Faktencheck (un)sichere Pensio­nen: Mythos und Wahrheit


30. Oktober 2024

Das Schüren von Sorgen um die Sicherheit unserer Pensionen ist alt. Fast so alt wie unser Pensionssystem selbst. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz und damit die ursprüngliche gesetzliche Ausgestaltung der Pensionen für die unselbstständig Erwerbstätigen trat am 1.1.1956 in Kraft. Bereits drei Jahre später, im Jahr 1959, wurde ein Artikel mit folgender Überschrift in einer Tageszeitung veröffentlicht:

Pensionen © A&W Blog
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Quelle: „Österreichische Neue Tageszeitung“, 29.3.1959

Kennen Sie jemanden, dem die zuständige Pensionsversicherung die Auszahlung der Pension aus Mangel an vorhandenen finanziellen Mitteln jemals verweigert (hat)? – Ich auch nicht. Widmen wir uns daher drei gängigen Mythen, die gerne als Fakten verkauft werden:

  1. Aufgrund der demografischen Entwicklung Österreichs ist unser Pensionssystem nicht haltbar!
  2. Die Kosten explodieren, der Bund muss bereits für einen Großteil des Pensionsaufwands aufkommen!
  3. Der Gesetzgeber hat verschlafen!

Der Blick auf die demografische Entwicklung allein greift viel zu kurz

Die gesetzliche Pensionsversicherung in Österreich basiert auf dem Umlageverfahren, dem sogenannten Generationenvertrag. Im Rahmen des Umlageverfahrens werden die ausgezahlten Pensionen zum großen Teil (zumindest bei den unselbstständig Erwerbstätigen) direkt durch die laufenden Beitragseinnahmen finanziert. Ein Blick auf die Bevölkerungsstruktur des Landes kann dabei in diesem Zusammenhang aufs Erste Angst machen: Fast ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung ist im Jahr 2024 65 Jahre und älter – Tendenz steigend. Befinden wir uns daher tatsächlich in der pensionsrechtlichen Sackgasse? Wenn man privaten Versicherungen zuhört, muss man das jedenfalls glauben. Machen wir einen Blick über den europäischen Tellerrand: Im afrikanischen Staat Namibia z. B. sind nicht einmal 4 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre oder älter. Sind dort die Pensionen sicher? Das können wir bezweifeln.

Pensionsbelastungsquote sagt mehr und den Faktor 4:1 gab es selbst in den 70er Jahren nicht!

Wir müssen im Zusammenhang mit unseren Pensionen den Blick auf eine andere Zahl lenken, nämlich auf die sogenannte Pensionsbelastungsquote. Diese gibt an, wie viele ausbezahlte Pensionen auf je 1.000 Pensionsversicherte (also auf die aktiven Einzahler:innen) entfallen. Je niedriger die Quote ausfällt, desto „günstiger“ ist es für die Finanzierbarkeit des Pensionssystems. Im Jahr 1970 fielen auf 1.000 unselbstständig Erwerbstätige 477 Pensionen. Wenn man diese Zahlen plakativer darstellen will, würde dies Folgendes bedeuten: 2,1 unselbstständig Erwerbstätige standen einer ASVG-Pension gegenüber. Den von privaten Versicherungen in diesem Zusammenhang gern ins Spiel gebrachten Faktor 4:1 hat es daher selbst in den 70er Jahren bei der Pensionsbelastungsquote nicht gegeben. Wie sieht es nun aber heute aus?

Erwerbstätigenquote essenziell

Im Jahr 2023 fielen auf je 1.000 (unselbstständig) Pensionsversicherte 572 Pensionen, d. h. pro 1,75 unselbstständig Erwerbstätige eine Pension. Und wie war die Situation vor 20 Jahren – zu einer Zeit, als die sogenannten „Babyboomer“ vom Alter her noch mit festen Beinen im Erwerbsleben standen? – Im Jahr 2003 lautete die Pensionsbelastungsquote 1.000 : 607 (1,65 : 1). Wir können also festhalten: Obwohl im Jahr 2023 der Pensionsstand der Unselbstständigen um fast 30 Prozent höher war als im Jahr 2003, hat sich die Pensionsbelastungsquote verbessert. Überrascht?

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Ein wesentliches Kriterium für die Finanzierbarkeit unseres Pensionssystems ist demnach die Erwerbstätigenquote, die insbesondere bei den Frauen in den letzten beiden Jahrzehnten massiv gestiegen ist (+ 10 Prozent). Der alleinige Fokus auf die demografische Entwicklung ist bei der Frage der Finanzierbarkeit des Pensionssystems hingegen (viel zu) wenig aussagekräftig.

Beitrag des Bundes relativ zum BIP stabil

Das stärkste Argument aufseiten der Angstmache sind die absoluten Zahlen: „Der Beitrag des Bundes zu den Pensionen ist im letzten Jahrzehnt explodiert!“ Gerne ausgeblendet wird in diesem Zusammenhang allerdings, dass wir im letzten Jahrzehnt eine allgemeine Preissteigerung von 30 Prozent hatten. Die Heranziehung der absoluten Zahlen ist daher wenig bis gar nicht aussagekräftig! Wir müssen eine längerfristige Entwicklung immer in Relation zur Wirtschaftsleistung des Landes (BIP) betrachten. Dazu gebe ich gerne ein aussagekräftiges Beispiel:

Die Zahlungen des Bundes im Rahmen der Ausfallshaftung (Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben der Pensionsversicherungsträger ohne Ausgleichszulage) an alle Pensionsversicherungsträger betrug im Jahr 2023 2,3 Prozent des BIP. Und im Jahr 2013? … Ebenfalls 2,3 Prozent des BIP. In absoluten Zahlen liegt zwischen der Ausfallshaftung des Bundes im Jahr 2013 und im Jahr 2023 tatsächlich ein Plus von fast 50 Prozent. Wenn man den Fokus ausschließlich auf die absoluten Zahlen lenkt und dabei die Inflation ausblendet, dann blinkt es Rot: + 49 Prozent. Wenn man die Zahlen richtigerweise relativ zum BIP betrachtet, dann sieht man ein stabiles Pensionssystem.

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Großteil der Aufwendungen zahlen sich Unselbstständige weiterhin selbst

Im Jahr 2023 wurden lediglich 16,4 Prozent des Pensionsaufwands der PV der Unselbstständigen (PVA und BVAEB) durch die Ausfallshaftung des Bundes (ohne Ausgleichszulage) abgedeckt – so steht es im Jahresbericht der österreichischen Sozialversicherung. Zu den Ausgaben der Pensionsversicherungsträger gehören aber neben dem Pensionsaufwand auch die Beiträge zur Krankenversicherung der Pensionist:innen, die Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation etc. Der Beitrag des Bundes zu den gesamten Kosten von PVA und BVAEB ist demnach noch geringer. Plakativ dazu ein Beispiel aus dem Jahresbericht der PVA: Im Jahr 2023 wurden 95 Prozent des Pensionsaufwands der PVA durch Beitragseinnahmen für Versicherte (= Pflichtbeiträge und Beiträge für Teilversicherte) gedeckt! Dass der Bund unsere Pensionen zahlt, ist daher schlicht Unsinn.

Tiefgreifende Reformen im Pensionssystem bereits erfolgt

In den Diskussionen über dringend notwendige Reformen wird gerne vergessen:

  • Unser Gesetzgeber hat bereits vor 20 Jahren auf die künftig ansteigenden Pensionsausgaben reagiert: Seit dem Jahr 2005 gibt es das Pensionskonto. Nicht mehr eine bestimmte Anzahl der „besten Jahre“ wird für die Höhe der Pension herangezogen, sondern schlichtweg „alles“. Im Pensionskonto erhalte ich nach 45 Versicherungsjahren 80 Prozent meines Lebenseinkommens und nicht mehr meiner besten 15 Jahre. Beamt:innen (ab einem bestimmten Jahrgang bzw. ab dem Eintrittsjahr 2005) unterliegen ebenfalls dem Pensionskonto (Pensionsharmonisierung). In diesem Zusammenhang sei erinnert: Viele Jahre in schlecht bezahlter Teilzeit haben im Pensionskonto eine große Auswirkung auf Ihre künftige Pension!
  • Darüber hinaus wurden in den letzten 10 Jahren die Voraussetzungen für die Invaliditätspension erheblich verschärft, was zu einem starken Rückgang bei den Zugängen geführt hat.
  • Auch die sogenannte „Hacklerpension“ hat in den letzten Jahren erhebliche Verschärfungen erfahren (z. B. Anhebung des Zugangsalters auf 62 Jahre).
  • Die schrittweise Anhebung des Regelpensionsalters von Frauen ab 1.1.2024, die auf ein Verfassungsgesetz aus dem Jahr 1992 zurückgeht, wird ebenfalls Auswirkungen auf die Zahl der Pensionsneuzugänge in den nächsten Jahren haben.

Fazit

Im Diskurs um die Finanzierbarkeit unseres Pensionssystems ist eine kritische Auseinandersetzung mit gängigen Mythen unumgänglich. Angstmachende Falsch- oder Teilinformationen werden oft bewusst eingesetzt, um Produkte zu verkaufen (private Versicherungen) oder um für unpopuläre Maßnahmen eine Zustimmung in der Bevölkerung zu erlangen. „Wissen ist Macht!“ Dieser Artikel soll als Handwerkszeug im Diskurs um (un)sichere Pensionen dienen:

  • Der alleinige Fokus auf die demografische Entwicklung ist wenig aussagekräftig. Die wesentliche Kennzahl ist das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Pensionist:innen (die sogenannte Pensionsbelastungsquote) und diese ist trotz steigender Pensionszahlen stabil geblieben.
  • Die Erwerbstätigenquote ist ein wesentlicher Faktor bei der Finanzierung des Pensionssystems: Die Stärkung von Erwerbsbeteiligung muss daher im Fokus stehen!
  • Eine längerfristige Betrachtung der absoluten Zahlen ohne Berücksichtigung der Inflation ist nicht aussagekräftig; der Beitrag des Bundes zu den Pensionen ist relativ zum BIP stabil!
  • Im Jahr 2023 wurden 95 Prozent des Pensionsaufwands der PVA durch Beitragseinnahmen für Versicherte gedeckt! Dass der Bund für den Großteil der Kosten aufkommen muss, ist bei den unselbstständig Erwerbstätigen schlichtweg Unsinn.
  • Der Gesetzgeber hat bereits vor 20 Jahren einschneidende Pensionsreformen gesetzt und keinesfalls verschlafen!
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