Daseinsvorsorge in Europa stärken, um sicher durch die Krise zu kommen

21. Juni 2024

Aktuell werden die Weichen für die Zukunft Europas gestellt. Um die aktuellen Krisen gut zu bewältigen, braucht es eine europäische Politik, die öffentliche Daseinsvorsorge stärker in den Mittelpunkt rückt. Der notwendige Umbau der Wirtschaft darf nicht zulasten der sozialen Sicherheit und der Qualität der Daseinsvorsorge gehen.

Bereits zum 22. Mal wird am 23. Juni der Internationale Tag der Daseinsvorsorge begangen. Ein guter Anlass, um einen Blick auf die künftigen Herausforderungen für die Daseinsvorsorge zu werfen.

Daseinsvorsorge scheint auf den ersten Blick ein etwas sperriger Begriff zu sein. Dabei geht es um ganz Wesentliches. Er beschreibt öffentliche Dienstleistungen, die essenziell notwendig sind, um für unser „Dasein zu sorgen“. Dies reicht von der Wasserver- und Abwasserentsorgung, der Abfallbeseitigung, der Verkehrsinfrastruktur und dem öffentlichen Nah- und Regionalverkehr bis hin zu bezahlbarem Wohnraum, Gesundheit und Pflege, Bildung, sozialer Sicherheit, der Schaffung von fußläufig erreichbaren öffentlichen Grünräumen und vielen weiteren Leistungen der öffentlichen Hand. All diese Dienstleistungen der Daseinsvorsorge orientieren sich am Wohl der Bürger:innen und nicht an der Gewinnmaximierung. Eine Daseinsvorsorge, die in öffentlicher Hand bleibt, ist somit unverzichtbar, um der Bevölkerung hochwertige Leistungen zu erschwinglichen Preisen zu garantieren.

In der Realpolitik sind vor allem Städte und Gemeinden für die Erbringung der Daseinsvorsorge, die das Fundament der Entwicklung der Lebensqualität aller Menschen, aber auch des Wirtschaftsstandorts ist, verantwortlich. Ganz gleich, ob aufgrund von Wetterextremen, der Corona-Krise, stark gestiegenen Verbraucher:innenpreisen oder aufgrund der russischen Invasion der Ukraine: Die Krisen unserer Zeit stellen für die Menschen und die Akteure der Daseinsvorsorge eine große Herausforderung dar und schreien nach adäquaten Lösungen, die sicherstellen, dass die Bevölkerung auch künftig ein gutes Leben in einem krisensicheren Wirtschaftsstandort führen kann.

Stärkung der Daseinsvorsorge im EU-Binnenmarkt

Die Regelungen des EU-Binnenmarktes wirken unmittelbar auf die Ausgestaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge ein. Die Vollendung des EU-Binnenmarktes war geprägt von einer Liberalisierung in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge (Postdienste, Energieversorgung, Eisenbahn etc.). Im Bereich Wasser konnten Liberalisierungsbestrebungen durch die erfolgreiche europäische Bürger:inneninitiative „right2water“ bislang erfolgreich abgewehrt werden. Da viele der Versprechen bei der Liberalisierung und Privatisierung in der Daseinsvorsorge in der Vergangenheit nicht eingelöst wurden, führte dies zu einer Rekommunalisierung in vielen Bereichen. Die Zukunft des EU-Binnenmarktes steht nun wieder auf der Tagesordnung.

Im April 2024 präsentierte der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta im Auftrag der EU-Kommission einen Bericht zur Zukunft des EU-Binnenmarktes („Letta-Bericht“) mit dem Titel „Viel mehr als Markt“. Er schlägt vor, den Binnenmarkt neben dem freien Warenverkehr, der Personenfreizügigkeit, der Dienstleistungsfreiheit und dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr um eine fünfte Grundfreiheit zu ergänzen: die Freiheit bei Forschung, Innovation und Bildung. Im „Letta-Bericht“ wird unter anderem eine aktive Industrie- und Energiepolitik betont, um Planungssicherheit für Unternehmen in den aktuell unsicheren Zeiten und der Transformation zu bieten. Die Stärkung der Daseinsvorsorge als Garant dafür, auch für die Menschen soziale Sicherheit zu geben, wird hingegen kaum angesprochen. Dies braucht es aber für die Zukunft, um sicher durch die Krisen zu kommen. Eine gut aufgestellte öffentliche Daseinsvorsorge kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Klimakrise aktiv begegnen

Investitionen in die Daseinsvorsorge sind Investitionen in die Zukunft, denn es sind in erster Linie Städte und Gemeinden, denen die entscheidende Rolle zukommt, um die Auswirkungen der Klimakrise abzufedern. Dass öffentliche Investitionen nicht nur in Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch in leistbaren Wohnraum, in das öffentliche Verkehrsnetz, in Bildungschancen, in die Gesundheitsversorgung sowie in den digitalen Ausbau – um nur einige Beispiele zu nennen – auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll sind, unterstreicht eine im Auftrag des Büros für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft veröffentlichte Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Wenn wir als Gesellschaft das hohe Niveau der Leistungen der Daseinsvorsorge aufrechterhalten und adäquat auf künftige Krisen reagieren wollen, muss den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, mehr Geld für Investitionen in die Hand zu nehmen. Anstatt also die wirtschaftliche Erholung durch wachstumsfeindliche Austeritätsmaßnahmen abzuwürgen, bräuchte es größere Spielräume für Investitionen der öffentlichen Hand. Daher ist es besonders wichtig, Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge endlich von den europäischen Schuldenregeln auszunehmen. Die erst kürzlich in Europa ausverhandelten Fiskalregeln sollten daher entschärft werden. Eine neue Austeritätspolitik, vor der die europäische Gewerkschaft öffentlicher Dienste EGÖD/EPSU Ende April warnte, ist sowohl aus gesellschaftlicher wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv. Städte und Gemeinden werden künftig mehr anstatt weniger in den Ausbau der Daseinsvorsorgeleistungen investieren müssen.

Zukunft der Daseinsvorsorge

Wenn es um Daseinsvorsorge geht, kommt es auf Qualität, leistbare Preise und zuverlässige Verfügbarkeit an. Eine ausreichend finanzierte und qualitativ hochwertige Daseinsvorsorge ermöglicht den Menschen ein gutes Leben. Die Bewältigung der Auswirkungen der Klimakrise erfordert einen sozialen und ökologischen Umbau unseres Wirtschaftssystems. Dieser wird aber nur gelingen, wenn die Menschen sehen, dass dieser Umbau nicht zulasten der sozialen Sicherheit und der Qualität der Daseinsvorsorge geht. Es braucht daher eine aktive Gestaltung des „gerechten Übergangs“, eine „Just Transition“. Soziale Verwerfungen sind zu vermeiden und die mit dem Wandel verbundenen Chancen für Wertschöpfung, Beschäftigung und Teilhabe zu nutzen.

Davon profitieren die Menschen vor Ort in vielerlei Hinsicht. Die öffentliche Daseinsvorsorge stellt ihre Leistungen in hoher Qualität flächendeckend allen Menschen sozial gerecht und diskriminierungsfrei zur Verfügung und sorgt für faire Arbeits- und Einkommensbedingungen für die Beschäftigten. Dabei verfolgen Bund, Länder und Gemeinden keine kurzfristigen Gewinninteressen, denn sie sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Dies unterscheidet öffentliche Anbieter wesentlich von privaten, die vor allem Gewinnmaximierung im Auge haben.

Finanzierung absichern

Die Prognose der Gemeindefinanzen zeigt trotz Zusatzmitteln aus dem Finanzausgleich 2024 und dem neuen Gemeindepaket von Anfang Juni 2024 eine kritische Finanzsituation, wie das KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung diese Woche präsentierte. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass bis zu 40 Prozent der Gemeinden ihre laufenden Ausgaben nicht mehr aus eigener Kraft decken werden können. Daher sind Reformen notwendig, um die Liquidität mittelfristig wieder zu stabilisieren. Dringend erforderliche Investitionen, wie z. B. Maßnahmen zur Klimawandelanpassung, Investments in die Sanierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung, die Finanzierung von Sozialleistungen, werden nur mit Neuverschuldung möglich sein. So braucht es allein für den Umbau und Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die dringend notwendigen Investitionen in öffentliche Gebäude und die Instandhaltung und den Ausbau der Energieversorgung in Österreich bis 2030 bis zu 87 Milliarden Euro an Mehrausgaben. Zudem sind über 90 Prozent aller Klimawandelanpassungsmaßnahmen auf der kommunalen Ebene umzusetzen.

Es kommen also unglaublich hohe Investitionen auf die Städte und Gemeinden zu, die nur mit hoher finanzieller Unterstützung gestemmt werden können. Hier sind einerseits dringend Unterstützungsmaßnahmen auf nationaler Ebene notwendig. Aber auch die europäische Ebene ist gefragt. Hier wäre ein hoch dotierter und dauerhafter EU-Klimafonds einzurichten, um den sozialen und ökologischen Umbau zu schaffen.

Für ein soziales Europa

Die Europäische Gewerkschaft öffentlicher Dienste (EGÖD/EPSU) plädiert für ein Europa, das auf demokratischen Werten und Solidarität basiert. Denn in einer von multiplen Krisen bestimmten Zeit ist das Gründungsziel der Europäischen Union, die Völker in Europa durch Solidarität, Demokratie und gemeinsame Werte einander näherzubringen, relevanter als jemals zuvor. So könnte die EU einen verbindlichen Rechtsrahmen mit konkreten Vorgaben und Zielen ausformulieren, mit dem Ziel, die vonseiten der öffentlichen Hand auf unterschiedlichen Ebenen erbrachten Dienste zu stärken. Dabei sind Gleichstellung, solidarische Finanzierung, demokratische Kontrolle und Mitsprache der Arbeitnehmer:innen, Bürger:innen und Kommunen zu berücksichtigen.

Veranstaltungshinweis:
Daseins.Vorsorge in Europa in den Mittelpunkt rücken, in der FAKTory, Universitätsstraße 9, 1010 Wien, am 24. Juni 2024 von 18–20 Uhr.

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