Was unterscheidet Klimabewegung und feministische Bewegungen? Wo sind die Gemeinsamkeiten, die zur gegenseitigen Stärkung genutzt werden können? Birgit Buchinger, renommierte feministische Sozialforscherin und Aktivistin, sowie Lena Schilling, Klimaaktivistin und eine der bekanntesten Vertreter:innen von „Fridays for Future“, trafen sich, um sich über ihre Vision einer feministischen Klimapolitik, gemeinsame Ziele, unterschiedliche Zugänge und das Potenzial einer stärker vernetzten Vorgehensweise auszutauschen.
Was ist eure Vision einer feministischen Klimapolitik?
Lena Schilling: Klimagerechte Politik ist feministische Politik. Branchen, in denen viele Frauen arbeiten, sind klimagerechter – beispielsweise Kinderbetreuung, Care-Arbeit. Deswegen ist es eine klimapolitische Maßnahme, all diese Jobs angemessen zu bezahlen. Außerdem gibt es eine weitere, globale Perspektive: Laut einem UN-Bericht treffen die Folgen der Klimakrise Frauen 14-mal stärker als Männer. 70 Prozent der Betroffenen vergangener Flutkatastrophen sind Frauen. Das liegt an gesellschaftlichen Ungleichheiten. Feminismus ist die Grundlage von Klimapolitik.
Birgit Buchinger: Ich kann Lena in allen Punkten zustimmen. Für mich muss zukunftsgerichtete Klimapolitik feministisch sein. Worum geht es bei einer feministischen Zukunftsvorstellung? Es geht um ein gutes Leben für alle. Das beinhaltet eine Existenz, die sozial abgesichert ist, frei von Gewalt, mit gerechter Teilhabe an gesellschaftlichen Macht- und Entscheidungsprozessen, das Recht auf Nahrung, Bildung etc. Ich stelle den Menschen und die Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt – in unterschiedlichen Lebensphasen, Lebensformen und Lebenslagen. Und alle sind mitzunehmen, denn kein Mensch ist „illegal“. Das geht nur Hand in Hand mit einer klugen Klimapolitik, einer klugen Sozialpolitik, einer klugen Wirtschaftspolitik, die sich alldem verpflichtet. Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, gibt es keine Zukunft.
Wo seht ihr Unterschiede zwischen der feministischen und der Klimabewegung?
Lena Schilling: Die Klimabewegung gibt es schon lange, aber sie erlebte in den letzten vier Jahren einen ziemlichen Aufschwung. Eine Leistung dieser jungen Klimabewegung ist die große Öffentlichkeit für Klimathemen. Feministische Bewegungen haben im Unterschied dazu eine Wahnsinnsgeschichte, von der wir, die Klimabewegung, viel lernen können und müssen. Ich bin feministisch sozialisiert, hatte aber nie das Gefühl, in einer feministischen Bewegung verankert zu sein, weil ich den Zugang dazu nicht gefunden habe. Die Frage ist, wie wir es schaffen, diese feministische Bewegung so zu verankern, sodass jemand wie ich dort ein Zuhause findet.
Birgit Buchinger: Die Klimabewegungen sind klar als Bewegungen zu definieren. Bei den feministischen Bewegungen gibt es kleinere Gruppierungen, aber im Gegensatz zu den 1970er und 1980er Jahren, wo der zentrale Kampfort die Straße war und aufgrund des Drucks von der Straße viel erreicht werden konnte, gelingt das jetzt kaum mehr. Die Klimabewegungen hatten von Beginn an weibliche Gesichter – in Österreich du, Lena, Luisa Neubauer in Deutschland, Amy Bray in Großbritannien und natürlich Greta Thunberg.
Frage von Birgit Buchinger: Auch in der Vergangenheit sind Bewegungen oft von Frauen initiiert worden, aber dann haben innerhalb kurzer Zeit Männer die Repräsentation dieser Bewegungen übernommen. Wie gelingt es euch, das zu vermeiden? Was macht ihr anders?
Lena Schilling: Als ich zu „Fridays for Future“ gestoßen bin, haben acht Studentinnen und zwei Studenten den Streik organisiert. Die Frauen haben die Strukturen vorgegeben, wenn es etwa Redner:innenlisten gibt, werden Frauen vorgezogen. Es steht in den Statuten, dass es eine klar feministische Bewegung ist, auch wenn es nach außen nicht direkt kommuniziert wird. Das auch, weil es eine bürgerliche Bewegung ist, die aus einer Bildungselite kommt, die sich damit auseinandergesetzt hat. Aber wir müssen daran arbeiten, das Feld in eine andere Richtung aufzumachen.
Birgit Buchinger: Da haben wir wieder eine Ähnlichkeit: Die autonome Frauenbewegung der 1970er Jahre war eine studentische Bewegung, wo es nur in wenigen Fällen geglückt ist, die Frau Maier und die Frau Huber zu erreichen. Die Gretchenfrage ist: Wie schaffen wir es, einerseits die Klimabewegungen breiter in der Gesellschaft zu verankern, in Verbindung mit feministischen Grundsätzen? Und andererseits, wie schaffen wir es zu vermitteln, dass Klimakatastrophen immer zuallererst Frauen und Kinder betreffen? Im Zuge der Pandemie und der Energiekrise wurde Steuergeld ohne Ende ausgegeben. Irgendwann muss die „Kohle“ wieder an den Staat zurückfließen und es sieht nicht danach aus, dass Vermögen und Kapital besteuert werden wird. Es ist eher damit zu rechnen, dass der Sozialstaat zurückgefahren wird. Und das bedeutet, dass Frauen noch mehr zu tun haben, unbezahlterweise. Das gilt es zu verhindern.
Lena Schilling: Es geht im Grunde um eine Frage der gesellschaftlichen Transformation. Die Klimafrage ist eine soziale Frage, eine feministische Frage und auch eine Klassenfrage. Diese Kämpfe hängen alle zusammen. Aber wie schafft man es, diesen Bogen der Solidarität in die Praxis zu bringen und das nicht in einem Blabla von „Wir-unterstützen-einander“ stehen zu lassen, ohne dass sich die Verhältnisse ändern?
Was kann der Inhalt dieses Bogens der Solidarität sein, der alle diese notwendigen Perspektiven in Verbindung bringt? Und wie bringen wir das auf den Boden?
Lena Schilling: Es geht darum, dass die lebensnotwendigen Bereiche grundsätzlich allen Menschen zur Verfügung stehen und für alle leistbar sind. Da geht es um Energie, die Energieversorgung, die wir sichern müssen. Wir müssen von fossilen Energien weg, und Energie muss leistbar sein. Dann reden wir von Mobilität. Menschen müssen ihre Kinder von A nach B bringen können oder den Einkauf machen können, ohne eine Stunde im Stau zu stehen oder viermal umzusteigen. Wenn wir es schaffen, dann ist das eine klimagerechte, feministische und sozial gerechte Politik. Das ist eine historische Herausforderung. Ich glaube nicht, dass es leicht wird. Deshalb ist das „Wie“ so wichtig. Wie schaffen wir es, die Verhältnisse zu verändern? Wir werden uns organisieren müssen, wir werden auf die Straße gehen müssen, wir werden streiken müssen, wir werden vielleicht auch zivilen Ungehorsam leisten müssen. Nicht nur die Klimabewegungen, sondern wir alle, die für sozial gerechte Politik stehen.
Birgit Buchinger: Meine Vision ist ein riesiger Diskussionsprozess in Österreich, wo im Rahmen eines moderierten Aktionsforschungsprojekts diskutiert wird. Möglicher Arbeitstitel davon: Wie wollen wir in Zukunft leben? Dabei sollen alle ihre unterschiedlichen Perspektiven einbringen können. Im Rahmen des Linzer Frauenprogramms haben wir so eine Methode aus der Inklusions- und Gemeinwesenarbeit angewendet. Wir haben 40 idealtypische Biografien entwickelt und 40 Alltagssituationen. Wir haben dann in den Vierteln von Linz die Volkshäuser angemietet und die Bevölkerung zu Workshops eingeladen. Wir haben 20 Biografien ziehen lassen und Teilnehmende haben in der „geborgten Biografie“ gearbeitet und Maßnahmen entwickelt. Meine Vision wäre, so einen feministischen Klimadiskursprozess für Österreich zu machen und damit auch den Solidargedanken zu stärken.
Ein extrem spannendes Projekt! Vielleicht noch eine andere Frage, die sich mir aus dem bisher Gesagten stellt: Warum gelingt es der Klimabewegung, gemeinsame Ziele klar in der Öffentlichkeit zu kommunizieren, während das der Frauenbewegung – zumindest derzeit – deutlich schwerer gelingt.
Lena Schilling: Der Vorteil der Klimabewegung ist, dass es Ziele gibt, die von der Staatengemeinschaft beschlossen und in einen Vertrag gegossen wurden. Man kann die Politik an ihren eigenen Versprechungen messen. Es ist relativ klar, welche Schritte notwendig sind. Erfolge sind messbar, es gibt wissenschaftliche Evidenz. Und es gibt jedes Jahr eine Klimakonferenz, durch die man an das Thema erinnert wird.
Birgit Buchinger: Das ist der Frauenbewegung nicht gelungen. Es ist wissenschaftlich evident: Je geschlechtergerechter Gesellschaften verfasst sind, desto weniger Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt es. Es ist der feministischen Bewegung noch nicht gelungen, die evidenzbasierten politischen Ziele mit wirkmächtigen Sanktionen zu verbinden. Das ist der Klimabewegung besser gelungen.
Lena Schilling: Wichtig wäre, klare Ziele für Österreich zu formulieren, die man auch sanktionieren kann. Und wenn ihr Nicht-Erreichen nicht durch den Staat sanktioniert wird, kann man selbst in die Aktion kommen – mit Streiks oder zivilem Ungehorsam.
Birgit Buchinger: Aber nicht nur als Frauenbewegungen, sondern durchaus in Verbindung mit klimapolitischen Bewegungen. Nicht nur prinzipiell oder theoretisch miteinander verwoben zu sein, sondern sich zu überlegen, wie man das gemeinsam in die Praxis durch konkrete Aktionen und Foren umsetzen kann. Das kann gegenseitig unterstützend sein. Als die „Last Generation“ durch 200 Wissenschafter:innen unterstützt wurde, wurde den Forderungen noch mal Nachdruck verliehen und es wurde gezeigt, wie eine generationenübergreifende Unterstützung aussehen kann.
Lena Schilling: In der Klimabewegung haben wir es geschafft, dass sich junge Menschen selbstermächtigter fühlen. Greta Thunberg hat gesagt: „Niemand ist zu klein, um einen Unterschied zu machen.“ Dieses Gefühl, ich kann etwas verändern, das zieht junge Menschen an. Das wäre die Aufgabe einer gemeinsamen Bewegung, jungen Frauen ein Gefühl der Selbstermächtigung und jungen Menschen eine Handlungsperspektive zu geben.
Birgit Buchinger: Was in den Anfängen der Frauenbewegung sehr präsent war: Selbstermächtigung, Selbstbestimmung, „wir erobern uns die Straße zurück“. Dann begann die Institutionalisierung.
Ihr habt immer wieder sozioökonomische Verteilungsfragen angesprochen. Was sind hier die Anknüpfungspunkte?
Lena Schilling: Es gibt ganz viele Punkte, weil wir ja einen gesellschaftlichen Wandel brauchen. Für mich stellt sich beispielsweise die Frage, wie wir als Klimabewegung bei Lohnverhandlungen unterstützen können.
Birgit Buchinger: Der Slogan von Fridays for Future ist „Systems Change statt Climate Change“. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Der Kapitalismus gehört überwunden, das Gemeinwohl gehört in den Vordergrund gerückt. Ich finde es einen Skandal, dass fünf, sechs Menschen die Hälfte des Weltvermögens besitzen. Es ist ein Skandal, dass in Österreich Vermögen nach wie vor nicht besteuert wird. Wir brauchen eine Resozialisierung der Produktivitätsgewinne, um jene Branchen, von denen du schon gesprochen hast, Lena, in denen Menschen mit und für Menschen arbeiten, höher zu bewerten und dort entsprechend entlohnen zu können. Das ist mit Vermögensbesteuerung, Kapitalbesteuerung und Resozialisierung von Produktivitätsgewinnen finanzierbar. Aktuell ist das Gegenteil der Fall, auch bei den Energiekostenzuschüssen gibt es in Österreich wieder Überförderung von großen Industriebetrieben. Wenn wir als Planet überleben wollen und als demokratisch verfasstes System, dann müssen diese aktuellen Macht- und Herrschaftsverhältnisse überwunden werden.
Lena Schilling: Das unterstütze ich zu 100 Prozent. Die Verteilungs- und die Produktionsverhältnisse müssen verändert werden. Die Klimafrage ist auch eine Verteilungsfrage. Es sind die reichsten 10 Prozent, die mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen verursachen. Genau darum geht’s!
Birgit Buchinger: Ein Punkt, den ich noch ansprechen wollte, ist Frigga Haugs „4 in 1 Modell“. Verkürzte Vollzeitarbeit für alle, sprich vier Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden für unbezahlte Arbeit, vier Stunden für eigene Entwicklung und Muße und vier Stunden für gesellschaftliches, zivilgesellschaftliches Engagement. Dann kann man super einen Diskursprozess in Österreich führen.
Danke Lena und Birgit für dieses Gespräch!
Das Gespräch wurde am 19.1.2023 von Angelika Schmidt (WU Wien) und Gerlinde Hauer (AK Wien) moderiert und von Angela Wroblewski (IHS) dokumentiert. Die Idee eines gemeinsamen Gesprächs entstand aufgrund der Beiträge von Birgit Buchinger und Lena Schilling bei der Konferenz „Warum (wieder) Frauen* fördern“ vom 24. und 25.10.2022.