Wie wir mit mehr Prä­ven­tion unser Gesund­heits­system zukunfts­fit machen 

09. September 2024

Das österreichische Gesundheitssystem steht durch eine alternde Bevölkerung und steigende Zahlen chronischer Erkrankungen vor großen Herausforderungen. Das betrifft sowohl die Finanzierung als auch den Schwerpunkt auf kurative Medizin. Eine Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung könnte ein wichtiger Puzzlestein in der nachhaltigen Gestaltung des Gesundheitswesens sein.  

Aktuelle Herausforderungen für das Gesundheitssystem 

Die Lebenserwartung ist in Österreich in den letzten Jahrzehnten durchwegs gestiegen, auch wenn sie aufgrund der Pandemie aktuell wiederum stagniert. Im Vergleich dazu sind die gesunden Lebensjahre – also die Jahre, die wir in guter oder sehr guter Gesundheit verbringen – zuletzt wiederum gesunken. Auch im internationalen Vergleich schneidet Österreich hierbei nicht gut ab: Österreich liegt mit 57 gesunden Lebensjahren bei der Geburt weit unter dem EU-Durchschnitt von 64.  

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Einer der Gründe hierfür ist wohl auch der Schwerpunkt des österreichischen Gesundheitssystems auf der kurativen Medizin anstatt auf präventiven Ansätzen. So zählt Österreich zu jenen Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf, der größte Anteil hierfür wird für die stationäre Versorgung aufgewandt. Die Spitalslastigkeit des Gesundheitssystems hat sich zuletzt auch daran gezeigt, dass im Finanzausgleich 2024 zwar dringend notwendige zusätzliche Mittel von rund eine Milliarde für Gesundheit vorgesehen wurden, von diesen aber rund 2/3 für den stationären Bereich.  

Gleichzeitig ist das Gesundheitssystem in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufgrund des demographischen Wandels mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Die Zahl der Älteren wächst in den nächsten Jahren massiv an und damit auch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Aktuell beträgt der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung rund 20 %, dieser Anteil wird lt. Prognosen der Statistik Austria bis 2050 auf rd. 28 % (um 1 Million Personen) ansteigen. Das bedeutet eine enorme Belastung für das Gesundheitssystem.  

Auch die Behandlungsnotwendigkeiten bei Kindern haben sich in den letzten Jahrzehnten insofern verändert, als Entwicklungsstörungen, psychische und Lebensstilerkrankungen immer mehr zunehmen.  

Gesundheitsförderung und Prävention – Was bringt´s? 

Um diese vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen, braucht es nicht nur zusätzliche finanzielle Mittel, sondern insbesondere auch einen sinnvollen Einsatz dieser Gelder. Hier kommt die Prävention ins Spiel, die im Gegensatz zur Krankenbehandlung bereits vor dem Auftreten von Krankheiten ansetzt und versucht, diesen vorzubeugen bzw. allgemein die Gesundheit zu stärken. Dadurch werden auf individueller Ebene das mit Krankheiten verbundene Leid verhindert und auf gesellschaftlicher Ebene Kosten eingespart. So kommt beispielsweise jeder Euro, der in Betriebliche Gesundheitsförderung investiert wird, circa dreifach zurück.  

Österreich hinkt bei Gesundheitsförderung und Prävention hinterher 

In Österreich wurde mit dem Gesundheitsförderungsgesetz 1998 der Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) geschaffen, dessen Auftrag die Gesundheitsförderung und Primärprävention ist. Von der Krankenversicherung werden jährliche Vorsorgeuntersuchungen für versicherte und nicht versicherte Volljährige angeboten, bzw. Jugendlichenuntersuchungen für Versicherte zwischen 15 und 18 – 2023 nahmen jedoch nur 15,3 % der Zielgruppe das Angebot der Vorsorgeuntersuchung wahr. Darüber hinaus haben die Krankenversicherungsträger gezielte Gesundheitsförderungs- und Präventionsprogramme anzubieten. Neben diesem Angebot haben im niedergelassenen Bereich zumindest Primärversorgungseinheiten neben der Krankenbehandlung auch die Aufgabe, Angebote zur Förderung von Gesundheit und Prävention vor Krankheiten zur Verfügung zu stellen (§ 2 Abs 1 PrimVG).  

Während Österreich im Vergleich mit anderen OECD Ländern bei den Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben weit vorne liegt, liegen die Ausgaben für Prävention unter dem Durchschnitt (Stand 2019). Mit dem Finanzausgleich 2024 bis 2028 werden nun insgesamt 60 Mio. € jährlich für Programme zur Gesundheitsförderung und Vorsorge bereitgestellt, dies von Bund, Ländern und Sozialversicherung jeweils drittelfinanziert.  

Angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der Struktur des österreichischen Gesundheitssystems braucht es jedoch noch mehr wirksame Prävention. 

Prävention fängt bei den Kleinsten an  

Unter dem Motto "Aus gesunden Kindern werden gesunde Erwachsene” müssen Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention frühzeitig ansetzen. Die Stärkung des Umfelds der Kinder und Jugendlichen durch z. B. gesundheitsorientierte Elternbildung und Nutzung der Schule als gesundheitsfördernden Lebensraum ist daher essenziell. Zudem sollte das bewährte System der frühen Hilfen über Ausnahmefälle hinaus bis zum Schulbeginn ausgeweitet und längerfristig eine Ausweitung bis zum 10. Lebensjahr evaluiert werden.  

Zudem muss ein rascher Zugang zu kostenloser und niederschwelliger Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche gewährleistet sein. Aktuell sind Betroffene mit langen Wartezeiten und permanenter Unterversorgung, insbesondere im vertragsärztlichen und –therapeutischen Bereich, konfrontiert. Auf die massiven Versorgungslücken macht auch die Plattform #besserbehandelt.at aufmerksam.  

Nicht rechtzeitig behandelte Krankheiten und Entwicklungsbeeinträchtigungen sind fatal, als Chronifizierungen zu befürchten, wenn wichtige Entwicklungsfenster ungenützt verstreichen und Kinder und Jugendliche daran gehindert werden, sich voll zu entfalten. Hier gilt es entgegenzuwirken, indem interdisziplinäre Versorgungsmodelle wie die sozialpädiatrischen Ambulatorien und PVEs für Kinder und Jugendliche ausgebaut werden. Zudem sollten Clearingstellen als Erstkontaktmöglichkeit eingerichtet werden, um eine rasche Diagnostik und Weiterleitung zu einem freien Therapieplatz zu gewährleisten.  

Orte der Prävention: Am Umfeld der Menschen ansetzen 

Prävention durch eine Veränderung des individuellen Gesundheitsverhaltens (Verhaltensprävention) allein ist nicht ausreichend, weil gesundheitsschädliches Verhalten oder gesundheitsschädliche Einflüsse häufig durch ungleiche Verhältnisse und soziale Benachteiligung bedingt sind. Für eine wirklich wirksame Prävention muss daher – neben einer Förderung von Gesundheitskompetenz – eine Veränderung von krankmachenden Lebensbedingungen der Menschen erreicht werden (Verhältnisprävention). Hier sind besonders die Lebenswelten Arbeit, Schule, Umweltbedingungen, Freizeit und Familie zentral. 

In diesem Zusammenhang könnte die Betriebliche Gesundheitsförderung eine große Rolle spielen, die bis dato, aufgrund der Freiwilligkeit, ein Schattendasein führt. So wurde das BGF-Gütesiegel, welches an Unternehmen verliehen wird, die systematisch und dauerhaft Maßnahmen für ein gesünderes Arbeitsumfeld umsetzen, nur an ein mageres Prozent aller Unternehmen in Österreich verliehen. Eine gesetzliche Verankerung der Betrieblichen Gesundheitsförderung wäre daher wünschenswert.  

Auch in Kindergärten und Schulen sollten gesundheitsfördernde Maßnahmen im Zusammenhang mit gesunder Ernährung, Bewegung und Sport, Mobbingprävention, Verstärkung im Bereich schulärztlicher Dienst, Schulpsycholog:innen, und sozialarbeiter:innen ausgebaut werden. Damit alle Kinder gute und gesunde Lernbedingungen haben, sollten Schulen mit größeren Herausforderungen bei der Förderung der Kinder zusätzliche finanzielle Mittel erhalten, wie der AK-Chancen-Index vorsieht. 

Auch in der niedergelassenen medizinischen Versorgung sollte Prävention stärker in den Vordergrund rücken, etwa durch Information und Beratung, Früherkennung, mehr Einbindung nichtärztlicher Gesundheitsberufe (z. B. Diätolog:innen, Physiotherapeut:innen, …) und Gesundheitslots:innen. Eine derart umfassende Gesundheitsversorgung, die auch Prävention inkludiert, ist besonders in Primärversorgungseinheiten möglich, sollte jedoch auch außerhalb dieser forciert werden. 

Es braucht endlich ein Präventionsgesetz  

All dies zeigt, wie zentral Prävention und Gesundheitsförderung für ein Gesundheitssystem sind. Viele Akteure des Gesundheitswesens fordern daher seit Jahren ein Präventionsgesetz, in dem sowohl die Zuständigkeiten klar geregelt sind als auch die Finanzierungsbasis verbessert wird. Es sollte daher in Abstimmung mit den Sozialpartnern so rasch als möglich an einem umfassenden Präventionsgesetz gearbeitet werden. Neben der finanziellen Förderung geht es dabei insbesondere auch darum, dass Prävention in den verschiedenen Bereichen (Schule, Arbeit, Freizeit etc.) auch tatsächlich stattfindet. Daher müssen die Zuständigkeiten sowohl zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung als auch der Sozialversicherungsträger untereinander klar normiert sein. Bereits 2008 gab es ein parlamentarisches Verfahren zu einem Gesetzesentwurf, der dann aber nicht beschlossen wurde. In Deutschland wurde 2015 ein Präventionsgesetz beschlossen, das auf Basis des aktuellen Berichts durchaus positive Auswirkungen hatte. Als wesentliche Erfolgsfaktoren wurden neben der ausreichenden Finanzierung die Verpflichtung aller Akteure zur Beteiligung angeführt.  

Zusammenfassung 

In Anbetracht der enormen volkswirtschaftlichen Kosten von Krankenbehandlung, von durch Krankheiten und Unfälle bedingter Fehlzeiten, eingeschränkter Arbeitsfähigkeit und Invalidität sowie natürlich des massiven Verlusts der Lebensqualität der Betroffenen, liegt die Investition in mehr Prävention auf der Hand. Trotz der allseitigen Beschwörung der Wichtigkeit von Gesundheitsförderung und Prävention hat sich diesbezüglich in Österreich bis dato zu wenig getan. Es gibt daher nach wie vor großen Bedarf an einer Verstärkung von Gesundheitsförderung und zielgerichteten Präventionsmaßnahmen, von denen hier beispielhaft einige genannt wurden.  

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