Um gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu erreichen, müssen bestehende verbale und nonverbale Kommunikationsbarrieren im Gesundheitssystem überwunden werden. Statt zusätzlichen ökonomischen Druck aufzubauen, sind die systemischen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass gesunde Lebensverhältnisse für alle in Österreich lebenden Menschen erreichbar werden.
Nach internationalen Definitionen umfasst die Bevölkerung mit Migrationshintergrund alle Personen, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2020 hatten 24,4 % der österreichischen Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund. Ein Viertel dieser Menschen wurde bereits in Österreich geboren (Statistisches Jahrbuch 2021).
Die Gründe der Zuwanderung können vielfältig sein: Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Flucht, Familienzusammenführung u. v. m. Diese sind irrelevant, weil Migration im Leben eines Menschen immer eine Zäsur darstellt. Eine solch einschneidende Änderung der Lebensverhältnisse kann für die Betroffenen nicht nur Chancen und Möglichkeiten bieten, sondern gleichzeitig psychische, physische und finanzielle Ressourcen abverlangen. Selbst eine „freiwillige“ Migration kann oft psychosozial belastend sein, wenn diese mit dem Verlust des kulturellen Kontextes bzw. mit der Trennung von Familienangehörigen oder mit schwierigen Bedingungen im Aufnahmeland einhergeht.
Gesundheitsverhalten
76 % der österreichischen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund beurteilten ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut. Mit 69 % fällt die subjektive Bewertung von Personen mit Migrationshintergrund hier geringer aus. Bei aus dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei zugewanderten Menschen beträgt die Selbsteinschätzung nur mehr 60 %. Die Betroffenen leiden öfters an chronischen Erkrankungen. (Österreichische Gesundheitsbefragung 2019, Statistisches Jahrbuch 2021). Zudem sind Menschen mit Migrationshintergrund in den Aufnahmeländern oft ethnischen und kulturellen Diskriminierungen ausgesetzt. Eine kontinuierliche Diskriminierung zu erleben hat vor allem Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und kann Angststörungen oder Depressionen auslösen. Finanzieller Druck, Arbeits- und/oder Wohnungslosigkeit, Sprachbarrieren verstärken den psychischen Stress der Betroffenen. Diskriminierung kann aber auch mit körperlichen Beschwerden assoziiert werden, denn die somatischen Auswirkungen von Stress – insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen – sind in der Medizin seit Langem belegt.
Trotz dieser Einschätzung der eigenen Gesundheit ist die Inanspruchnahme der Angebote der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund – weder betreffend kurative noch präventive Gesundheitsleistungen – höher als vergleichsweise von Personen ohne Migrationsbezug (Österreichische Gesundheitsbefragung 2019, Statistisches Jahrbuch 2021).
Determinanten der Gesundheit
Gesundheitsförderliches Verhalten einer Person ist erheblich von ihrer sozioökonomischen Situation – wie sozialer Status, Bildung, Wohnort, aber auch Alter und Geschlecht – beeinflusst. Nicht jede Person verfügt gleichermaßen über die persönlichen oder finanziellen Ressourcen, die ein solches Verhalten auch ermöglichen. Es sind Arbeits- und sonstige Lebensbedingungen, die viele Menschen in eine Zwangslage führen. Armutsgefährdete, sozial benachteiligte Personen sind daher stärker von Erkrankungsrisiken betroffen. Die sozioökonomischen Determinanten sind primär von der Herkunft einer Person unabhängig, denn selbst innerhalb einer als homogen angedachten Gesellschaft bestehen Unterschiede. Durch vorherrschende Lebens- und Arbeitsbedingungen sind jedoch Menschen mit Migrationshintergrund von diesen Faktoren öfters und stärker betroffen.
- Arbeits- und Einkommensverhältnisse
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang der beruflichen Tätigkeit mit der Beurteilung des eigenen Gesundheitszustandes. Die ausgeübte Beschäftigung bestimmt nicht nur die Einkommenssituation eines Menschen. Sie ist ebenso entscheidend für das subjektive Wohlbefinden und die soziale Integration einer Person. Die Einkommenslage bei Menschen mit Migrationshintergrund ist schlechter als bei der Bevölkerung ohne Migrationsbezug, da zugewanderte Personen öfters in Niedriglohnbranchen tätig sind. Ob eine bestimmte Arbeit tatsächlich eine Gesundheitsressource darstellt oder ein Belastungs- oder Gefährdungsfaktor ist, hängt wesentlich von der Ausgestaltung des konkreten Arbeitsplatzes ab. (Migration und Gesundheit – Wissenschaftlicher Ergebnisbericht 2015, Statistisches Jahrbuch 2021, Fehlzeitenreport 2021)