Bessere Gesundheit und Arbeit statt Pensionsantrittsalter erhöhen

20. Dezember 2023

Medial wird derzeit die Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters diskutiert. Derartige Forderungen verkennen, dass es Menschen schon jetzt nicht schaffen, dieses zu erreichen. Eine Anhebung würde die Altersarbeitslosigkeit und den Druck auf Arbeitnehmer:innen noch weiter erhöhen und zu massiven Pensionskürzungen führen. Personen mit niedrigerem Einkommen wären aufgrund geringerer Lebenserwartung besonders stark betroffen. Statt einer Erhöhung des Antrittsalters braucht es eine Erhöhung der Beschäftigungsquote und Unterstützung für Arbeitssuchende.

Viele halten in ihrem Beruf nicht bis zur Pension durch

Das gesetzliche Pensionsantrittsalter muss nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun haben, in dem Menschen tatsächlich in die Pension gehen – dem faktischen Pensionsantrittsalter. Das faktische Pensionsantrittsalter ist niedriger als das gesetzliche. Das liegt daran, dass es beispielsweise viele Menschen gar nicht schaffen, bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter zu arbeiten. Sie werden krank oder können aufgrund eines Unfalls ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben. In manchen Branchen, wie dem Tourismus oder der Baubranche, ist die körperliche und psychische Belastung so hoch, dass es die Hälfte der Beschäftigten für unwahrscheinlich hält, bis 65 in ihrem Beruf durchzuhalten. Über alle Branchen hinweg sind es 37 Prozent.

Gesunde Lebensjahre weit unter allgemeiner Lebenserwartung

Jahrelange Belastungen können auch in einer geringeren beschwerdefreien Lebenserwartung, also in weniger „gesunden Lebensjahren“ (Anzahl an Lebensjahren, in denen keine Funktionsbeschränkungen und Beschwerden vorliegen), resultieren. Diese lag laut Eurostat 2021 bei den Frauen um rund 22 Jahre und bei den Männern um rund 17 Jahre unter der allgemeinen Lebenserwartung. Bei Männern liegt sie mit 61,5 Jahren sogar weit unter dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter! Die allgemeine durchschnittliche Lebenserwartung sagt also nichts darüber aus, wie lange Menschen überhaupt in der Lage sind, arbeiten zu gehen. Zudem stagnieren die beschwerdefreie und die allgemeine Lebenserwartung seit vielen Jahren. Damit es für Menschen möglich ist, länger zu arbeiten, um das faktische Pensionsantrittsalter zu erhöhen, muss sich vor allem die Gesundheit von Älteren verbessern.

Grafik: Lebenserwartung und Pensionsantrittsalter © A&W Blog
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Mindestpensionist:innen sterben früher

Die durchschnittliche Lebenserwartung ist nicht für alle Menschen gleich. Je niedriger das Einkommen, desto niedriger die Lebenserwartung. Menschen mit höherem Einkommen leben länger und beziehen dadurch auch länger eine Pension. Bei einer Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters würde sich die Situation verschärfen. Laut Momentum Institut würde ein Mann im untersten Einkommensfünftel bei einer Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre 13 Prozent seines Pensionseinkommens verlieren. Ein Mann im obersten Fünftel würde nur 6 Prozent verlieren. Menschen mit geringerem Einkommen wären von einem höheren Pensionsantrittsalter stark benachteiligt.

Arbeitslosigkeit ist unmittelbar vor dem Pensionsantritt am höchsten

Selbst wenn im Alter keine Erkrankung vorliegt, wird es älteren Arbeitnehmer:innen am Arbeitsmarkt unglaublich schwer gemacht. Eine Studie des AMS kam zum Ergebnis, dass ältere Bewerber:innen viel weniger wahrscheinlich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Es gibt somit eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters. Besonders brisant dabei ist, dass sich die Studie auf die Berufsfelder Lebensmitteleinzelhandel und Elektroinstallation fokussierte – beides Branchen, die über zu wenige Bewerber:innen klagen. Unabhängig vom Alter blieben 45 Prozent der Bewerbungen unbeantwortet.

Die Ungleichbehandlung wird auch bei Betrachtung der Arbeitslosenquoten sichtbar. Unmittelbar vor dem Pensionsantritt steigt die Arbeitslosigkeit. So haben Frauen im Alter 55 bis 59 Jahre und Männer im Alter 60 bis 64 Jahre die höchste Arbeitslosigkeit, verglichen mit allen anderen Altersgruppen.

Grafik: Arbeitslosenquote nach Alter © A&W Blog
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Aber nicht nur die Arbeitslosigkeit selbst steigt, sondern auch die Dauer der Arbeitslosigkeit. Arbeitssuchende Frauen zwischen 30 und 34 sind im Schnitt 123 Tage beim AMS gemeldet, bevor sie wieder eine Arbeit finden, eine Ausbildung beginnen oder aus anderen Gründen vom AMS abgemeldet werden. Bei Frauen kurz vor der Pension zwischen 55 und 59 Jahren erhöht sich der Wert auf 172 Tage. Männer zwischen 60 und 64 Jahren auf Arbeitssuche sind im Schnitt 297 Tage beim AMS gemeldet. Dass die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit mit dem Alter zunimmt, zeigt, dass es für ältere Arbeitnehmer:innen am Arbeitsmarkt schwieriger wird.

Durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit © A&W Blog
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Pensionsfinanzierung: Arbeitsmarkt ist entscheidend

Gute Pensionspolitik ist gute Arbeitsmarktpolitik. Der Schlüssel zu einem langfristig stabilen Pensionssystem liegt in einer hohen Beschäftigungsquote – besonders bei älteren Arbeitnehmer:innen – und steigenden Löhnen und Gehältern. Der reine Fokus auf demografische Entwicklungen führt zu einem oft unberechtigten Alarmismus. Viel entscheidender als das Verhältnis zwischen Alten und Jungen ist die Anzahl an Personen in Beschäftigung und ihr Lohnniveau, da davon Pensionsbeiträge gezahlt werden. Josef Wöss und Erik Türk zeigen in einem kürzlich veröffentlichten Paper, dass durch höhere Beschäftigungsquoten nachteilige demografische Entwicklungen ausgeglichen werden können. Auch der Pensionsreport des Momentum Instituts zeigt, dass eine höhere Erwerbstätigkeit bessere Auswirkungen auf das Pensionssystem hat als eine Kopplung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung – besonders auf mittlere Frist.

Es braucht Verbesserungen im Pensionssystem

Um die Beschäftigungsquote zu erhöhen, braucht es neben arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen auch Verbesserungen im Pensionssystem. Dass es Handlungsbedarf im Pensionssystem gibt, kann exemplarisch anhand des Rehabilitationsgelds gezeigt werden. Personen, welche ab 1964 geboren sind und für die eine für mindestens sechs Monate geminderte Arbeitsfähigkeit vorliegt, bekommen seit 2014 anstatt einer befristeten Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension das Rehabilitationsgeld. Mit dieser neuen Leistung wurde das Ziel „Reha vor Pension“ ins Gesetz übernommen. Ziel dieser neuen Leistung war es, kranke Menschen möglichst schnell wieder auf den Arbeitsmarkt zurückzubringen, statt sie krankheitshalber dauerhaft in eine Pension zu schicken. Wie erfolgreich das ist, ist schwer zu sagen, da nur wenige Daten dazu vorliegen. Laut einem Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2020 gelang es im Jahr 2018 nur 8,2 Prozent der Rehageldbezieher:innen, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es stellt sich die Frage, ob die betroffenen Personen zu spät in die Rehabilitationsmaßnahmen kommen oder ob es bessere Angebote in Bezug auf die Rehabilitationsmaßnahmen braucht. Faktum ist, dass es nur sehr wenigen Personen gelingt, nach Rehabilitationsmaßnahmen einen Gesundheitszustand zu erreichen, der es ihnen ermöglicht, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.

Nur zwei Drittel der Pensionsantritte erfolgen aus Beschäftigung

Es ist bedenklich, dass österreichweit im Jahr 2021 jeder dritte Pensionist bzw. jede dritte Pensionistin bei Pensionsantritt arbeitslos war, einen Pensionsvorschuss, Kranken- oder Rehabilitationsgeld bezog oder Versicherungslücken aufwies. Nur zwei Drittel konnten direkt aus einem Arbeitsverhältnis in Pension gehen – und davon kamen viele aus Altersteilzeit. Betroffene spüren diese Situation als einen jahrelangen, belastenden und demotivierenden Prozess. Nach dem Motto „Zu krank für den Arbeitsmarkt, aber zu gesund für die Pension“ werden sie zwischen verschiedenen Institutionen hin und her geschickt, ohne die richtige Unterstützung zu erhalten. Das Arbeitsmarktservice (AMS), die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) sollten ihre Verantwortung aber nicht abwälzen, sondern gemeinsam realistische Beschäftigungsperspektiven erarbeiten.

Fazit: Menschen unterstützen – Beschäftigung heben – Pensionen sichern

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Unser Pensionssystem ist sicher und finanzierbar. Um die Finanzierung auch weiterhin zu garantieren, braucht es aktive Arbeitsmarktpolitik. Eine hohe Beschäftigungsquote und gute Lohnentwicklungen sind der Schlüssel zu einem stabilen Pensionssystem. Die Erhöhung des Pensionsantrittsalters ist definitiv der falsche Weg und würde lediglich den bereits bestehenden Druck auf ältere Arbeitnehmer:innen weiter verstärken und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Ein großer Teil der älteren Arbeitnehmer:innen hat schon jetzt Probleme, das gesetzliche Pensionsantrittsalter zu erreichen. Eine Anhebung würde diesen Effekt verstärken. Zudem würden Menschen mit geringerem Einkommen unverhältnismäßig stark benachteiligt werden. Besser wäre es, Maßnahmen zu verabschieden, die besonders ältere Arbeitnehmer:innen unterstützen und ein Arbeiten bis zur Pension ermöglichen.

Dazu müssen vor allem auch Betriebe in die Pflicht genommen werden. Neben besseren Arbeitsbedingungen und altersgerechten Arbeitsplätzen braucht es ein Bonus-Malus-System, das die Beschäftigung Älterer fördert. Zusätzlich kann eine Jobgarantie dafür sorgen, dass arbeitswillige Ältere einen öffentlich finanzierten Job bekommen, wenn ihnen private Betriebe keine Chancen geben. Es muss aber auch klar sein, dass Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keiner (Vollzeit-)Erwerbsarbeit mehr nachgehen können, Anrecht auf Altersteilzeitmodelle und Zugang zu Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension haben. Neben diesen Maßnahmen für Ältere muss das riesige Arbeitskräftepotenzial der Stillen Reserve – das sind jene Menschen, die arbeiten wollen, aber nicht aktiv auf Arbeitssuche sind – endlich erkannt werden.

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