematisch, sondern bewirkt auch keinerlei ökologische Lenkung. Transparente Prozesse, ausreichende Informationsangebote und Möglichkeiten für Mieter:innen, Einspruch zu erheben, können jedenfalls die soziale Akzeptanz thermisch-energetischer Sanierungen erhöhen. Anerkennung, die vierte Gerechtigkeitsdimension, bezieht sich auf das Recht jeder bzw. jedes Einzelnen, bei energie- und wohnungspolitischen Entscheidungsprozessen repräsentiert zu werden und keinerlei Form von Diskriminierung zu erfahren.

Fazit: Raus aus der Profitlogik am Wohnungsmarkt

Fest steht: eine sozial gerechte Dekarbonisierung des Gebäudesektors wird nicht gelingen, ohne grundsätzliche Mechanismen und Paradigmen der Wohnungspolitik zu hinterfragen. Die Voraussetzungen zur Umsetzung einer Just Transition stellen sich im privaten, kommunalen und gemeinnützigen Mietsegment unterschiedlich dar. Jene (Teil-)Segmente, die politisch stärker gesteuert werden können, scheinen – unter der Voraussetzung politischen Willens für eine sozial gerechte Dekarbonisierung – den Erfordernissen einer Just Transition besser entsprechen zu können. Die Erweiterung und Stärkung des kommunalen Einflusses, etwa über kommunale Vorkaufsrechte oder die Festsetzung ökologischer und sozialer Ziele im Zuge der Vertragsraumordnung, kann daher ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Just Transition des Mietmarkts sein. Bei der Frage, wer für die Kosten der Dekarbonisierung aufzukommen hat, ist im Sinne einer Just Transition jedenfalls zu betonen, dass existierenden Vermögens- und Einkommensungleichheiten entgegengewirkt werden muss. Einkommensabhängige Instrumente können hierzu beitragen, etwa nach dem Einkommen gestaffelte Sanierungsförderungen, die aus Vermögens- und Kapitalertragssteuern finanziert werden und an ein Veräußerungsverbot gekoppelt sind.

Festzuhalten ist, dass viele Maßnahmen, die eine Just Transition des Mietsegments befördern, auch unabhängig von der Dekarbonisierung wichtige sozialpolitische Forderungen darstellen. Diese gewinnen durch die Notwendigkeit einer Dekarbonisierung des Wohnungsbestands jedoch an Dringlichkeit. Dazu zählen etwa Kontroll- und Sanktionsmechanismen bei Nichteinhaltung des Mietrechtsgesetzes sowie eine Ausdehnung des Mietrechtsgesetzes auf alle Wohnungsmarktsegmente, ein entschiedenes Vorgehen gegen Spekulation mit Wohnraum und die Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Mieter:innen. Auch muss dringend gegen die mittlerweile dominante Praxis der Vergabe von befristeten Mietverträgen vorgegangen werden – das erhöht nicht nur die Handlungsmacht der Mieter:innen bei rechtswidrigem Verhalten ihrer Vermieter:innen, sondern steigert Studien zufolge auch deren Bereitschaft, Investitionskosten für Sanierungen mitzutragen, sofern diese Kosten sozial verträglich sind. Ziel einer Just Transition von Mietwohnungen muss es sein, Wohnraum ökologisch zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig das Recht auf Wohnen in den Mittelpunkt zu stellen.

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